Was passiert mit einer Menschheit, die die Wissenschaft einzig und allein in den Dienst der ökonomischen Effizienzsteigerung stellt und dank des medizinischen Fortschritts in der Lage ist, die nötigen Regenerationsphasen auf ein Minimum zu reduzieren? Der französische Autor Laurent Gaudé untersucht die Konsequenzen dieses Handelns in seinem Drama »Die letzte Nacht der Welt« (»La dernière nuit du monde«). Mit der deutschsprachigen Erstaufführung in der Regie von Elias Perrig wird am 19. November um 20 Uhr im Science Dome der experimenta das vierte Festival »Science & Theatre« eröffnet. Es ist das Siegerstück des Dramenwettbewerbs »Science & Theatre« 2023, den das Theater Heilbronn gemeinsam mit dem Science Center experimenta seit 2019 alle zwei Jahre anlässlich des gemeinsamen Festivals »Science & Theatre« veranstaltet. Verbunden mit dieser Auszeichnung ist ein Preisgeld von 10.000 Euro. Gaudés Drama entführt in die nahe Zukunft, in der es mittels medizinischer Entwicklungen gelungen ist, den Nachtschlaf auf nur 45 Minuten zu reduzieren und damit die Nacht quasi abzuschaffen. Dahinter stecken rein wirtschaftliche Interessen der Effizienzsteigerung. Die Produktivität der Gesellschaft, ja der gesamten Menschheit steigt ins Unermessliche – viele Völker haben den Vertrag zur Abschaffung der Nacht ratifiziert. Allerdings bezahlt nicht nur Gabor, der Protagonist des Stückes, einen hohen Preis für diesen Fortschritt.

Die beeindruckende Kulisse des Science Dome wird zum wesentlichen Teil des Bühnenbildes. Es spielen Nils Brück, Judith Lilly Raab, Sophie Maria Scherrieble und Lisa Wildmann.

Zum Inhalt
Die Welt steht unmittelbar vor großen Veränderungen: Die Nacht als Ruhephase für Mensch und Tier wird abgeschafft. Von nun an herrscht 24 Stunden Aktivität in der Arbeits- und Geschäftswelt. Jeder nimmt sich individuell ein kurzes Zeitfenster zum Schlafen. Dieses dauert dank eines neuen Medikaments aber nur 45 Minuten. Nach einer Dreiviertelstunde Schlaf sind die Menschen genauso ausgeruht wie normalerweise nach sieben oder acht Stunden Nachtruhe. Jeder Mensch hat damit eine annähernd doppelt so lange aktive Lebenszeit. Er kann fast zweimal so viel leisten. Die Produktivität der Gesellschaft, ja der gesamten Menschheit wächst ins Unermessliche, denn es gibt auch keine Zeitunterschiede mehr, auf die man Rücksicht nehmen muss. Was für eine Revolution!

Gabor, ein Protagonist dieser Zeitenwende, muss in der letzten Nacht vor Einführung des nachtlosen Tages ans andere Ende der Welt reisen, um dort ihre Abschaffung zu begleiten. Seine Frau Lou gerät in der Heimat in gewalttätige Ausschreitungen der »Schwarze-Nacht-Bewegung«, Gegnern dieser radikalen gesellschaftlichen Transformation, und wird dabei lebensgefährlich verletzt. Gabor erhält einen Anruf aus dem Krankenhaus, er möge sofort kommen, wenn er sie noch lebend sehen will. Aber wegen der weltweiten Systemumstellung fliegen in der »letzten Nacht« keine Flugzeuge.

Doch nicht nur in seiner Beziehung bezahlt Gabor einen hohen Preis für seinen Fortschrittsglauben. Die ganze Welt verändert sich unter dem Diktat des unaufhörlichen Wachstums und der stetig steigenden Produktivität, die die Gesetze der Natur komplett auszuhebeln versuchen.

