Wie heißt es doch so schön in Goethes Haupt- und Lebenswerk, dem „Faust“, in einer besonders wichtigen Szene. „Nach Golde drängt, am Golde hängt, nach Golde drängt, doch alles! Ach wir Armen!“ Das war gut und treffend beobachtet und ebenso gut und treffend beschrieben. Denn mit Gold (und Geld) verbanden und verbinden sich schon immer und wohl auch noch in künftigen Zeiten Ansehen, Macht und Einfluss. Wer bezahlen kann, der kann auch bestimmen, wo und wie es langgehen los. Und wo viel Gold (und Geld) ist, da ist natürlich auch viel Neid, Missgunst und der Versuch, es seinem Besitzer oder seinen Besitzern abzujagen – mit welchen Mitteln auch immer. Das mussten auch die ebenso berühmten wie bis heute geheimnisumwobenen Tempelritter erfahren. Deren Geschichte ist einer der wichtigsten Themen von EDITION-digital-Bestseller-Autor Ulrich Hinse, der sich schon seit längerer Zeit und mehreren Büchern mit den Tempelrittern und dem Schicksal ihres in vielen historischen Quellen als gerade unermesslichen Goldschatzes literarisch auseinandersetzt und manche überraschende Geschichten zu erzählen hat. Nachlesen kann man diese im zweiten und dritten der insgesamt fünf Angebote dieses Newsletters , die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 12.06.20 – Freitag, 19.06.20) zu haben sind. Anzumerken bliebt nur noch, dass es sich zum einen um die deutschsprachige Originalausgabe „Templer-Gold: Träume und Tod“ handelt, und zum anderen um die englischsprachige Fassung „The Templar gold“ – Ulrich Hinse for Great Britain and America sozusagen … Die englische Fassung erscheint am 1. Juli und kann eine Woche lang zum Sonderpreis vorbestellt werden.

Eine lustige Schulgeschichte aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in der manches drunter und drüber geht, aber letztlich doch immer weiter, die erzählt Bernd Wolff in seinem Kinderbuch „Manne Forschtrat“, welches übrigens 1988 immerhin bereits in der 9. Auflage erschienen war.

Sehr persönliche Aufzeichnungen präsentiert der Erfinder des berühmten Frisör Kleinekorte, den das Berlin-Brandenburgische Wörterbuch zu Recht an die Seite der Volksfiguren von Glaßbrenner und Tucholsky stellt, C.U. Wiesner, in seinem Buch mit Kindheitserinnerungen „Machs gut, Schneewittchen“. Ach und ganz nebenbei, die beiden Vornamen-Initialen C und U stehen für Claus Ulrich, was schon fast klingt wie der Name eines Grafen oder Herzogs. Dabei stammte Wiesner aus einer Gastwirtsfamilie aus Brandenburg an der Havel und wurde am … – aber lesen Sie doch lieber selbst.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Das heute vorgestellte Buch verfolgt eine Spur, wie sie aktueller kaum sein kann. Der „Weltpolizist“ USA passt auf, dass überall alles seinen gewohnten, alten Gang geht und wenn sich irgendwo ein noch so zartes revolutionäres Pflänzchen in Richtung Freiheit und Gerechtigkeit sowie nationaler Selbstbesinnung und Selbstbestimmung zeigt, dann finden oder erfinden die USA einen mehr oder weniger glaubhaften Grund, um sich einzumischen, einzugreifen und das erwähnte Pflänzchen zu zertreten. Und da fragt man sich schon mal, wie dieses internationale Verhalten mit dem eigenen Selbstverständnis von der mächtigsten Demokratie der Welt zu tun hat. Und auch wenn die im heutigen FfF-Buch beschriebenen Ereignisse inzwischen bereits Jahrzehnte zurückliegen, so ist doch das US-amerikanische Vorgehen bis heute dasselbe und passiert immer nach dem gleichen Muster. Bleibt die traurige Frage, ob sich denn das überhaupt nicht ändern lässt. Zum Glück aber gibt es noch immer das dialektische Geschichts- und Politikverständnis, wonach nicht alles ewig so bleibt, wie es ist. Und möglicherweise haben sich die USA gerade selbst in eine innenpolitische Lage gebracht, die möglicherweise auch außenpolitische Veränderungen nach sich zieht. Möglicherweise zumindest …

Diese Sätze mögen zu dem spannenden Politabenteuer des aktuellen Beitrags der Rubrik Fridays for Future überleiten, in dem sich der Autor zudem fast wie nebenbei kritisch zu den Erfolgsgesetzen des (bürgerlichen) Journalismus äußert:

Erstmals 1987 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im damaligen VEB Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin seinen Roman „Der Mann auf den Klippen“: Die erfolgreiche BRD-Journalistin Judy wird 1983 in das Grenzgebiet zwischen Honduras und El Salvador geschickt, um weiße Flecken auf der Landkarte (der Grenzverlauf ist nicht exakt festgelegt und in diesem Gebiet halten sich Guerilla-Kämpfer beider Länder auf) zu untersuchen. Sie erfüllt ihren Auftrag, doch ihr sympathischer junger Reisebegleiter und Dolmetscher ist tot. Judy kann das nicht verkraften und fällt in ein tiefes Loch. Ihr Chef schickt sie, sozusagen zur Ablenkung und Erholung, nach Grenada. Ihren Auftrag, dort nach einem kubanischen beziehungsweise sowjetischen Militärflugplatz und U-Boot-Hafen zu suchen, erfüllt sie schnell. Sie besteht darauf, ihren Jahresurlaub in Grenada dranzuhängen; denn sie hat sich Hals über Kopf verliebt. Sie zieht in sein Haus, herrlich einsam auf einem Hügel direkt am Meer gelegen. Von der Terrasse des Hauses sieht sie die amerikanischen Kriegsschiffe, die sich Grenada nähern. Hier ein längerer Auszug aus dem wie immer bei Schreyer sehr gründlich recherchierten und spannend geschriebenen Roman, in dem eingangs auch geklärt wird, wie man sich am besten einer Verfolgung entzieht:

„IV

Sonst waren Leihwagen vorteilhaft, Helmut v. Kaden aber zog Taxis vor – das erschwere die Verfolgung. Auf keinen Fall sollte man sehen, wohin wir uns jetzt wandten. Geheimhaltung war alles. Aufrecht, als habe er einen Stock verschluckt, saß er neben mir im Fond, ab und zu nach hinten spähend auf die Avenida Cuscatlán, ein Geflecht aus Licht und Schatten, bis er überzeugt zu sein schien, es habe sich niemand angehängt. Wie er’s bei dieser Paranoia über sich brachte, Regimegegner zu treffen, war mir ein Rätsel.

