Wie wäre es, einmal aus der Welt in Halbwelten zu reisen und erstaunliche, übernatürlich Kräfte zu haben? Genau das passiert einem zu Beginn des zweiten der insgesamt fünf aktuellen Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 11.06. 21 – Freitag, 02.07. 21) zu haben sind, gerade mal zwölfjährigen Mädchen, das bei seinen Großeltern aufwächst, weil seine Eltern nicht mehr leben. Und das ist der Anfang der aus insgesamt vier Büchern bestehenden Nadja-Kirchner-Fantasy-Reihe von Johan-Nerholz. Nadja Kirchner, so der Name dieses Mädchens, erlebt höchst merkwürdige Angriffe, bekommt aber auch höchst merkwürdige Hilfe und erlebt jede Menge Abenteuer zwischen Welten und Halbwelten. Und mal ganz ehrlich, wo hat man schon mal sprechende Raben erlebt?

Eine Oper von Georg Friedrich Händel ist Ausgangspunkt für eine Geschichte aus dem alten Indien von Waldtraut Lewin – „Poros und Mahamaya“, in der auch ein gewisser Alexander der Große eine für ihn ungewöhnliche Rolle spielt.

Ein tragisches Familienschicksal, darum geht es in „Uns hat Gott vergessen. Tagebuch eines langen Abschieds“ von Wolfgang Held.

Tödliche Schüsse in einer Leipziger Nacht markieren den Beginn des Krimis „Der Vierfachmord von Stötteritz“ von Jan Flieger: Vier Tote, doch der Täter kann fliehen. Was steckt dahinter? War es ein Auftragsmord oder eine Verzweiflungstat? Starben die anderen zur Ablenkung? Läuft gar einer der Verdächtigen Gefahr, das nächste Opfer zu werden?

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Erneut geht es in dieser Woche eine Bedrohung, die von faschistischen deutschen Besatzern eines skandinavischen Landes im Zweiten Weltkrieg ausgeht und vor allem um den Widerstand dagegen, der alles andere als einfach ist und dennoch gewagt werden muss, um eine möglicherweise weltweite Katastrophe zu verhindern. Was wäre geschehen, wenn die Nazis Atombomben hätten bauen und vielleicht sogar einsetzen können?

Erstmals 1974 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik als Heft 50 der Meridian-Reihe „Schwalbe bitte kommen“ von Hasso Grabner. Der vorliegende Text entspricht Passagen des Romans „Geheimsache Norsk Hydro“. Er wurde für die Meridianreihe bearbeitet: Im Süden Norwegens, in den Bergen versteckt, befindet sich das Ammoniakwerk Norsk Hydro. Bedeutend ist das schwere Wasser, das dort im Verborgenen produziert wird. Die deutschen Besatzer übernehmen das Werk und forcieren die Produktion von schwerem Wasser, das für die geplante Atombombe benötigt wird. Zwei Deutsche und die norwegische Widerstandsgruppe drosseln die Produktion, verunreinigen das Deuteriumoxid und versuchen mit allen Mitteln, die Produktion von schwerem Wasser zu sabotieren. Da das nicht ausreicht, werden von einem britischen Flugzeug Offiziere der Norwegischen Armee über den Bergen abgesetzt, die die Anlage sprengen. Ihr Sprengstoff reicht nicht für die vollständige Zerstörung, so dass die Anlage trotz aller mutwilligen Verzögerung wieder aufgebaut wird. Da kommen US-amerikanische Bomber. Hier ein kurzer, spannender Auszug, in dem sich zeigt, dass manches doch anders ist als von den Widerstandskämpfern gedacht und geplant. Denn auch die Nazis waren nicht untätig geblieben:

„Die Glocken der Markuskirche hatten die erste Stunde des neuen Tages noch nicht angekündigt, als Arne mit Tor Nielsen in der Straßenmeisterei erschien. Der Bürgermeister und Gustav Henrichsen warteten schon voller Ungeduld. Arne versuchte, seiner gestrigen Erfahrung gedenkend, die Begrüßung abzukürzen.

