Vera Dietrich wurde im letzten Jahr im Zusammenhang mit der Petition für faire Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf den Verband der Gründer und Selbstständigen e.V. (VGSD) aufmerksam.

Vera Dietrich ist nebenberuflich selbstständig, verkauft Textilien über DaWanda, einem Marktplatz für personalisierte Geschenke und Handgemachtes. Dabei wurde sie Opfer des Abmahnvereins IDO, gegen den sie jetzt einen Prozess führen muss.

So wie ihr geht es zahllosen Onlinehändlern: Eine gerade erschienene Studie des Händlerbunds zeigt, dass 28% der selbstständigen Onlinehändler Stand 2017 eine Abmahnung erhalten hatten, vor zwei Jahren waren es noch 20%.

Von diesen Betroffenen hatte jeder dritte Händler (32%) sogar schon mehrere Abmahnungen erhalten. Laut einer Trusted Shops-Studie kostet eine solche Abmahnung im Durchschnitt 1.300 Euro.

Aber nicht nur Onlinehändler sind betroffen. Die Abmahnvereine stehen in den Startlöchern, um nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ab Ende Mai nach Fehlern in der Datenschutzerklärung zu suchen, um an „ganz normale“ Selbstständige massenhaft Abmahnungen schicken zu können. (Zitat eines Rechtsanwalts: „Dann geht es richig los.“)

Sie picken sich dabei häufig gezielt Existenzgründer, Solo- und Teilzeit-Selbstständige heraus, weil diese über keinen Anwalt verfügen und sich eher einschüchtern lassen. Häufig bezahlen diese dann den geforderten Betrag, unterschreiben eine weit gefasste Unterlassungserklärung – wobei: dann wird es erst richtig teuer, denn die darin aufgeführten Bedingungen sind in der Praxis oft nicht einzuhalten!

55% der befragten Händler unterschrieben eine Unterlassungserklärung, 20% gingen vor Gericht, Quelle: Händlerbund

Alternativ verklagen sie den Abgemahnten vor einem möglichst weit entfernten Gericht, das zur Festsetzung relativ hoher Streitwerte tendiert (Juristen sprechen von „forum shopping“).

Zahlreiche Verbände, darunter auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, fordern deshalb eine Reform. Der Politik ist das Problem seit Jahren bewusst. Trotzdem kam es bis heute zu keiner wirkungsvollen Reform. Das muss sich jetzt ändern.

Deshalb unterzeichne die Bundestags-Petition von Vera Dietrich

Wortlaut der Petition

Der VGSD e.V. zitiert im Folgenden die wichtigsten Passagen der Petition:

„Mit der Petition wird eine Reform des wettbewerbsrechtlichen Abmahnwesens gefordert, da die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen den missbräuchlichen Einsatz von Abmahnungen aus Gewinninteresse durch Abmahnvereine und spezialisierte Rechtsanwälte begünstigen.

Die existenzielle wirtschaftliche Bedrohung durch die drohenden hohen Geldforderungen führt zu einem Klima der Verunsicherung und Angst und drängt viele abgemahnte Unternehmen dazu, ihr Gewerbe aufzugeben.“

Zur Begründung schreibt Vera Dietrich weiter:

„Als Kleinunternehmerin sehe ich mich wie viele andere Unternehmen durch den missbräuchlichen Einsatz von Abmahnungen schikaniert und in meiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. (…)

Hierbei werden Unternehmen zu Hunderten wegen oft geringfügiger Formfehler auf ihren Websites oder in ihren Online-Shops abgemahnt. Insbesondere Kleinunternehmer und Existenzgründer können die finanziellen und personellen Ressourcen für einen Rechtsstreit häufig nicht aufbringen und sehen sich daher dazu genötigt, sich dem Abmahner zu unterwerfen (Zahlung der Abmahngebühren, Unterzeichnung einer lebenslang gültigen Unterlassungserklärung). Diese verpflichtet den Abgemahnten im Wiederholungsfall zur Zahlung hoher Vertragsstrafen (im vier- bis fünfstelligen Bereich).

Aufgrund der Vielzahl der einzuhaltenden Formvorschriften und Informationspflichten, sowie weit gefasster Unterlassungserklärungen, ist die Wiederholungsgefahr auch bei ernsthaftem Bemühen um Rechtskonformität groß. Auf der Seite der Abmahner ist dies ein Millionengeschäft, für die abgemahnten Unternehmen kann dies den Ruin bedeuten.

Hier werden aus Gewinninteresse Existenzen und Lebensträume vernichtet und es entsteht ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher Schaden.

Vielzahl von Verbänden fordert Gesetzesreform

Wie oben erwähnt, hat eine Vielzahl von Verbänden bereits im Juni 2017, kurz vor der Bundestagswahl, eine Gesetzesreform gefordert und dazu konkrete Vorschläge gemacht. Unter diesen Verbänden ist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Bitkom, der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der Handelsverband Deutschland (HDE) und zahlreiche weitere. Weitere Verbände wie der Händlerbund und auch wir vom VGSD haben sich nachträglich den Forderungen angeschlossen.

Grundsätzlich sehen die oben genannten Verbände das deutsche System außergerichtlicher Streitbeilegung (zu denen auch Abmahnungen zählen) als Erfolgsmodell. Durch unseriöse „Abmahnvereine“, die Abmahnungen zu einem lukrativen Geschäftsmodell entwickelt haben, werden die Vorteile jedoch in ihr Gegenteil verkehrt und das an sich sinnvolle Instrument verliert Ansehen und Akzeptanz.

Sie profitieren von der Tatsache, dass der Gesetzgeber vor allem im Onlinebereich laufend neue formelle Anforderungen und Informationspflichten einführt, die die betroffenen Selbstständigen gar nicht alle kennen können und die oft auch relativ unklar formuliert sind, wie das Beispiel DSGVO zeigt.

Dem Gesetzgeber sind die Missstände bewusst, wie aus einer ganzen Reihe, teils Jahre zurückliegender Bundestagsdrucksachen, Eckpunktpapiere usw. deutlich wird. Trotzdem ist es bis heute zu keiner wirkungsvollen Reform der Abmahnung gekommen.

Abmahner richten eigens Fake-Shops ein, um Wettbewerbsverletzungen zu konstruieren

Eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung setzt voraus, dass es einen Wettbewerber gibt, der sich durch den abgemahnten Fehler im Wettbewerb benachteiligt sieht. Nicht selten werden im Bereich des Online-Handels offenbar eigens Fake-Shops eingerichtet, um kurz nach Gründung mit Abmahnungen zu beginnen. Sie bieten teilweise aus jedem Warenbereich genau ein Produkt an, um möglichst viele Branchen abdecken zu können. Durch unrealistisch hohe Preise verhindern sie, dass tatsächlich ein Kunde bei ihnen etwas bestellt.

Weil die Anforderungen für den Nachweis eines Abmahnmissbrauchs vor Gericht extrem hoch sind, ist es in der Praxis sehr schwer, einen solchen nachzuweisen, auch wenn er „für den gesunden Menschenverstand“ offensichtlich ist.

veröffentlicht von Ramona Kramp – Unternehmerin seit 2004 im Allgäu

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