Im vergangenen Jahr wurden am Universitätsklinikum Jena (UKJ) über 600 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, kurz ACS, behandelt. Doch wie wirkt sich der Lockdown in der Corona-Pandemie auf Anzahl und das Verhalten von Herzinfarktpatienten aus? Kommen viele Patienten erst in die Klinik, wenn es schon fast zu spät ist? Das hat eine aktuelle Studie der Jenaer Kardiologen um PD Dr. Sylvia Otto, Oberärztin der Klinik für Innere Medizin I (Kardiologie, Angiologie, und Internistische Notfallmedizin) am UKJ, untersucht. Eine erschreckende Erkenntnis: Bei Herzinfarkt wird häufiger gezögert und Betroffene kommen verstärkt, wenn es schon fast zu spät ist.

„Wir haben im ersten Lockdown weniger Patienten mit akutem Koronarsyndrom behandelt. Im vergangenen Jahr verzeichneten wir gegenüber 2019 durchschnittlich zehn Prozent weniger Fälle. Phasenweise haben wir sogar um die Hälfte weniger Infarktpatienten gesehen“, weiß PD Dr. Sylvia Otto. In der Studie haben die Jenaer Herzexperten die Daten aus der Zeit des ersten Lockdowns im März und April 2020 und die Zeit nach dem Lockdown, Mai und Juni 2020, mit den entsprechenden Monaten aus 2019 verglichen. Ihre Ergebnisse konnte die Gruppe um Oberärztin PD Dr. Otto erst kürzlich auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vorstellen und mit anderen Experten diskutieren, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Bei den 417 Patienten mit akutem Koronarsyndrom in der Studie konnten beispielsweise keine Veränderungen bei den klinischen Merkmalen festgestellt werden, das heißt die meisten Patienten waren männlich und im Mittel 70 Jahre alt.

Außerdem betrachteten Sylvia Otto und ihre Kollegen wie die Einweisung ins Krankenhaus erfolgte. Otto: „Es haben sich deutlich weniger Patienten als gewöhnlich selbst in der Notaufnahme vorgestellt. Auch der Hausarzt wurde gemieden. Die meisten Einweisungen kamen über den Rettungsdienst. Parallel dazu wissen wir aus anderen Untersuchungen, dass die Zahl der außerklinischen Wiederbelebungen infolge eines Herzkreislaufstillstandes signifikant gestiegen ist. Hierunter sind auch Herzinfarktpatienten zu vermuten, die es nicht mehr rechtzeitig in die Klinik geschafft haben.“

Auch im Gespräch mit den Patienten habe sich gezeigt, dass sich ihr Verhalten verändert habe und viele im Lockdown gezögert hätten, sich sofort vorzustellen. „Das hat sicherlich mehrere Gründe, etwa die Angst vor Covid-19, der Wunsch Krankenhäuser nicht zu überlasten, aber auch das Bewusstsein aufgrund des Lockdowns eher zuhause zu bleiben, spielt eine Rolle“, erklärt Otto.

Die Studie ist bereits in der nächsten Phase. Aktuell werden Daten aus der zweiten und dritten Welle gesammelt und mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen aus dem ersten Lockdown verglichen.

Die Jenaer Kardiologen warnen, dass ein Herzinfarkt jederzeit ernst zu nehmen ist, unabhängig von einem Lockdown. Prof. Dr. Christian Schulze, Direktor der Klinik für Innere Medizin I am UKJ: „Bei Symptomen wie plötzlichen starken und akuten Brustschmerzen, schwerer Atemnot und einem massiven Angstgefühl, aber auch Übelkeit, Erbrechen, oder Schmerzen im Oberbauch sollte nicht zweimal überlegt werden, sondern direkt der Notruf 112 gewählt werden. Jede Minute, die vergeht, ist kostbare Zeit.“ Er appelliert: „Herzinfarkt kennt keinen Lockdown. Warten Sie nicht, sondern suchen Sie sofort Hilfe. Nur so steigen die Überlebenschancen.“

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