Der Leutnant wehrte ab. „Keine Bange, ich habe heute Ausgang. Zapfenstreich in vierundzwanzig Stunden.“ Dann bat er Gustav Henrichsen um einen Bericht über die militärische Lage im Ort.

Der Konstrukteur war informiert. Er breitete einen Katasteramtsplan von Rjukan aus, der alle Einzelheiten enthielt. Es war nahezu jeder deutsche Soldat erfasst, ob und wie motorisiert, Quartier, Bewaffnung. Anschließend legte Henrichsen einen ungefähren Postenplan vor, den er mit Hilfe Solveig Lundegaards aufgestellt hatte. Die gleichen Unterlagen, nur noch genauer, besaß Henrichsen vom Werk, einschließlich der beiden Kraftwerke. Hier waren alle Sicherungsmaßnahmen eingezeichnet, die Scheinwerfer und ihr Schwenkbereich, die ungefähre Ausdehnung des Minengürtels, die spanischen Reiter, die Alarmanlage und natürlich die Posteneinteilung.

„Saubere Arbeit“, lobte der Leutnant, und der Bürgermeister von Rjukan, Jens Paulsson, nickte zustimmend.

Dann entwickelte Nielsen seinen Plan. Die Gruppe „Schwalbe“ sollte die Arbeit ganz allein machen. Wenn es nur irgend ging, sollte keiner der Ortsansässigen einbezogen werden. Ihre Hilfe sollte nur in Anspruch genommen werden, wenn irgendetwas nicht klappte. Ein Mann sollte bereitstehen, den Hauptlichtschalter zu bedienen. Die Alarmanlage sollte an einer Abzweigung für kurze Zeit unterbrochen werden.

„Und was mache ich denn nun bei der ganzen Geschichte?“, fragte Jens Paulsson.

Tor schmunzelte. „Sie beschaffen sich ein ordentliches Alibi, wenn Sie es nicht vorziehen, eine kleine Reise nach Schweden zu unternehmen.“

„Werden dort Bürgermeister gesucht?“, fragte Jens.

„Dort nicht, aber vielleicht hier“, entgegnete Tor.

Stille erfüllte den Raum. Jeder fühlte, es war so schön, einen Schlag gegen den verhassten Feind zu planen. Aber welche Ausmaße hatte der Gegenschlag?

„Also, was ist – wer verreist vorher? Es ist bestimmt besser“, sagte Tor Nielsen mit großem Ernst.

Gustav Henrichsen antwortete: „Lieber junger Freund, unsere Antwort ist schon alt, tausend Jahre und mehr:

Der ängstliche Mann meint ewig zu leben,

meidet er Männerkampf,

einmal aber bricht das Alter den Frieden,

den der Ger ihm gab.

Manchmal ist es gut, sich der Weisheit der Alten zu erinnern. Von uns geht keiner.“

Jens Paulsson und Arne Bö nickten nachdrücklich. Weitere Worte erübrigten sich. Dann verließ einer nach dem anderen den Gesprächsort.

„So spät noch“, scherzte der Bürgermeister, als Arne an Solveigs Straße abbog, aber der junge Mann lächelte nicht einmal verlegen.

Knut Krohg wartete bereits in Solveigs Wohnung, und sie machten sich zu dritt unverzüglich auf den Weg zur Straßenmeisterei. Solveig hatte einen großen Thermosbehälter voll Tee sowie Zucker und Tassen eingepackt, was Tor Nielsen zu der Bemerkung hinriss, es kämpfe sich weiß Gott leichter mit Frauen.

Knut, von Arne auf dem Weg schon hinreichend unterrichtet, hielt sich nicht lange bei allgemeinen Worten auf. „Was und wie sollt ihr sprengen?“, fragte er.