Von der Stadt begriff ich wenig, ihre Struktur erschloss sich mir nicht, eine tropisch üppige Hauptstadt im Krieg ohne Barrikaden. Militär auf den Straßen, patrouillierende Polizei, bunte Sprayparolen an mancher Wand, Bankportale schwer bewacht, dort ein Sandsackwall, ganz selten ein zerstörtes Haus oder von Einschüssen zernarbte Fassaden… Dass wir in die Calle Modelo bogen und in sanfter Kurve den Zoologischen Garten streiften, ging mir erst abends überm Stadtplan auf.

„Journalisten, die neu sind, werden bespitzelt, bis man sich klar ist über sie, Frau Janssen. Treten Sie also kurz, nehmen Sie nur Kontakt zu amtlichen Stellen auf. Nach einer Woche lässt das Interesse an Ihrer Person dann nach. Schließlich kann man nicht jeden rund um die Uhr beschatten…“ Wir passierten den Stadtrand, Slums auf Sand und Geröll, gewöhnliches Elend. Hinter einer abgebrochenen Palme stand Los Planes – 7 kilómetros auf einem verstaubten Schild. Kurvenreich wand sich die Straße am Südhang des Tals empor, in dem San Salvador liegt.

An einer Tankstelle wechselten wir das Taxi, vorsichtshalber. „Wenn Ihnen mein Zeug noch halbwegs erinnerlich ist“, sagte v. Kaden, „kennen Sie doch nur das, was Strathmann stehenließ. Ihm sind die Texte immer zu lang, zu wenig pointiert. Informations– und Unterhaltungswert schließen einander oft aus. Zu einer Tragödie fällt einem dann keine Pointe ein…“

Das übliche Lamento, der Zwiespalt des Reporters. Ich verstand ja auch die Gegenseite, den Verlegertraum. Wie prächtig stünde das Haus da mit seinem Endprodukt aus Leistung und Genauigkeit, mit der perfekten Organisation, all den Beschäftigten in Druck, Vertrieb, Layout, Illustration, Dokumentation, Rechtsabteilung, kaufmännischer Leitung und so fort, wären nicht die Reporter mit ihrer spitzen Feder! Denn mit dem Neuesten aus aller Welt, soweit es nicht beruhigend vorgefiltert war durch die großen Agenturen, kam von dieser schreibenden Minderheit stets Reizung und Störung des Geschäftsgangs. Auch das Verlegen von Zeitschriften war ja so trefflich eingespielt, fast automatisiert, anfällig gegen Fremdkörper, dass der Herausgeber sich fragen mochte, wann endlich der Störfaktor Mensch auch im Journalistischen ersetzbar wurde; letzter Schritt zur Vollendung.

Nun wechselte die Szene, ein feines Restaurant glitt vorbei. Märchenhafte Pflanzen umgaben uns, Riesenbäume, leuchtende Blumen und nachgeahmte Maya-Skulpturen. Inmitten des Baiboa-Parks, einem Ort der schwelgerischen Natur, des Wohlstands und der Erholung, hielt das Taxi an – unterhalb einer turmhohen Klippe, die rostfarben aus dem Steilhang sprang. Der Fels lag im Schatten, an seinem Fuß standen zwei dunkle Kombiwagen, ich sah ein paar Männer umherkriechen in der Haltung von Leuten, die eine Müllkippe nach Verwertbarem absuchen. Sie bückten sich zwischen Steinen und Gestrüpp, ihr Tun wirkte deplaziert.

„Sehen Sie die Öffnung unterhalb der Spitze?“, fragte mein Begleiter. „Sie heißt das Teufelstor, ist auf der Rückseite des Berges bequem im Auto erreichbar und bietet den schönsten Ausblick auf die Stadt bis zu den Gipfeln von Honduras in violetter Ferne. Einst ein beliebtes Fotomotiv. Heute aber stößt man dort Nacht für Nacht, während der Sperrzeit ganz ungestört, verschleppte Personen und Häftlinge hinab. So trägt der Ort seinen Namen jetzt zu Recht.“

„Und diese da – bergen die Leichen?“

„Das tun sie. Es sind Wagen der Bestattungsfirmen La Protectora und El Respeto, die ‚Schützerin‘ und die ‚Ehrfurcht’…“ Herr v. Kaden rollte das R, er glänzte überhaupt in der makellosen Aussprache des Spanischen selbst innerhalb deutscher Sätze. „Sie laden auf, forschen dann nach zahlungskräftigen Angehörigen, und wenn es keine gibt, kippen sie die Leichen kurzerhand am Zentralfriedhof in der Calle del Cementerio ab. Ein Ort von starker Anziehungskraft. Das ist mal ein Geheimtipp gewesen, mein Vorgänger hat ihn mir gezeigt.“

„Also ein kollegialer Brauch.“

„Der Mann ist ausgewiesen worden wegen eben dieses Reports vom Teufelstor, Puerta del Diablo. Darin stand der Satz: ‚Die junge Frau, deren nackter Körper mit gefesselten Händen und verbundenen Augen heute da unten in den Dornen hängt, ist vor dem tödlichen Sturz noch vergewaltigt worden.’“

„Das hat man ihm so gedruckt?“

„Gewiss, ihm war’s doch geglückt, zugleich mit der Wahrheit lüsternes Grauen zu verbreiten, das heißt, im selben Atemzug informativ und unterhaltsam zu sein.“

Wozu rieb er mir das hin? Natürlich füllten wir den Musikdampfer, die Wundertüte unseres Magazins jede Woche neu, gierten die Chefs nach frischen Reizen, maßlos in ihren Forderungen an den Redaktionsstab und sicher im Urteil, wann eine Nackte oder ein Tier hermussten, um zwischen zwei ernsthaften Themen das Blatt aufzulockern, es genießbar zu machen, bekömmlich. Und so den Jahresgewinn auf sechzig Millionen zu heben. Was waren dagegen die Schriften der Alternativen, die nie aus den roten Zahlen kamen, obschon sie kein Honorar zahlten und in jeder Nummer um Spenden baten oder auch bloß um Bezahlung des Abonnements? Wackere Zwerge im Land der Medienriesen.

