Am 18. Oktober 1997 öffnete das ZKM im Rahmen eines großen Festaktes die Tore des restaurierten Hallenbaus und stellte seine Institute und Abteilungen sowie die großzügigen Ausstellungs-, Konzert- und Veranstaltungsräume der Öffentlichkeit vor: mit der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Nicht weit entfernt eröffnete eine Woche später, am 24. Oktober 1997 die kunsthistorisch sicher bedeutsamere Ausstellung: AND THEN THERE WERE NONE mit Werken aus der Sammlung Marzona, und damit die Galerie Meyer Riegger.

Der Text zur Ausstellung liest sich teilweise wie ein Manifest und darf mit Blick nach Westen auch eindeutig so verstanden werden – vor allem nichts war verkäuflich! Ein bemerkenswerter Schachzug einer Galerie, deren Kerngeschäft der Verkauf von zeitgenössischen Kunstwerken sein sollte:

"Die Sammlung verwirklicht, ähnlich dem zukünftigen Ausstellungsprogramm, eine Gegenüberstellung europäischer und amerikanischer Kunst. Ihre Schwerpunkte sind die Bereiche Minimal Art, Concept Art, Land Art und Arte Povera. Die Ausstellung "AND THEN THERE WERE NONE" versteht sich als Referenz an eine bestimmte Epoche. In einem kritischen Rückblick auf Positionen der sechziger Jahre soll das Potential dieser Kunst für die Gegenwart bestimmt und in Zusammenhang mit zeitgenössischen Positionen gebracht werden."

Programmatisch wichtig war hiernach: "In den weiteren Ausstellungen soll der Versuch unternommen werden, das politische und ästhetische Potential dieser historischen Positionen für die Gegenwart zu aktualisieren." So weit, so gut! Dass neben dem berühmtberüchtigten Off-Space in der Kaiserpassage eine professionelle Galerie in dieser miefigen Verwaltungsstadt mit alt-ehrwürdiger Kunstakademie und neu-installiertem Medienkunstzentrum (zum Unmut vieler Künstler, vertrieben aus dem Hallenbau) derart selbstbewusst auftrat, beeindruckte von Anfang an über Baden-Württemberg hinaus und stärkte ganz entscheidend die Reputation.

Gründerzeit.

1997 war nicht nur deswegen ein interessantes Jahr – Dolly das Schaf, die erste Marslandung, der "Ruck" durch Deutschland, der 50. Geburtstag des Spiegels, der Tod von Lady Di und insbesondere war der KSC Erst-Liga-Klub – sondern vor allem der Oktober hielt eine weitere Eröffnung bereit, das Guggenheim in Bilbao mit seinem vielzitierten Effekt.

Eindeutig überbewertet in Relation zum weltweit bedeutsamen Karlsruhe-Effekt, denn obwohl die Bundesanwaltschaft zwischen beiden Institutionen erst im August 1998 eingeweiht wurde, war das Energiefeld um den Neubau nach historischem Stadtpalais- Vorbild seit November 1994 entstanden und ein neuer Stern im Karlsruher Masterplan der Ideal- und Fächerstadt. Ein Meisterwerk mit "Digitalem Bauhaus" von Heinrich Klotz, dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, und eben Jochen Meyer und Thomas Riegger in der Klauprechtstraße.

Herzklopfen.

1994 an Jochens 30. Geburtstagfeier – Thomas kam überraschend als ungeladener Gast – lernten sich beide kennen und vertieften die Beziehung nicht über das Studium, sondern über das Ausstellungsmachen, das Kuratieren, das damals noch positiver besetzt war. Jochen war mehr der Literatur und der Kultur zugetan, gründete das Kunstbüro im Literaturmuseum, und Thomas, zum Künstler berufen jenseits aller Materialfragen bei Meuser in der Meisterklasse, stellte Künstler in seiner Wohnung aus. Mit Handschlag in besagter Nacht besiegelt, verabredete man sich, eine erste gemeinsame Ausstellung zu machen: John Miller sollte gleichzeitig in der Galerie von Thomas resp. seinem Wohzimmer und bei Jochen im Museum gezeigt werden. Die Ausstellung fanden 1996 statt und bis heute ist John fester Bestandteil des Programms der Galerie.

Geschäftsbericht.