Tor Nielsen legte die Zeichnung der Deuteriumoxid-Hochkonzentrierungsanlage vor. Eine exakte Zeichnung. Sie stammte von Leif Narvestadt, Norwegens bedeutendstem Physiker, früher Professor in Trondheim. Narvestadt hatte die ganze Norsk Hydro im Kopf, schließlich war das Werk nach seinen Plänen entstanden. Jetzt setzte er sich in England dafür ein, sie zu zerstören, und beriet die Männer der eigens dafür aufgestellten Truppe „Special Operation Executive“ fachlich. Damit zog er sich zwar die Feindschaft der Konzerngewaltigen von Norsk Hydro zu, denen eine mögliche Zerstörung Europas nicht so schlimm erschien wie der Verlust ihrer eigenen Fabrik, aber das hielt den Professor nicht ab. So hatte er der Gruppe „Schwalbe“ die Zeichnungen übergeben. Sie enthielten alle neuralgischen Punkte der Anlage und Angaben über die benötigte Sprengmasse.

„Reispapier, essbar. So viel Zeit muss sich sein Besitzer im Notfall noch verschaffen, um es hinunterzuwürgen“, erklärte Tor.

Knut lächelte. „Papier! Mehr aber auch nicht. Die Faschisten haben nicht geschlafen. Dank ihrem Doktor Nentwig sieht die Anlage heute ganz anders aus. Deine Punkte, Leutnant, würdest du vergeblich suchen.“

Tor biss sich auf die Lippen. Daran hatte noch keiner gedacht.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 2020 veröffentlichte Johan Nerholz als Eigenproduktion der EDITION digital Die gesamte „Nadja Kirchner-Fantasy-Reihe“ in einem E-Book – insgesamt vier Bücher. Hier zunächst ein „Fahrplan“ für diese lange Reise durch Welten und Halbwelten: Ein zwölfjähriges Mädchen, das keine Eltern mehr hat, wächst in einem Dorf bei ihren Großeltern auf. Auch wegen ihrer guten Leistungen in der Schule wird die kleine und stille Nadja von anderen Jungen aus dem Dorf angefeindet und sogar angegriffen. Doch niemand scheint ihr zu helfen. Da findet sie eines Tages einen jungen Raben, den sie mit nach Hause bringt. Gemeinsam mit ihren Großeltern pflegt sie ihn gesund. Und dann wird das Tier offensichtlich von seinen Raben-Eltern abgeholt. Einer der beiden Raben ist riesig. Als Nadja kurze Zeit später wieder von einigen Jungen angegriffen wird, kommen ihr die Raben zu Hilfe und vertreiben die Angreifer. Kurz darauf wird Nadja  in die Senke gelockt, die früher mal ein kleiner See war und die schon lange kein Mensch mehr betreten konnte. Dort gibt sich ihr der riesige Rabe Rontur zu erkennen. Er ist der Anführer der Raben und kann sprechen.

Ab sofort steht das Mädchen unter dem Schutz dieser Vögel. Und Nadja lernt sich zu wehren – auch mit übernatürlichen Mitteln. Die braucht sie aber auch, da das Mädchen von übernatürlichen Gestalten angegriffen wird. Zu ihrem Schutz wird der riesige ehemalige Dämonenhund Takesch abgestellt. In diesem Zusammenhang lernt Nadja auch eine ihr bisher unbekannte Seite ihrer bei einem mysteriösen Autounfall getöteten Mutter Manuela kennen. Sie war einst Bannherrin des Sees gewesen und hatte damit auch für den Schutz der Raben gesorgt. Und der Dämonenhund Takesch war damals Beschützer ihrer Mutter. Im weiteren Verlauf der Handlung, die mehr und mehr zwischen der Wirklichkeit und dem Reich der Fantasy changiert, muss sich Nadja auch noch ganz anderer Feinde erwehren, und sie lernt Dinge kennen und beherrschen, die kein Mensch leisten kann. Schließlich kommt es zu einem alles entscheidenden Kampf. Und Nadja trifft eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen.