„Fakten und Emotion, wie sich das stößt“, klagte v. Kaden. „Soviel langweilige Sachverhalte, Zusammenhänge. Da sucht man dann krampfhaft nach der Story, die den trockenen Kram würzt… Hier nicht, an diesem Punkt trifft sich das, Politik und Verbrechen. Hier werden journalistische Hoffnungen und Leserwünsche prompt bedient, die ewigen Medienbedürfnisse Sex und Gewalt! Wer aus dieser Quelle schöpft, der trägt ganz von selbst so dick auf, dass ihn der Hintergrund nicht mehr kümmern muss; einfach weil kein Hintergrund mehr sichtbar wird.“ Und damit zu den ausführlicheren Präsentationen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 2018 erschien als Eigenproduktion der EDITION digital das E-Book „Templer-Gold. Träume und Tod“ von Ulrich Hinse, das die Teile 1 bis 3 seiner Bestseller-Reihe „Das Gold der Templer“ umfasst: König Philipp IV. von Frankreich will den Templerorden vernichten und dessen riesiges Vermögen konfiszieren. Die Tempelritter versuchen, den größten Teil des Barvermögens durch eine Karawane über die Pyrenäen in Sicherheit zu bringen. Aber sie werden verfolgt. In Portugal finden sie eine neue Heimat. Einige von ihnen stürzen sich in ein neues Abenteuer und segeln mit einem Teil des Goldes über das Atlantische Meer in Richtung Westen. Dort trennen sich die Templer im Streit. Während einige wenige zurück nach Europa segeln, fährt der andere Teil mit Eingeborenen durch den Urwald bis ins Gebirge. Das Gold führen sie mit sich. Am Ziel angekommen, werden sie vom Eingeborenenstamm der Chachapoya freundlich aufgenommen und integriert. Aber sie geraten in einen Krieg mit den Inkas. Ein Roman aus der Zeit des Mittelalters mit ehrenhaften Tempelrittern und ebenso vielen unehrenhaften Schurken. Das E-Book vereint die drei Teile „Das Gold der Templer“, „Der Traum des Templers und seine Reise über das Atlantische Meer“ und das „Gold der Andentempler“. Und so fängt alles an – auf einem Schlachtfeld, auf einem blutgetränkten Schlachtfeld, mit einer unerwarteten Niederlage sowie mit einer schicksalhaften Begegnung:

„Das Gold der Templer

  1. Kapitel

Die Glocken am Kirchturm der Stadt Kortrijk in Flandern läuteten. Dumpf wummerte ihr Klang über das Schlachtfeld. Sie verkündeten den glanzvollen Sieg der Flandern gegen die Franzosen. Jan van Koninck, der zweiundzwanzigjährige junge Mann mit den gekräuselten roten Haaren, den blauen Augen und der kräftigen, durchtrainierten Figur unter dem jetzt Blut bespritzten ledernen Wams, stand etwas gebeugt, auf sein blutiges Schwert gestützt, am Rande eines Eschenwäldchens. Eine Wurfaxt, die schon aus normannischer Zeit bekannte Franziska, steckte im Gürtel. Er schaute auf die Szene vor ihm in der Niederung. Dicht gedrängt vor einem Bach, der sich durch die morastige Senke schlängelte, lagen Hunderte von toten Rittern in ihren ehemals glänzenden, jetzt nach der Schlacht aber stumpfen, blutigen Rüstungen und ebenso viele tote oder schwer verletzte Pferde.

Jan summte ein leises Lied. Es war das Totenlied für die Ritter des französischen Königs Philipp des Schönen, der selbst nicht an dem Massaker teilgenommen hatte. Der Sieg war ohnehin eingeplant. An eine Niederlage war nicht im Entferntesten gedacht worden. Deshalb hatte er seinen einäugigen Kanzler Pierre Flote als Feldherrn gesandt und Jaques de Chatillon als zukünftigen Gouverneur gleich mitgeschickt. Die unruhigen Flandern sollten zur Raison und der lukrative Tuchhandel mit England und der Hanse unter französische Kontrolle gebracht werden.

Aber es war dann doch anders gekommen. Fast alle nordfranzösischen Ritter hatten ihr Leben für den König auf dem Schlachtfeld lassen müssen, nur wenige waren entkommen.

Über das Schlachtfeld mit den unzähligen Toten und Schwerverletzten wuselten unzählige junge und alte zerlumpte Menschen und Bürger aus Kortrijk, die den Toten und Sterbenden ihre Wertgegenstände abnahmen. Van Koninck nestelte an seinem Wams. Mit etwas Mühe zog er den goldenen Anhänger hervor und betrachtete ihn. Er war, wie die Kette auch, aus purem Gold. Langsam strich er mit seinen Fingern über das Wappen. Ein französisches Wappen, ein Königswappen, was die drei Lilien verrieten. Er hatte es einige Monate vorher von einem französischen Ritter bekommen, der den Aufstand der flämischen Bürger in Brügge gegen die französische Besatzung nicht überlebt hatte. Eigentlich hatte er den verletzten Franzosen aus Wut töten wollen, weil er durch seine Gegenwehr die Flucht des Gouverneurs Jaques de Chatillon ermöglicht hatte. Hasserfüllt hatte Jaques de Chatillon noch zurückgerufen, dass er schon allein deshalb zurückkommen würde, nur um ihm eigenhändig den Kopf abzuschlagen. Der verletzte Ritter hatte sich mit Mühe die Kette mit dem Wappen abgenommen und dem jungen Flandern gegeben. Vielleicht bringt es dir irgendwann einmal Glück, hatte der Franzose gemurmelt, dann war er verschieden. Jan hatte das Medaillon zwar genommen, aber sonst hatte ihn der nach seiner Kleidung offensichtlich adelige Franzose nicht weiter interessiert. Er hatte ihn in seinem Blut liegen lassen und war den anderen flüchtenden Franzosen hinterhergelaufen.

Sein Vater Pieter, sein Bruder Wim und er, der jüngste Sohn des Webers Pieter van Koninck, waren kurz darauf wegen ihres Mutes und ihres verwegenen Vorgehens bei der Befreiung von Flandern von Robert von Bethune, dem Grafen von Flandern, zum Ritter geschlagen worden.

