Die Überseestadt (ÜSS) ist nach wie vor das wichtigste Stadtentwicklungsprojekt der Stadt Bremen. Hier zeigt sich, wie der Strukturwandel der Hafenwirtschaft gemeistert und Bremen sich als Wohn- und Arbeitsort neu erfinden kann. Zudem sind alle nachfolgenden, jüngeren Entwicklungsprojekte Bremens unweigerlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Überseestadt zu betrachten. Was aber macht einen gelungenen Stadtteil aus, der zu einem lebenswerten Sozialraum werden kann? Unter welchen Rahmenbedingungen hat sich die ÜSS entwickelt und wo stehen wir heute, zwanzig Jahre nach der historischen Entscheidung, die Freihafenmauern zu öffnen und das ehemalige Industrierevier in das Alltagsleben der Stadt zu integrieren? Und nicht zuletzt: Was denken die neuen Bewohnerinnen und Bewohner über die Lebensqualität in ihrem Stadtteil? In einer Kooperation zwischen der Hochschule Bremen, Studiengang Soziale Arbeit und der School of Architecture, sowie der „ökumenischen Überseekirche“, einer Projektgruppe der evangelischen und katholischen Gemeinden in Bremen-Walle, bieten die drei Autorinnen und Autoren Antworten auf diese Fragen. Der Beitrag stellt zudem die Ergebnisse der Fragebogenstudie ÜBER.blick 2019 zu Lebenssituation und Lebensqualität in der Überseestadt vor. Erschienen ist er am 1. Oktober 2019 in dem Online-Journal sozialraum.de (ISSN 1868-2596). – Ständiger Link zum Artikel: : https://www.sozialraum.de/ueberseestadt-bremen.php

Die Ergebnisse:

· Die Alltagstauglichkeit der ÜSS und ihrer Teilquartiere ist mit Blick auf grundlegende Funktionen noch erheblich eingeschränkt; Stadtentwicklung aber steht in der Pflicht, auch anfänglich noch wenig besiedelten Quartieren die Chance auf nahräumliche Versorgung zu gewähren.

· Durch die räumliche Kumulation und gleichzeitige deutliche Separation von Luxuswohnungen einerseits und Sozialwohnungen andererseits werden Segregationstendenzen und ein Inselurbanismus begünstigt.

· Der öffentliche Raum der ÜSS bietet eher spektakuläre und überregional interessante Freiräume an; im nahräumlichen und alltäglich genutzten Bereich der Wohnumfelder und Wohnquartiere fehlt es dagegen oft an attraktiven Arealen, in denen man sich aufhalten und informell begegnen kann.

· Einer weiteren Fragmentierung der Überseestadt – und anhaltenden Leblosigkeit ihrer Straßen – kann nur durch gesteigerte Anstrengungen bei der Entwicklung der Qualität und Alltagstauglichkeit des öffentlichen Raums begegnet werden.

· Zudem fehlt der Überseestadt eine sozial-funktionale „Mitte“, die sich als Begegnungsknotenpunkt entwickeln könnte. Hier bieten sich die Randbereiche des Großmarkts dazu an, entsprechende architektonische Lösungen zu entwickeln.

· Das aktualisierte Nutzungskonzept der ÜSS weist zwar seit 2017 erstmals Umsetzungsempfehlungen für Wohnfolge-Infrastrukturen aus, tut dies aber bislang noch weitgehend ohne die wünschenswerte Einbindung der Bewohnerinnen und Bewohner in den Prozess.

· Dabei zeigen diese ein ausgeprägtes Interesse an der zukünftigen Quartiersentwicklung und beteiligt sich, wo immer möglich, mit differenzierten Ideen. Bei einem Bürgerdialog im März 2019 wurde etwa explizit die Idee eines „sozialen und kulturellen Masterplans“ für die Überseestadt vorgebracht.

· Und abschließend: bislang fehlt der ÜSS eine soziale und inklusive Quartiersentwicklung durch gezielte Maßnahmen, die auch präventiv die Entstehung von ausgrenzender Segregation vermeiden helfen. Dazu könnte eine gezielte Gemeinwesenarbeit durch ein Quartiersmanagement einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Autorinnen und Autoren empfehlen deswegen, den genannten Handlungsfeldern verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken und einen partizipativen Prozess ins Leben zu rufen bzw. zu intensivieren, bei dem die Bürgerinnen und Bürger der Überseestadt mit Blick auf die künftige Gestaltung des Ortsteils deutlich umfänglicher als bislang einbezogen und beteiligt werden.

Autorinnen und Autoren:
Annette Harth, Prof. Dr., Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Professorin für Soziale Arbeit im Sozialen Raum an der Hochschule Bremen
Kontakt: annette.harth@hs-bremen.de
Benedikt Rogge, Dr., Diplom-Psychologe, Soziologe (MA), Theologe (MA), Pastor in der Bremischen Evangelischen Kirche
Kontakt: benedikt.rogge@kirche-bremen.de
Christian von Wissel, Prof. Dr., Architekt und Stadtsoziologe, Professor für Theorie der Stadt an der Hochschule Bremen, wissenschaftlicher Leiter des Bremer Zentrums für Baukultur
Kontakt: christian.von-wissel@hs-bremen.de

Zitation:
Annette Harth, Benedikt Rogge, Christian von Wissel (2019): Überseestadt Bremen: Zwischen Wirtschaftsstandort und Lebenswelt. Herausforderungen sozialer Quartiersentwicklung für einen Ortsteil im Werden. In: sozialraum.de (11) Ausgabe 1/2019. URL: https://www.sozialraum.de/ueberseestadt-bremen.php.

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