Seit einem Jahr haben die Raben ihren Frieden mit Korfylos geschlossen und auch Nadja kann wieder in Ruhe leben. Aber dann passiert etwas, dass man ihr unbedingt verheimlichen will. Nur durch Zufall erfährt sie davon.

Kurz vor den Sommerferien erfährt sie, dass ihr einstiger Beschützer und Freund, der ehemalige Dämonenhund Takesch, bei der Verteidigung ihrer Welt und der der Geister und Raben in die Halbwelt entführt wurde. Er und seine Gefährtin Dinara lebten seit nunmehr einem Jahr an der Grenze dieser Welt und trugen zum Schutz der Welten bei, in der die Menschen, die Raben, Geister und alle anderen Gestalten leben. Niemand kann Takesch dort, wo er jetzt ist, noch helfen.

Die Gefahr ist groß, dass er in der Halbwelt beeinflusst und als Waffe gegen die Raben und die Geister eingesetzt wird. Kaduro, der Herrscher der Halbwelt, will auch diese Welten einverleiben und beherrschen. Nadja beschließt, Takesch aus den Fängen des Herrschers der Halbwelt zu befreien. Dabei zieht sie sich den Zorn von Rontur, dem Anführer der Raben, zu.

Heimlich bricht sie auf. Am Anfang begleitet sie der Hund Prutorius, der seinen Dämon abgeschüttelt hat. Nach und nach kommen immer mehr dazu, um ihr beizustehen. Auch in der Halbwelt findet sie Helfer. Sie erlernt weitere Strategien der Verteidigung und trotzdem ist sie am Ende froh, dass sie nicht allein in der Zwischenwelt ist. Es kommt zum entscheidenden Kampf, bei dem Geister, Raben und alle anderen Verbündeten zur Stelle sein müssen. Wird sie es schaffen, Takesch aus den Fängen des Kaduro zu befreien?

Nadja Kirchner hat es wieder einmal geschafft. Nur noch ein paar Tage und dann ist die Klasse 9 vorbei. Endlich Ferien! Aber es kommt wieder einmal anders. An einem der letzten Schultage wird die Bannherrin der Senke in der Nähe der Schule von mehreren Kapuzengestalten angegriffen. Das Mädchen kann sich zwar verteidigen, aber allein kommt sie nicht weiter. Nur der Einsatz der Raben, Kuriergeier, ehemaligen und aktiven Dämonenhunde sowie von Korfylos verhindern Schlimmeres.

Ihre tierischen und geisterhaften Freunde bringen Nadja zu den Großeltern, wo das elternlose Mädchen lebt, und auch hier wird sie sofort in der Scheune angegriffen. Nadja darf ab sofort das Gehöft nicht mehr verlassen, bis alle Palekopten wieder eingefangen sind. Sie kann ihre Ferien jetzt nur noch zum Training in der Scheune nutzen.

Es geschehen nun merkwürdige Dinge. Was haben der alte Mann und sein Enkel mit den Palekopten zu tun? Warum haben die Zyklopen versagt, die eigentlich diese gefährlichen Wesen auf ihren Inseln bewachen sollten und warum wollen die ausgebrochenen Palekopten mit dem Mädchen ausgerechnet in die Halbwelt?

Irgendwann kann und will Nadja nicht mehr auf dem Gehöft bleiben. Sie entschließt sich, durch ein gewagtes Unternehmen die Angelegenheit zu beenden. Aber es geht nicht alles gut und sie muss das Unmögliche wagen, um das Leben vieler Raben zu retten und die Sicherheit der Senke wieder zu gewährleisten!