Dieses Mal war ihm de Chatillon nicht entkommen. Selbstgefällig war er in die Falle geritten und im sumpfigen Ufer des kleinen Flüsschens vor Kortrijk stecken geblieben. Seine Rüstung war zu schwer, als dass er hätte problemlos absitzen und mit dem Schwert kämpfen können. Das war sein Todesurteil. Die flämische Infantrie war dem schwerfälligen Ritter zu Fuß deutlich überlegen und Jan van Koninck hatte genau aufgepasst, wo Jaques de Chatillon hingeritten war. So kreuzten sich auf dem Schlachtfeld ihre Wege erneut. De Chatillon erkannte sofort, wer sich ihm in den Weg stellte, und versuchte mit kräftigen Schwerthieben, dem Jüngsten der Koninck-Sippe den Garaus zu machen. Aber der flinke, junge Flame wich allen Hieben geschickt aus, wehrte mit seiner Wurfaxt und dem Schwert die Hiebe ab und ließ den Franzosen sich müde schlagen. Wobei Jan höllisch aufpassen musste. Die Fechtkunst von de Chatillon war legendär. Aber dazu gehörte natürlich auch, dass sich der Ritter schnell und trickreich bewegen konnte. Aber genau das fehlte hier. Nur wenige Schritte gelangen dem schwer gerüsteten Ritter im Sumpf. Er sank immer tiefer ein und konnte sich nur noch auf einem Fleck stehend verteidigen, während Jan in seiner leichten Kleidung um ihn herumstapfte. Wenn er in seinem Rücken stand, hatte er Mühe, seinen Gegner durch die Sehschlitze zu erkennen. Als einige weitere Franzosen heranritten, um dem Gouverneur zu Hilfe zu eilen, machte Jan dem Kampf ein schnelles Ende. Er wehrte einen Schlag des Franzosen mit seiner Franziska ab und stieß ihm mit der ganzen Kraft seines rechten Arms das Schwert von unten durch den Rüstungsschlitz zwischen Helm und Harnisch in den Hals. Augenblicklich sackte de Chatillon zusammen und starb. Mit einem Ruck zog Jan sein Schwert aus dem Körper des Sterbenden, um die heranreitenden Franzosen abwehren zu können. Aber als die sahen, dass Reiten in dem Sumpf nicht möglich und ihr Anführer bereits gestorben war, zügelten sie die Pferde und ritten auf festen Untergrund zurück. Jan nahm noch an dem einen oder anderen Scharmützel teil, aber der so ungleich begonnene Kampf war letztlich zugunsten der Flandern entschieden. Das, was niemand zu glauben gewagt hatte, war eingetreten. Die bürgerlichen flandrischen Infanteristen hatten mit ihren selbst gebastelten Waffen gegen die Truppe aus hochdekorierten, gut gerüsteten französischen Rittern gewonnen. Die Ritter waren nicht zuletzt an ihrer Arroganz gescheitert. Flandern war unabhängig geblieben und musste sich Philipp dem Schönen nicht beugen.

Sicherlich hatte es bei den flämischen Fußknechten einen hohen Blutzoll gegeben, aber die tapfer kämpfenden Franzosen wurden unter die Wälle der Stadt Kortrijk getrieben, wo ihre Pferde in den Ronduitebach stürzten oder im Uferschlamm versanken. Sie konnten sich nicht durch Überlaufen retten, denn die Ritter wurden alle an ihren Wappen erkannt und von den Fußknechten niedergemacht. Dem letzten Rest, der sich im Kreis aufgestellt hatte, um die wütenden Angriffe der Flandern abzuwehren, wurde vom Grafen Robert van Bethune ein Angebot gemacht, sich zu ergeben, und Thibaut, der Herzog von Lothringen, nahm das Angebot an. Ein Teil der Flandern murrte zwar, beugte sich aber der Entscheidung ihres Grafen.

Nur eine kurze Zeit wurden noch die flüchtigen Franzosen verfolgt, dann wandten sich die Flandern dem französischen Lager zu, um es zu plündern.

Etwas abseits befand sich das Eschenwäldchen, zu dem Jan gegangen war, nachdem er Jaques de Chatillon vom Leben zum Tode befördert hatte. Jetzt, nachdem alles vorbei war, stellte er fest, dass er sich nicht freuen konnte. Weder am Tod des verhassten Gouverneurs noch am Sieg über das französische Ritterheer. Er suchte auch nicht nach seinem Vater oder seinem Bruder, die irgendwo auf dem Schlachtfeld lagen oder sich bei den Siegern befanden, die sich gerade über das Lager der Franzosen hermachten.

Jetzt, wo der Kampf zu Ende war, starrte er auf den furchtbaren Anblick. Mit einem leichten Schauder sah er die vielen Leichen von Menschen und Pferden, die mit Fahnen und verschiedensten Waffen wirr durcheinander lagen. Hier und da sah man einen Sterbenden, den Arm bittend nach Hilfe ausgestreckt. Und zu allem gesellten sich das dumpfe Wiehern und Röcheln sterbender Pferde und die jauchzenden Siegesrufe der siegreichen Flandern.

Während Jan, das Medaillon streichelnd, die schreckliche Szene betrachtete, hörte er ein Stöhnen, das aus einem Knäuel gefallener Franzosen und Pferde herüberklang. Jan steckte sein Schwert in den Gürtel und suchte. Nachdem er einige Leichen beiseitegeschafft hatte, fand er einen sterbenden flämischen Ritter. Er lag ausgestreckt auf dem Rücken, ganz mit Blut bedeckt. Mit der rechten Hand hielt er sein Schwert umkrampft, als wollte er weiterkämpfen. Seine bleichen Gesichtszüge ließen den nahen Tod erahnen. Jan erkannte Gerald van Nieuwland, der mit ihm zusammen zum Ritter geschlagen worden war.

Jan löste den Riemen des Harnisches und hob den Kopf des Sterbenden aus dem Schlamm. Er ließ sich von einem der vorbeihastenden Flandern etwas Wasser geben und befeuchtete Geralds Lippen. Dankbar schluckte der schwer Verletzte. Der junge van Koninck erkannte, dass der Bolzen einer Armbrust Gerald durch den Harnisch in die rechte Brust geschlagen war und ein Schwerthieb das halbe rechte Bein abgetrennt hatte. Der Blutverlust musste enorm und die Schmerzen fürchterlich sein.

„Du bist ein guter Kerl, Jan“, flüsterte Gerald van Nieuwland, „hier in Flandern hast du keine Zukunft. Hier bleibst du immer nur der jüngere Bruder. Du hast ein mitleidiges Herz. Geh zu den Templern. Da bist du richtig.“

Mühsam hatte van Nieuwland die Worte hervorgequält. Jan sah ihn ausdruckslos an. Natürlich hatte er von den Templern gehört, aber sich bisher keine Gedanken gemacht. Vermutlich weil es zumeist französische Ritter waren, die dem Orden angehörten. Warum sollte er ausgerechnet zu denen gehen. Als wenn Gerald seine Gedanken gelesen hätte, fuhr er leise und stoßweise fort:

„Der Orden ist unabhängig und jeder ist gleich. Bleibst du in Flandern, bist du immer der Jüngste und hast zu tun, was Vater und Bruder dir vorschreiben. Geh zu den Templern.“

Der Sterbende keuchte und hustete Blut. Mit einer Bewegung deutete er an, dass Jan ihm den Brustharnisch komplett entfernen sollte. Vorsichtig löste er die Riemen und zog den Blechpanzer ab.

