Nachwuchssorgen im Handwerk existieren eine Weile schon. Einerseits gibt es generell immer weniger Schulabgänger, andererseits erscheinen vielen jungen Leuten Handwerksberufe nicht mehr attraktiv genug. Neben dem demografischen Wandel hat auch die Corona-Krise die Ausbildungssituation in ganz Deutschland weiter verschärft. So bleiben seit Jahren viele Ausbildungsstellen unbesetzt. Dabei sind Handwerker stark nachgefragt. Vorbei sind die Zeiten, als es vom Handwerk hieß, man mache sich die Finger schmutzig und den Rücken kaputt. In fast allen Bereichen des Handwerks hat Hightech und Digitalisierung Einzug gehalten.

Im Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen mit seinen Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb ist die Ausbildungslage vergleichsweise gut. Bereits jetzt haben sich mehr Jugendliche als im vergangenen Jahr für eine Ausbildung im Handwerk entschieden. Ende Mai wurden 697 Ausbildungsverträge registriert – das sind 11,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Bau- und Ausbaugewerbe mit aktuell 197 neu eingetragenen Lehrverhältnissen ergibt sich daraus sogar ein Plus von 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch das Elektro- und Metallgewerbe konnte mit insgesamt 262 Verträgen um 9 Prozent zulegen und das Holzgewerbe verzeichnet mit aktuell 29 Neuverträgen ein Plus von 7 Prozent. Die meisten Lehrverträge wurden bisher in den Berufen Anlagenmechaniker/in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (76), Zimmerer/in (59), Kfz-Mechatroniker/in (55), Elektroniker/in (45), Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Mauer/in (41) sowie Friseur/in (39) abgeschlossen.

Die Ausbildungsbereitschaft vieler Betriebe in der Kammerregion ist also trotz des zunehmenden Wettbewerbs um Talente und der aktuellen pandemiebedingten Einschränkungen nach wie vor hoch. „Die Bereitschaft auszubilden ist da, auch wenn die Umsetzung durch die Pandemie recht schwer war und ist, da Schulen zum Teil geschlossen waren und Bewerbungsgespräche teilweise nur online stattfinden konnten“, sagt Harald Herrmann, Präsident der Hand-werkskammer Reutlingen. „Bei diesen Bedingungen ist es also sehr erfreulich, dass wieder mehr Jugendliche eine berufliche Ausbildung im krisenfesten Handwerk vorziehen. Das ist sicherlich auch ein Verdienst unserer Betriebe, die trotz Corona weiter ausbilden und kein Lehrverhältnis gelöst haben, und auch der Kammer, die unablässig die Werbetrommel für eine Ausbildung im Handwerk rührt.“

Um ihren Fachkräftebedarf zu decken, setzen Handwerksbetriebe weiterhin auf eine Ausbildung im eigenen Unternehmen – darunter auch immer mehr Betriebe, die noch nie ausgebildet haben. Auch Stefan Hofmann von bauen4u aus Rottenburg am Neckar legte erst im April dieses Jahres die Ausbildereignungsprüfung ab, um zukünftig junge Zimmerinnen und Zimmerer auszubilden. „Ich möchte mein umfangreiches Fach- und Bauwissen weitergeben und einen Beitrag dazu leisten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“ so Hofmann, der sich in der glücklichen Lage sieht, ab Oktober zwei Zimmererlehrlinge im Betrieb zu haben. Tim Michelberger, Produktionsleiter und zukünftiger Ausbilder bei Fuchs-Treppen in Herbertingen, hat sich ebenfalls entschlossen, in diesem Jahr erstmals auszubilden und ist nun auf der Suche nach jungen motivierten Auszubildenden: „Auch in der Corona-Krise hat sich das Handwerk als krisensicher erwiesen. Und da wir nach wie vor eine konstant gute Auftragslage haben, hoffen wir auf einen Trend zurück zur Handwerksausbildung. Deswegen möchten wir zukünftige Fachkräfte nach unseren Vorgaben und Standards ausbilden und sie auch langfristig an den Betrieb binden. So können wir in Zukunft unseren Personalbedarf decken.“ Ausbilden möchte Tim Michelberger Metallbauerinnen und Metallbauer in der Fachrichtung Konstruktionstechnik.

Noch haben Schulabgänger, aber auch Studienabbrecher, gute Chancen, ihren Traumberuf im Handwerk zu finden. In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Reutlingen werden derzeit noch 1.000 Ausbildungsplätze in 72 verschiedenen Berufen angeboten. „Wer als junger Mensch eine Berufsausbildung absolviert, hat als gut ausgebildete Fachkraft eine sehr gute Berufs- und Lebensperspektive“, macht der Präsident den Jugendlichen Mut, sich für das Handwerk zu entscheiden.

Informationen zu Handwerksberufen, freie Lehrstellen und Praktika in der Region gibt es unter www.hwk-reutlingen.de/… und in der App „Lehrstellenradar“.

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