Nadja Kirchner ist eigentlich, nachdem sie einen Tag in Berlin unterwegs war, auf dem Weg nach Hause. Aber sie wird im Zentrum der Stadt Zeugin eines Autounfalls, bei dem ein kleines Kind verletzt wird. Dabei hindert sie einen Jugendlichen daran, das bewusstlose Kind zu fotografieren und hilft dem kleinen Jungen heimlich mit ihren magischen Heilfähigkeiten. Auf dem Weg nach Hause wird sie von dem Jugendlichen und zwei seiner Kumpane verfolgt und auf einem verlassenen Hinterhof angegriffen. Mühelos gelingt es ihr, die drei Angreifer in die Flucht zu schlagen. Als sie meint, es sei vorbei, und den Hof wieder verlassen will, wird sie noch einmal von etwas angegriffen, das sie nicht identifizieren kann.

Die jugendliche Nadja kann auch diesen Angriff abwehren, weiß aber sofort, dass es sich hier um kein natürliches Lebewesen handeln kann. Sie geht davon aus, dass dieser Angriff nur erfolgte, weil das Wesen gestört wurde, und verlässt den Hof. Einige Zeit später erfährt die inzwischen siebzehnjährige Schülerin, dass es sich um einen verirrten, jungen Zanura handelt und dass eine alte Unsterbliche auf der Suche nach ihm ist, um das Junge zu töten. Das darf ihr nicht gelingen, denn sonst sind wieder einmal die Welten der Raben, Geister und anderer Wesen in Gefahr, denn die versteckt lebenden Zanuren würden sich an jedem rächen, der ihnen über den Weg läuft. Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Die Raben nehmen das Junge deshalb in Gewahrsam und verstecken es in der Senke.

Aber auch Nadja Kirchners Leben ist in unmittelbarer Gefahr, denn die alte Sumpfbewohnerin Iorla ist Nadja auf den Fersen, weil sie nicht daran glaubt, dass die Raben nicht wissen, wo sich der Zanura aufhält. Schließlich ist Nadja die Bannherrin der Senke, in der die Raben leben. Iorla sucht viele magische und nichtmagische Wesen auf und sammelt jede Information über Nadja, die sie bekommen kann. Allen in der Senke ist klar, dass der junge Zanura schnell wieder zu seinen Artgenossen zurück muss und sie setzen alles daran. Wird das gelingen und verschont die alte Iorla Nadja? Und so beginnt die Fantasy-Sammlung – und zwar mit einem schrecklichen Ereignis:

Nadja Kirchner und die Raben aus der geheimnisvollen Senke

Der Tod der Bannherrin

An einem einsamen Feldweg stand ein alter Baum, dessen Stamm vollständig mit Moos überwuchert war. Er war schon lange ohne Leben und konnte jeden Augenblick umfallen, die Fäulnis war unübersehbar. In dieser einsamen Gegend gab es erst einige Kilometer entfernt Dörfer. In der feuchtkalten und nebeligen Dunkelheit konnte niemand sehen, was gerade am toten Baum geschah. So waren sich die Vögel, die auf dem Baum saßen, sicher, dass sie ungestört blieben. Ein riesiger Rabe und ein weiterer, viel kleinerer Vogel saßen dort und rührten sich nicht. Sie schienen auf etwas zu warten und dann kam tatsächlich noch ein Rabe angeflogen. Er ließ sich bei den oben sitzenden Vögeln nieder und schüttelte ausgiebig sein Gefieder.

„Es ist wahr. Sie sind beide tot“, sagte der angekommene Rabe.

„Ist das alles?“ Der große Rabe sah den Neuankömmling erwartungsvoll an. Dieser fuhr fort: „In wenigen Augenblicken wird die Polizei der Menschen angekommen sein. Die Feuerwehr ist schon da. Sie sprechen von einem Unfall. Man sagt, dass die Kriminalpolizei unterwegs ist.“ Der Vogel japste und begann zu zittern.

„Man wird nichts finden.“ Der dritte Rabe, ein weibliches Tier, hatte sich zu Wort gemeldet.