Als er dabei den Armbrustbolzen aus der Wunde zog, verdrehte Gerald die Augen und wurde ohnmächtig. Jan betupfte die Stirn des ritterlichen Freundes mit Wasser und wartete geduldig, bis er wieder zu sich kam. Als er die Augen wieder aufschlug, nahm er seinen gesunden Arm und hielt sich am Lederwams von Jan fest. Er zog den Freund nah zu sich herunter.

„In meiner Brusttasche“, stöhnte er leise und versuchte mit der verletzten Hand auf seine Brust zu zeigen, „nimm es und zeige es den Templern.“

In Kürze kann man dieses E-Book übrigens auch auf Englisch lesen, dann unter dem Titel „The Templar gold. A historical novel about the whreabouts of the Templar treasure anno domini 1307 von Ulrich Hinse“. Erscheinungstermin ist der 1. Juli dieses Jahres, aber bereits jetzt kann dieses E-Book vorbestellt werden.

Erstmals 1968 erschien im Kinderbuchverlag Berlin die Druckausgabe von „Manne Forschtrat“ von Bernd Wolff: In Möncherode, einem kleinen Ort im Harz, geht der Sommer zu Ende und mit ihm die Ferien. Manfred Witteweg, von Lehrer Hüttenrauch „Forschtrat“ genannt, weil er sich so gut in der Natur auskennt und allerhand Tiere hält, freut sich auf den Neubeginn. Doch dann begeht er einen verhängnisvollen Fehler: Gegenüber seinem Mitschüler Peeke Siemer prahlt er damit, einen von den Waschbären fangen zu können, die sich erst kürzlich in der Gegend angesiedelt haben, und setzt seine sprechende Krähe als Wetteinsatz ein. Von dem Kuhhirten Papa Palm entwendet er dazu eine alte Kastenfalle, die dieser sowieso nicht mehr braucht. Fast gelingt sein Vorhaben, doch da wird er von Fremden gestört. Von nun an geht vieles schief, und Manne muss seine ganze Erfindungsgabe aufbringen, um sich, seine Freundschaften und seinen Tierbestand zu erhalten. Weil aber in Möncherode einer auf den anderen angewiesen ist, findet sich immer wieder eine Lösung, wenn auch mitunter auf Umwegen. Eine lustige Schulgeschichte aus den Sechzigejahren des vorigen Jahrhunderts, in der manches drunter und drüber geht, aber letztlich doch immer weiter. Zum Einstieg hier der Beginn des Zweiten Kapitels, in der „Manne Forschtrat“ nicht einmal mehr dazu kommt, seine Morgenmilch zu trinken, weil sein älterer Bruder Stress macht:

„Wer als Kurgast nach Möncherode in das wunderschöne Ferienheim TANNENBLICK eingewiesen wird, den schickt Heimleiter Paulath zunächst zu Onkel Thalmann in die „berühmte historische Schmugglergaststätte“ KÖHLERTRÄNKE hinter den Hosenbeinwiesen rechts. Meistens hat er dann schon für den Rest des Urlauberdurchganges seine Ruhe.

Ist aber jemand so unersättlich, dass er nach zwei oder drei Tagen um neue Wandervorschläge bittet, dann schabt sich der Heimvater am Kinn, und seine Stirn furcht sich nachdenklich. „Höchstens Hirschbraake – aber da ist keine Gaststätte, nur paar Häuser, da wohnt der Förster und noch zwei Familien. Uninteressant! Bleiben Sie man bei Onkel Thalmann.“

Heimleiter Paulath ist nicht von hier, sonst wüsste er, dass Hirschbraake früher einmal mindestens so bedeutsam war wie die KÖHLERTRÄNKE.

Einstmals entstand es als Mühle, und der Müller wusste genau, warum er sie mitten in der Braake, in Bruch und Sumpf, anlegte, wo ein Uneingeweihter sich bei Nacht und Nebel bös verirren konnte. Aber was hatte wohl ein Uneingeweihter nachts hier verloren?

Heute noch erzählt man sich, dass in den Mehlsäcken aus dieser Mühle wohl zeitlebens mehr Hirsch- und Rehwildbret gereist ist als Gerstenkleie, und den Giebel der heutigen Försterei schmücken immer noch verwitterte Zielscheiben von Schützenfesten, groß wie Wagenräder, die älteste, immer wieder nachgemalt und trotzdem kaum noch zu entziffern, mit der Jahreszahl 1759.

Als aber dann der Schützenkönig-Müller von einem seiner Wilderergänge nicht mehr zurückkam, weil, wie es in einer vergilbten Gerichtsakte heißt, „der forstgehülffe Beckmeyster ihn bey eynem seyner reviergänng hatt anbetroffen/ da er wollt eynen Reh Bock darvon thragen/ und hatt ihm eyne kugel in das hertz geschossen/ und ihn sollchermaszen vom leben zum thode gebracht/ und seynem gottlosen wilderer threyben eyn end gesetzet ..“, da fand sich niemand mehr, der in die abgelegene Mühle ziehen wollte, und die Gebäude verfielen.

Jahrzehnte später wurde Möncherode französisch, gehörte plötzlich, ohne dass es darum gebeten hatte, dem frischgebackenen Königreich Westfalen an, und sein König war Napoleons Bruder Jerome, den die Leute mit grimmigen Gesichtern und knurrendem Magen „König Immer-lustik“ nannten. Da erinnerten sich die jungen Möncheröder, die nicht für Napoleon gegen Russland ziehen wollten, an die alte Mühle in der Hirschbraake, und dort verbargen sie sich vor den Werbern. Damals kam es vor, dass manche kleinen französischen Trupps, die durchs Gebirge zogen, auf Nimmerwiedersehen verschwanden, und man munkelte, Christian Schildknecht mit seinen Jungen werde sie wohl zuletzt gesehen haben … Heute ist der Forstsiedlung Hirschbraake nichts mehr von ihrer rauen Vergangenheit anzusehen. Der Bach hat sich durch stillgelegte Bergwerksstollen ein neues Bett gesucht, der Sumpf, die Braake, ist ausgetrocknet, der Forstwirtschaftsbetrieb hat die Häuser übernommen. Kurgäste, die wirklich einmal hier durchkommen, stimmen darin mit Heimleiter Paulath überein: „Nichemal Brause kiebtes hier, was issen da Pesonderes dranne?“ Für Manne aber ist Hirschbraake etwas Besonderes: Sein Zuhause.