Laurent Gaudé hat längst gängige Verfahren und Gedankenexperimente aus Wirtschaft, Medizin und Gesellschaft konsequent zu Ende gedacht. Seine Zukunftsvision wäre technisch allemal umsetzbar. Aber Gaudé fragt nach ihren Auswirkungen für Mensch und Natur und stellt zur Diskussion, ob man alles, was die wissenschaftliche Forschung ermöglichen würde, auch tatsächlich umsetzen muss.

Aus der Laudatio 
Dr. Mirjam Meuser, die Kuratorin des Festivals »Science & Theatre« sagte in ihrer Laudatio anlässlich der Preisverleihung 2023: »In fünf Akten erforscht Gabor in Sprüngen durch die Zeit seine tragische Verfallenheit an die Götter des Kapitalismus und dessen intrinsische Motivation, den Menschen zu einer (Arbeits-)Maschine umzubauen, die rund um die Uhr einsetzbar ist. … ›Die letzte Nacht der Welt‹ geht so poetisch wie parabelhaft der Frage nach, was mit uns geschieht, wenn wir 24 Stunden ohne Unterlass produzieren und die Ausbeutung unserer Selbst und der Natur ins Absolute treiben. … Laurent Gaudé denkt die Folgen dieser Entwicklung radikal zu Ende und spitzt sie in einer tragischen, persönlichen Geschichte zu – eine bessere Grundlage für ein Drama kann es nicht geben.« Meuser hob in ihrer Laudatio auch die herausragende Leistung der Übersetzerin Margret Millischer hervor: »Unter der zärtlichen Hand von Margret Millischer liegt zudem eine deutsche Übersetzung vor, die sich durch eine leise, nachdenkliche, poetische Sprache auszeichnet und den Verlusten und der Melancholie des Textes mit hoher Sorgfalt nachgeht.«

Laurent Gaudé (geb. 6. Juli 1972 in Paris) zählt zu den bedeutendsten französischen Schriftstellern und Dramatikern seiner Generation. Nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft an der Sorbonne wandte er sich vor allem dem Schreiben für die Bühne zu. Seine frühen Theaterstücke – darunter »Combat de possédés« (1999) und »Onysos le furieux« (2000) – machten ihn schnell zu einer prägenden Stimme des zeitgenössischen französischen Theaters. Gaudé verbindet darin mythische Stoffe, archaische Sprache und aktuelle politische Themen, wodurch seine Texte gleichermaßen poetisch wie gesellschaftlich relevant wirken.

Mit seinem Roman »La Mort du roi Tsongor« (2002) gelang ihm der literarische Durchbruch, der ihm internationale Anerkennung einbrachte. Für »Le Soleil des Scorta« (2004, dt. »Das Haus der Scorta«) erhielt er den renommierten Prix Goncourt, den bedeutendsten französischen Literaturpreis.

In Frankreich gilt Gaudé heute als feste Größe des literarischen Lebens, seine Bücher erscheinen regelmäßig bei Actes Sud und werden vielfach für die Bühne adaptiert. Auch in Deutschland hat sich sein Werk etabliert: Zahlreiche Übersetzungen, insbesondere durch den Berliner Verlag Klett-Cotta, haben ihm ein wachsendes Publikum verschafft. Seine Romane werden in Feuilletons, Literaturhäusern und Theaterinszenierungen rezipiert und gelten hierzulande als eindrucksvolle Beispiele moderner französischer Erzählkunst zwischen Mythos und Gegenwart.

Premiere am 19. November um 20 Uhr im Science Dome der experimenta
Die letzte Nacht der Welt (DSE)
von Laurent Gaudé
aus dem Französischen von Margret Millischer

Regie: Elias Perrig
Ausstattung: Beate Faßnacht
Video: Kevin Graber
Musik: Biber Gullatz
Dramaturgie: Dr. Mirjam Meuser

Gabor: Nils Brück
Lou/Das-Orakel Kind: Judith Lilly Raab
Vania Van DeRoot, Politikerin/Der erste Proband/Krankenschwester: Lisa Wildmann
Ilma Mäkinen, Vertreterin des samischen Volkes/Der Arzt/Anführer der Schwarze-Nacht-Bewegung: Sophie Maria Scherrieble 

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