„Bist du dir so sicher, Antarpha?“, fragte der Neue.

„In solchen Fällen findet man nie etwas“, antwortete ihm die Rabenfrau.

„Die anderen haben nichts gemerkt?“ Der große Rabe hatte sich wieder an den Neuankömmling gewandt. Der plusterte sich auf. Ihm schien das Wetter nicht zu gefallen.

„Nein! Die Sache mit der Kleinen hat unser Ausbilder Taukius schnell und gründlich erledigt“, erläuterte er.

„Wer war alles dabei?“ Der große Rabe war neugierig.

„Schwer zu sagen, Rontur. Jedenfalls viele und nicht nur von uns! Alle haben das als letzten Dienst an ihr betrachtet. Es war noch keiner von den Menschen da, als Taukius handelte.“

„Was ist mit dem Kind?“, fragte Antarpha.

„Das dürfte jetzt zu Hause sein. Niemand außer uns weiß, dass es dabei war.“

„Gut so!“, war die Rabenfrau wieder zu hören.

„Die armen Großeltern der Kleinen! Werden sie es schaffen?“ In der Stimme des zuletzt angekommenen Raben klang großes Bedauern mit.

„Das werden sie!“ Das Weibchen klang zuversichtlich.

„Kennt jeder seine Aufgabe?“ Der große Rabe war hellwach. Er schien die letzten Worte seiner Gesprächspartnerin zu ignorieren.

„Es ist lange her, dass wir so eine gefährliche Situation hatten. Aber ich denke, jeder weiß, was zu tun ist. Die Jungen funktionieren erstaunlich gut. Auch der Riesengeier Reikosch ist gekommen, als er von der Sache erfuhr und hilft uns.“

„Was tut er?“ Rontur schien überrascht zu sein.

„Er überwacht den Luftraum! Sollten die Jungen einen Fehler machen, gleicht er diesen ganz sicher aus. In der Senke ist auch alles gut. Dort kümmern sich Griseldis und die Wasserhexe Iri um die Sicherheitsvorkehrungen. Da geht nichts schief.“

„Schön. Aber was hat Reikosch mit der Sache zu tun?“ Der große Rabe wunderte sich immer noch.

„Nichts. Aber er dachte sich, ein bisschen Hilfe könne nicht schaden. Auch er kannte schließlich die Frau.“

Rontur blickte in die Dunkelheit und nickte versonnen. „Stimmt, und mit seiner Hilfe liegt er sogar richtig.“

„Schön, dass Reikosch dabei ist. Er ist ein alter Haudegen. Mit dem wird so schnell keiner fertig“, sagte die Rabenfrau.

„Ich bedauere alles zutiefst. Aber nun können wir es wohl nicht mehr ändern.“ Der Neuankömmling warf einen hoffnungsvollen Blick auf den großen Raben. Dieser schüttelte den Kopf.

„Das können und dürfen wir nicht. Es wird wohl in Zukunft für uns nicht einfacher werden.“

„Wann war es schon jemals einfach gewesen“, warf der Neuankömmling ein.

„Richtig!“ Der weibliche Rabe sagte das ohne Emotionen.

„Jetzt müssen wieder alle ran. Das hatten wir alles schon, Antarpha!“ Der große Rabe hatte sich mit diesen Worten an die Rabenfrau gewandt.

„Auch die Jungen?“, fragte der zuletzt Gekommene. Rontur brummte zustimmend.

„Auch die! Sie sind ja schon dabei! Ich habe immer gehofft, dass ihnen die Zeiten, die wir einst durchmachten, erspart blieben. Aber nun können es die Alten allein nicht mehr schaffen. Der Schutz muss verstärkt werden. Wir brauchen sie.“ Die beiden anderen Raben senkten zustimmend die Köpfe. Dann drehte sich der Große noch einmal zu dem zuletzt angekommenen Vogel um. „Und es hat niemand etwas gesehen?“

„Nein! Wir haben alles geprüft.“ Der Rabe trat jetzt selbstbewusst auf.