Manne reckt sich vor dem Spiegel in der Küche und bürstet sich. Er lässt das Wasser über die Bürste laufen, bis sie schwer wird und trieft, und dann streicht er das Haar hinter, dass es am Kopf glatt anklitscht. Lehrer Hüttenrauch soll sich freuen, wie ordentlich Manne zur Schule kommt, für Hütte gelingen Manne selbst solche Unmöglichkeiten. Sogar die neuen Schulbücher hat er gestern Abend noch für ihn eingebunden, das Biologiebuch in extra grünes Weihnachtspapier mit lauter kleinen Schneefichten darauf und Rehen dazwischen, man erkennt es auf den ersten Blick heraus. Vielleicht aber ist es auch nur das schlechte Gewissen über das verratene Waschbärengeheimnis, das Manne so eifrig sein lässt?

„Manne, mach hin!“, ruft es vom Hof. „Sonst kannst du nämlich gehen!“ Harrys Jawa heult auf, sie möchte Bewegung haben. Es wird allerhöchste Zeit!

Manne schnappt seine Schultasche. Er sieht: Auf dem Küchentisch dampft die Milch.

Egal, die ist sowieso zu heiß, denkt er, höchstens, dass man sich den Mund verbrennt, und dann muss ich dauernd pusten und kann mir mit ihm nichts erzählen! Die Mutter wird schon nicht schimpfen, wenn sie von der Nerzfarm rüberkommt. Und wenn … Soll er Hütte warten lassen? Er flitzt die Treppe hinunter und ist auf dem Hof.

„Mensch, mache!“, nörgelt Harry. „Bis du fertig bist, kriegt Thalmanns Kater Junge. Dein Bruder hat nicht so viel Zeit, dein Bruder muss Kreuzerle schaffen, von nichts ist nichts. Sitzt du?“ Schon brausen sie los. Das Hoftor bleibt natürlich wieder offenstehen, der Opa würde schön schimpfen, wenn er’s wüsste.

„Hallo Manne!“, ruft Boiko aus seinem Käfig hinterher und behämmert mit dem dicken Schnabel die Gitterstäbe. Manne winkt ihm nur kurz zu. Ab heute geht es wieder andersrum, ab heute ist er im Dienst.

Harry rast wie ein Wilder. Den Hohlweg von Hirschbraake herauf prescht er mit siebzig Sachen. Wehe, wenn da was entgegenkommt! Manne hüpft auf dem Sozius, als hätte er Sprungfedern unter. Bestimmt würde er im Hochsprung eine dicke Eins bekommen, noch dicker als die von Peeke Siemer, aber jetzt ist kein Turnen dran und Peeke schon gar nicht, darüber kann er sich nachher noch Kopfschmerzen machen.

Harry dreht das Gesicht halb herum.

„Sitz ruhig!“, herrscht er ihn an.

Manne denkt sich was anderes aus. Er jodelt. Manne ist ein Cowboy. „Siebentausend Rinder …“, jodelt er. Harrys Jawa ist sein wilder Mustang.

Harry nimmt die linke Hand vom Lenker und dirigiert.“

Zehn Geschichten aus der Kinderzeit erzählte C. U. Wiesner in seinen erstmals 1982 im Eulenspiegel Verlag Berlin unter dem Titel „Machs gut, Schneewittchen“ erschienenen Erinnerungen, über die der Autor später selbst schrieb: Auf  den folgenden  Seiten tauchen die Gestalten meiner Kindheit aus dem Nebel der Vergangenheit auf: der böse Kaufmann Sumpf, dessen Weib ich in ohnmächtiger Rachsucht beinahe umgebracht hätte, der furzende Lehrer Buchhorn, dem ich einen Spitznamen verpasste, der ihm bis zum Lebensende anhing, die Kinder des Reichspropagandaministers auf der Insel Schwanenwerder, der Feldmarschall von Mackensen in der Uniform der Totenkopfhusaren, welcher schmählich im Katzendreck erstickte, und viele andere. Meine Heimatstadt nannte ich 1982 nicht beim Namen, aber sie ist unschwer als Brandenburg an der Havel zu erkennen. Auch die meisten Personen verschlüsselte ich, denn man weiß ja nie. Trotzdem wäre es einmal beinahe schiefgegangen. 1986 veranstaltete die größte Buchhandlung der Stadt eine Signierstunde. Mehr als zweihundert Leser standen Schlange, aber so was war im Leseland DeDeDingsda keineswegs ungewöhnlich. Bei der anschließenden Lesung saß in der ersten Reihe ein Mann, der mir durch seine Schnapsfahne und seinen finsteren Blick auffiel. Leicht verunsichert überlegte ich: Woher kennste denn den Kerl? Nachdem der Beifall verrauscht war, zischte mir der Mann zu: Det is ne Schweinerei von dir, dette jeschrieben hast, wie dolle mein Vadder jeschielt hat. Komm du mir nachher hier raus, sag ick dir! Nun erst erkannte ich meinen ehemaligen Jungenschaftsführer Günter, der in dem Kapitel Als ich ein Großdeutscher Pimpf war zu Recht nicht sehr schmeichelhaft weggekommen ist. Ich verließ die Buchhandlung durch die Hintertür. Wie lange können Ressentiments noch weiterglimmen? Er war damals dreizehn, ich zwölf Jahre alt. Eigentlich sollte der Schutzumschlag ein Mädchen und einen Jungen in der Kinderuniform des Tausendjährigen Reiches zeigen. Dies verhinderte der Leiter des Eulenspiegel Verlages: Solange ich was zu sagen habe, kommen mir keine Nazisymbole auf die Umschläge! Die beiden Kindlein, die auf der damaligen Auflage zu sehen waren, trugen neckisches Zivil. So fragten auf den Buchbasaren viele Käufer: Das ist doch wohl ein Kinderbuch? Dann musste ich sie immer warnend darauf hinweisen, dass in dem Buch viele  unanständiger Sprüche vorkämen. Auch die Titelfigur, mit der ich ja aus reiner Pointensucht nicht durchweg liebevoll umgegangen bin, ist mir noch einmal leibhaftig begegnet. Nach einer Lesung 1989 in der Freien Universität Berlin stand eine ansehnliche Dame vor mir: Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch dein Schneewittchen. Sie hat mir nichts nachgetragen, und solange wir nicht gestorben sind, reden wir ab und an noch gerne miteinander. Wer wissen möchte, wie es dem Erzähler fürderhin ergangen ist, der greife bittschön zu seinem Buche Lebwohl, Rapunzel!