Thomas und Jochen machten weiter Ausstellungen und beiden war der konzeptuelle, sinnstiftende wie sinnliche Ansatz wesentlich. Sie ergänzten sich so hervorragend, dass die Idee einer Galeriegründung mit allen Konsequenzen auf der Hand lag. Ein zweiter Handschlag; und naiv an die Arbeit, die beide mit laienhafter Meisterschaft souverän bewältigten. Das Motto der beiden, aber von Thomas Riegger so formuliert, fand sich schnell: Wir sind die Galerie, die ich mir als Künstler immer gewünscht hätte. So zogen die Jahre ins Land und zwischen Rheinland und Schweiz, zwischen der Mutter aller Kunstmessen und der bedeutendsten der Welt, entwickelte sich die Galerie fabelhaft, so dass heute die eine Messe beraten wird, die andere hingegen ignoriert werden kann. Monetär, aber auch familiär, beide sind verheiratet und haben mittlerweile Kinder, geht es den zwei Inhabern immer aber zuerst um das Wohl Ihrer Künstler, Ihrer Familien, und um das Ihrer Mitarbeiter, mittlerweile acht an der Zahl. Die Geschäfte entwickelten sich dank kluger Programmatik und konzeptionell-sinnlicher Ausrichtung, nicht zuletzt dieser enger familiären Bande zu Künstlern und Sammlern prächtig, und die Paarbeziehung, um nicht zu sagen, Ehe der beiden Geschäfts-Jungens, jedenfalls hörte man sinnstiftende Sprüche dazu immer häufiger, hält ja nun auch schon 20 Jahre! Glückwunsch auch dazu: Porzellan- oder Dornenhochzeit nennt es sich im Volksbund.

Berlin – Friedrichstrasse.

Leider führt man seit der Eröffnung der Berliner Dependance im Oktober 2008 eher eine Fernbeziehung, jedoch mag dies auch zum guten Verhältnis der Partnerschaft beitragen: Jochen Meyer weilt mit Familie seit einigen Jahren permanent in der Bundeshauptstadt. Die dortige Eröffnungsausstellung von Jonathan Monk vor neun Jahren wurde ebenfalls sehr konzeptionell ausgerichtet, so schrieb Christina Irrgang:

"Ausgehend von der Lage unserer Galerie in der Friedrichstraße in der Nähe des ehemaligen Grenzübergangs Checkpoint Charlie, hat der konzeptuell arbeitende Künstler Jonathan Monk eine Folge von Portraits anfertigen lassen, die in direktem Bezug zu Martin Kippenbergers 1981 produzierter Bildserie "Lieber Maler, male mir…" steht, in welcher Kippenberger auf einem von zwölf Gemälden vor einem Souvenirstand im Umfeld der Berliner Mauer dargestellt ist. Monk hat diese Ansicht aufgegriffen und als Reproduktion bei sieben ihm unbekannten, chinesischen Malern in Auftrag gegeben, deren Anzeige der Künstler in einem Internetforum gefunden hatte. FANG, HUI, LI, MEI, TING, XIAO und XING – die Namen dieser Maler – haben so eine Serie von sieben gleichen Ansichten generiert, welche Monk unter dem Titel "Lieber Maler, bitte male mich noch einmal" zusammenfasst."

Gleichgewichte.

Es muss das Apollonische von Jochen Meyer, dem Nahe Karlsruhe aufgewachsenen Schöngeist, und das Dionysische von Thomas Riegger, dem rockigen Schwarzwaldboy, sein, diese bereits bei Friedrich Nietzsche in der "Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" beschriebene Dualität, in deren Ausbalanciertheit etwas derart Geniales wie das Galerieensemble MR entstehen konnte. Der Jungwissenschaftler Friedrich breitete seine Studien des Griechentums, seiner Liebe zur Musik und zu Wagner aus und formulierte das kulturelle Weltbild. Ebenso präsentierten die Junggaleristen Jochen und Thomas ihre Theorien von der Entstehung der Galerie 1997 und 2008 und prägen bis heute allgemeine und spezielle kulturphilosophische und ästhetische Betrachtungen: Jochen mit Literatur und Genüssen aller Art, Thomas genießt die Energie der Musik und die Geschwindigkeit. Kommunikativ und gesellig sind sie beide, bei dem Geschäft auch kein Wunder, und die wortreichen bis stillschweigend therapeutischen Qualitäten habe ich jedenfalls bei meinem mehrjährigem Karlsruher Gastspiel auch im privaten Rahmen auf der Kriegsstraße ausgiebig (er)leben dürfen. Möglicherweise steht die Galerie aber auch unter dem Einfluss Johann Ludwig Klauprechts (1798 – 1883), Lehrer und Direktor des Polytechnikums, als auch begnadeter Schlichter und Mediator. Im Revolutionsjahr 1849 verhinderte er in Karlsruhe größeres Blutvergießen als er zwischen dem Badischen Hof und revolutionierenden Studenten vermittelte. Blutig wurde es sehr, sehr selten, nur einmal m.W. nach einer flotten Tischtanzeinlage von Thomas R. auf einer Galerie-Weihnachtsfeier, das ist amtlich, und ebenso amtlich wird MR Karlsruhe mittlerweile als GmbH mit zwei Geschäftsführern und Zweitstandort Berlin geführt.