  1. U. W.“

Und hier ein Auszug aus der zweiten der insgesamt zehn Kinderzeit-Geschichten, die mit dem Bahnhofsviertel von Quedlinburg ebenso zu tun hat wie mit einer altmodischen, törichten Hoffnung des Autors wie mit einer sehr gefährlichen Situation für seinen Vater:

Wie meine Laufbahn als KLAVIERVIRTUOSE scheiterte

Man müsste Klavier spielen können, behauptete man vor einem Menschenalter, denn wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen. Was mögen das für rückständige Zeiten gewesen sein! Ein junger Mann von heute würde bei den meisten Mädchen als bleicher Spinner abblitzen, versuchte er, auf diese altmodische Art zu landen, es sei denn, er säße schön und blond wie der Franzose Richard Clayderman im weißen Frack am weißen Flügel und spielte Pour Adeline oder Song Of Joy. Aber wer klimpert sonst schon noch selber auf dem Piano herum, wo es doch viel bequemer ist, eine Platte aufzulegen oder den Rekorder einzuschalten? Im Zeitalter der wachsenden Spezialisierung überlässt man die Musik den professionellen Fachleuten, anstatt sich mit hausgemachter Stümperei abzugeben.

Was mich betrifft, so bin ich ein altmodischer Mensch und bedauere das Dahinsterben des Klavierspielens. Eingeweihte wissen, dass ich nicht von jenem Instrument rede, wie es Annerose Schmidt in internationalen Konzertsälen zu immer neuen Ehren führt. Ich meine jenes Klavier, das in einem Café stand. Drei würdige Herren, Violine, Cello, Piano, gaben dort nachmittags zu Mokka und Kirschtorte die Serenade von Toselli oder das Poem von Fibig, vertauschten nach dem Abendbrot den schwarzen Smoking mit der Lüsterjacke, die Streichinstrumente mit Saxofon und Schlagzeug und spielten zu gedämpftem Licht eine so leise, zärtliche Barmusik, dass man seiner Partnerin beim Tanzen nicht das Ohr abbeißen musste, um ihr mitzuteilen, dass man das erste Mal in dieser zauberhaften Stadt sei.

So was gab es, Ehrenwort! bei uns noch Mitte der sechziger Jahre, zum Beispiel im Bahnhofshotel zu Quedlinburg. Als die Nostalgiewelle trotz allen Hohngeschreis der Presse auch bei uns eindrang, vielleicht nicht so sehr die Seelen wie die Haushalte überspülte, hegte ich die heimliche Hoffnung, auch das Klavier mit seiner dezenten Barmusik würde wieder in unseren Breiten heimisch werden. Ein törichtes Hoffen, wie inzwischen jeder weiß.

Wäre ich nicht ein so faules und undiszipliniertes Kind gewesen, so könnte ich heute mich und die Meinen an den himmlischsten Gaben der Frau Musica laben. In meinem Zimmer stünde ein braunes, matt glänzendes Klavier mit messingnen Kerzenleuchtern. Und wenn mir so wäre, mitten in der Nacht, so setzte ich mich im Schlafanzug auf den harten Schemel, schlüge behutsam den Deckel auf und spielte mit versonnenem Lächeln die Mondscheinsonate.

Geboren bin ich in einer Eckkneipe, im letzten Monat der Weimarer Republik. Die Stammkunden nannten das Lokal den „Blauen Affen“, obwohl es eigentlich ganz anders hieß. Es verkehrten dort Arbeiter, Straßenbahner und Inhaber kleiner Läden, Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilose Kleingärtner. Familienväter versoffen ihren Wochenlohn und Arbeitslose ihr Stempelgeld. Selbst der berüchtigte Zuhälter und Messerstecher Schmalte Brebeck trank ab und an seine Molle und seinen Korn, soll jedoch niemals randaliert haben.

Der „Blaue Affe“ muss eine mächtig verräucherte Stampe gewesen sein, hatte aber außer den herkömmlichen schlichten Getränken auch einiges zu bieten, nämlich Bockwurst mit Kartoffelsalat, Soleier und Buletten und nicht zuletzt das Klavierspiel meines Vaters. Das war nämlich das einzige, was ihm in dieser Kneipe Spaß machte. Als sehr jungen Mann hatte ihn der Rat der älteren Geschwister dazu verdammt, meiner Großmutter am Thresen mannhaft zur Seite zu stehen.

Mein Vater hat nie Klavierspielen gelernt, aber es ist noch heute so mit ihm: Er nimmt ein Instrument zur Hand, fingert ein bisschen daran herum, und schon entlockt er ihm zusammenhängende und durchaus melodisch klingende Töne. Im „Blauen Affen“ spielte er im Nu die allerneuesten Schlager: „In einer kleinen Konditorei …“, „Schöner Gigolo, armer Gigolo …“, „Adieu, du kleiner Gardeoffizier …“, „Es war einmal ein Musikus …“.

Die Schlager des Jahres 1935 hießen: „Regentropfen, die an dein Fenster klopfen …“ und: „Du kannst nicht treu sein, nein, nein, das kannst du nicht …“.

Man sagt mir nach, ich hätte neben Vaters Klavier gestanden und aus voller zweijähriger Kehle mitgesungen.

Es waren schlechte Zeiten für eine Arbeiterkneipe, deren Pächter von der Adlerbrauerei doch ziemlich ausgeräubert wurde. Die verlangte als Pacht vierzig Prozent vom Bierumsatz, wobei Vater natürlich das Bier nur von der Adlerbrauerei beziehen durfte, und das war fast noch schlechter als das, was man heute für gewöhnlich in den Kaufhallen meiner Heimatstadt in seinen Korb fischt.

Meine Mutter hat allerdings noch eine andere Version für den Exodus aus dem Blauen Affen anzubieten: Sie habe um ihr Kind gefürchtet. Einmal sei sie dazugekommen, wie ein betrunkener Stammgast an der Pinkelrinne stand, mit der Rechten sein Gerät bedienend, mit der Linken dem Kleinkind eine angebissene Bulette entgegenhaltend: „Na, Kleener, wiste ma abbeißen?“ Außerdem soll man mich mehrfach gesichtet haben, wie ich in Windeseile Likör- und Bierneigen leerte.