Relaunch.

Die Galerie, ihre Inhaber und ihre Künstler haben sich wie die 154 Ausstellungen in 20 Jahren weiterentwickelt, verändert und sind gewachsen: sie sind momentan bei 30 Positionen angelangt. Und an dieser Stelle möchte ich doch zumindest einen Künstler erwähnen, da er 2011 in Prag verstorben ist: Ján Mančuška. Die Qualität seiner Kunst, das Medium Film als selbst-reflexives Konzept und die Warmherzigkeit des Menschen Ján sind bezeichnend für die gesamte Philosophie der Galeriearbeit von Meyer Riegger, von Jochen und Thomas in Berlin und vor allem treu gegenüber der Basis Karlsruhe, und zugleich angesiedelt im globalen Netzwerk zwischen Miami, New York, Los Angeles, London oder Hongkong, letzte Woche war es noch Shanghai…

Das Programm der Galerie Meyer Riegger ist ein organisches und dennoch von ungeheurer Ambivalenz geprägt, die auch die Macher charakterisiert. Die badische Bescheidenheit gepaart mit der Lebensfreude des (südlichen) Rheinlandes, die geniale Verbindung des Apollinischen mit dem Dionysischen, das hat als Paarung immer eine grundsolide Bodenhaftung und sieht zugleich auch die Perspektive, das Ferne und Visionäre. Über das Fundament der Staatliche Akademie der Bildenden Künste als eine Säule, ein Nährboden und wichtiger Anker mit und für die Galerie, aber auch sicher umgekehrt, ist ein zentraler Produktions- und Distributionsstandort etabliert worden, dem auch die jahrelangen regelmäßigen Schnitzelrunden bei Massimo wie auch die Stammtische im Pomodoro mit letztem Drink in der Heiligen Sofie immer ein gewichtiges lokalpatriotisches Stimmungsbild abgaben.

Peter Gorschlüter wie auch Iris Kadel von der HFG in Galerie-Blickweite, er heute als stellvertretender Direktor in Frankfurt, sie ebenfalls erfolgreiche Galeristin in Düsseldorf, ergänzten früh das Programm und erweiterten mit eigenen kuratorischen Ambitionen den Ausstellungsraum nach hinten in den Hof, der somit folgerichtig bei der jetzigen Neu- Eröffnung zum 20-Jährigen Galeriejubiläum eine Umkehrung der Verhältnisse schafft: das alte Lager ist ab sofort der Hauptraum für Ausstellungen und vorne sitzt die Verwaltung, der Chef und die Bücher, dann ein langer Gang, eine klassische Enfilade mit Durchblick, ja, auch das ist Konzept, oder zumindest konzeptuell und weise. Ebenso ist der Titel der aktuellen Ausstellung eine Referenz, zurück zum Beginn dieser Story und zu der ebenjenen von Agathie Christie oder zu den 30 KünstlerInnen und Künstlern der Galerie.

Junge Junge, eine tolle Geschichte.

Herzlichen Glückwunsch jedenfalls Euch beiden, Jochen und Thomas, und viel Erfolg weiterhin!
Gregor Jansen

18.11.2017 – 22.12.2017, Meyer Riegger, Karlsruhe
20 years Meyer Riegger | AND THEN THERE WERE NONE

Franz Ackermann, Heike Aumüller, Alexandra Bachzetsis, John Bock, Katinka Bock, Armin Boehm, Björn Braun, Miriam Cahn, Mario Garcia Torres, Henrik Håkansson, Uwe Henneken, Anna Lea Hucht, Jamie Isenstein, Robert Janitz, Harald Klingelhöller, Gustav Kluge, Daniel Knorr, Korpys / Löffler, Eva Kot’átková, Kalin Lindena, Ján Mančuška, Meuser, John Miller, Helen Mirra, Jonathan Monk, Melvin Moti, Scott Myles, Paulo Nazareth, Daniel Roth, Silke Schatz, Ariel Schlesinger, Julia Schmidt, David Thorpe, Ulla von Brandenburg, Gabriel Vormstein, Waldemar Zimbelmann

Firmenkontakt und Herausgeber der Meldung:

Meyer Riegger
Klauprechtstrasse 22
76137 Karlsruhe
Telefon: +49 (721) 821-292
Telefax: +49 (721) 982-2141
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