Ohne näher auf solche Legenden einzugehen, will ich nur mitteilen, dass sich meine Großmutter Ende 1935 ins Rentnerdasein zurückzog, während meine arbeitslosen Eltern von ihren letzten Ersparnissen eine mehr als bescheidene Zweizimmerwohnung in der Bahnhofsgegend mieteten. Vater bekam endlich eine dürftig bezahlte Stellung als Fürsorgearbeiter bei der Stadtverwaltung. Es reichte trotzdem nicht hin und nicht her. Großmutter sprang ein und nahm wenigstens einen Fresssack, nämlich mich, in Kost und Logis.

Fortan wohnten wir beide in einem prächtigen dreigeschossigen Jugendstilhaus Am Altstädtischen Markt Nr. 3. Erst vor Kurzem habe ich meiner Frau, die nicht aus dieser Stadt stammt, das Haus gezeigt. Der Marktplatz als solcher ist verschwunden. Busse und Baufahrzeuge donnern um die Ecke. Es staubt und stinkt nach Dieselabgasen.

Vor dem Rathaus stand in meiner Kinderzeit der Kurfürstenbrunnen, eine kunstvolle Bronzegussplastik, Reiterstandbild des Burggrafen Friedrich von Nürnberg unter gotischem Baldachin, errichtet im Jahre 1912. Da waren es gerade 500 Jahre her, dass die Hohenzollern Einzug in die Mark gehalten hatten. Der Brunnen mit seinen Figuren wurde 1945 von der neuen Stadtverwaltung entfernt, zwei Jahre bevor der Alliierte Kontrollrat einen toten Hund noch einmal totschlug: den preußischen Staat. Vielleicht haben wir nach all den schweren Jahren heute den Ansatz gefunden, unser Verhältnis zur Geschichte zu ordnen, es endlich einmal dahin zu bringen, dass Geschichte nicht das langweiligste und widerwärtigste unter unseren Schulfächern ist. Leider können wir bestimmte Schlösser nur mehr in historischen Bildbänden wiederfinden und den viel wertloseren Kurfürstenbrunnen bloß noch auf antiquarischen Ansichtskarten.

Ich betrete das Haus mit Vorsicht, denn ich weiß: Die Erinnerung vergoldet selbst einen Kackhaufen. Und genau über den stolpern wir schon im Hausflur, und er ist nicht vergoldet. Das Treppenhaus wirkt dreckig und verkommen. Erhalten sind wie durch ein Wunder das prächtig geschnitzte Geländer mit den Löwenköpfen und die bunten Glasfenster mit den Blumen- und Bienenornamenten. Es war mal ein hochherrschaftliches Haus. Aber schon nicht mehr, als Großmutter und ich einzogen.

Die Wohnung im zweiten Stock mit ihren vermutlich acht Zimmern war mehrfach geteilt. Großmutter bezog als Untermieterin eine Stube mit Küchenbenutzung. Die Stube war ein kleiner Tanzsaal mit Parkett, einem Erker und dem Balkon, auf dessen Blumenkästen Großmutter weiße und lila Petunien und schon in Friedenszeiten aus Sparsamkeitsgründen Tomaten zog. Die Küche, rundum gefliest und mit einer riesigen Kochmaschine für Holz- und Kohlenbetrieb ausgestattet, hatte etwa die Grundfläche einer Dreiraumneubauwohnung auf der Berliner Fischerinsel von heute.

Schlimm war es bei aller einstigen Hochherrschaftlichkeit nur, wenn man ein menschliches Bedürfnis verspürte. Da zu unserem Wohnungsabschnitt weder Bad noch Innentoilette gehörten, versorgte uns Großmutter mit einem sogenannten Nachteimer. Das war eine höchst sinnreiche Einrichtung aus gutem weißen Porzellan mit geflochtenem Korbbügelgriff. Nach verrichtetem kleinen Geschäft verwandelte sich der Deckel mittels Umdrehens in einen Geruchsverschluss. Ich möchte nicht wissen, was Freunde historischen Haushaltsgeräts beim Staatlichen Antiquitätenhandel in der Frankfurter Allee heutzutage für so ein Gerät anlegen würden, zumal sein Gebrauchswert für Wochenendhäuser ohne Wasseranschluss gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Ich will mich hier auch gar nicht über das sonstige Mobiliar meiner Großmutter verbreiten. Dreimal in ihrem Leben ist die alte Dame noch umgezogen, aber das letzte Mal konnte sie weder ihren Biedermeierlehnstuhl noch das grüne Plüschsofa mitnehmen, auf dem ich als Kind geschlafen habe. Beides und noch etliches dazu wurde zerhackt oder verschleudert. Jahre später bin ich dem Stübchen meiner Kinderzeit wiederbegegnet. Im Märkischen Museum: Berliner Jugendstilzimmer, stand auf einem Pappschild.

Ich führte ein herrliches Leben bei meiner Großmutter. Vom erstarkenden Faschismus, von Wiederaufrüstung und Vorbereitung des zweiten Weltkrieges kriegte ich nichts mit. Einmal fragte mich, während sie mir eine Scheibe Jagdwurst zuschob, die Frau vom Fleischermeister Strehlau, wie man so Kinder fragt: „Na, was macht denn dein Vati?“ Und prompt und nach bestem Wissen antwortete der Dreijährige: „Der schimpft auf die blöden Nazis!“ Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass meine Großmutter den stumpfsinnigen Klotzgesellen, einen fanatischen SA-Mann, mit einer Flasche Cognac, einem Geldschein und vielen guten Worten davon abgebracht hat, Anzeige gegen meinen Vater zu erstatten.“

Und bereits dieser etwas längere Ausschnitt dürfte Lust darauf machen, sich die Kindheitserinnerungen des Claus Ulrich Wiesner einmal genauer anzusehen und Schneewittchen dann auch noch Rapunzel folgen zu lassen. Die Erklärung dazu hat ja der Autor in seiner Beschreibung seines Buches selbst geliefert (siehe weiter oben). Ebensolches Interesse ist aber auch den Templerritter-Büchern von Ulrich Hinse, der ansonsten vor allem durch seinen vornamenlosen Schweriner Kriminalisten EKHK Raschke bekannt geworden ist, zu wünschen sowie dem spannenden Politabenteuerbuch von Wolfgang Schreyer.

Viel Vergnügen beim Ansehen, Auswählen und Lesen, weiter viel Vorfreude auf den bald beginnenden Sommer, weiter eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst. Auch, und wissen Sie eigentlich noch, was eine Jawa war und wer eigentlich den Vorkriegsschlager „Regentropfen, die an dein Fenster klopfen …“ gesungen hatte. Die Auflösung folgt im nächsten Newsletter.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

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