„Ihr habt alles richtig gemacht!“, beruhigte der Große die beiden.

„Wir hätten gern mehr für sie getan. Jara war sofort zur Stelle. Sie hat alles versucht, um ihr Leben zu retten. Leider vergeblich!“

„So kenne ich meine Schwester“, sagte die Rabenfrau stolz.

„Sie ist von uns allen die Unglücklichste.“ Der Rabe war jetzt sehr traurig.

„Sie soll sich keine Sorgen machen. Wenn sie nicht mehr helfen konnte, konnte es keiner. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir müssen nun nach vorn schauen.“ Der Riesenrabe sprach es resolut.

„Sie sind also endgültig tot. Alle beide!“ Ein wenig Resignation schwang in der Stimme des Ankömmlings mit.

„So ist es und damit haben wir jetzt ein neues und viel größeres Problem. Unsere Bannherrin ist tot. Wir waren darauf nicht vorbereitet. Das Problem müssen wir umgehend lösen“, ergänzte der weibliche Rabe.

Erstmal 1987 veröffentlichte Waldtraut Lewin im Kinderbuchverlag Berlin „Poros und Mahamaya. Eine Geschichte aus dem alten Indien, erzählt nach der Oper „Alexander in Indien“ von Georg Friedrich Händel“: Auf seinem Eroberungszug ist Alexander der Große bis nach Indien vorgedrungen. König Poros, Herrscher eines indischen Teilreiches, leistet ihm Widerstand – und wird besiegt. Anders verhält sich die kluge Königin Mahamaya, seine Geliebte, die einen anderen Teil Indiens beherrscht. Sie versucht, mit dem Eroberer auf diplomatischem Weg klarzukommen und erregt damit die rasende Eifersucht des Poros, die ihn zu wilden überstürzten Aktionen treibt, bei denen beinah er als auch Mahamaya Leib und Leben verlieren. Alexander allerdings muss vor der ihm weitgehend unverständlichen Mentalität des fremden Landes kapitulieren. Er zieht sich zurück. Poros und Mahamaya versöhnen sich und herrschen gemeinsam über ihre Länder. Hier der Beginn dieser Geschichte aus dem alten Indien:

Erster Teil

Das Wasser war grün und undurchsichtig, und der Knabe bemühte sich, sein Ruder so behutsam wie möglich einzutauchen, um die glatte Fläche nicht zu zerstören. Zu beiden Seiten stand der Wald hoch, dicht und dunkel. Schlinggewächse hingen überm Fluss gleich verknoteten Schlangen.

Im Bug des Schiffchens kniete die kleine Fürstin und sah geradeaus. Gold und Farben ihrer Kleidung leuchteten auf bei jedem Sonnenblitz, der durch das Blätterdach drang. Dazu schrien die bunten, nicht jagdbaren Vögel. Krokodile lagen wie Baumstämme im Uferschlamm.

Hinter der Flussbiegung nahm die Strömung zu, ein Sog unter der öligen Wasserhaut. Der Knabe hielt die Bootsnase geschickt gegen die Wirbel im Gleichgewicht, ohne die Augen von dem Mädchen abzuwenden; er war mit dem Gewässer vertraut.

Endlich wichen die Bäume zurück. Eine Treppe schwang sich in gelassenem Bogen zum Wasser, und zwischen dem Schilf leuchteten die üppigen Hüften der tanzenden Göttinnen aus Stein, die die grauweißen Mauern schmückten, erstarrt in der Bewegung, den Fuß erhoben, die Hände in bedeutungsvoller Geste zum Himmel gebogen.

„Wir sind da“, sagte der Knabe halblaut und lenkte das Schiffchen ins tote Wasser, ließ es zur Treppe treiben. Erst als er ausgestiegen war und ihr die Hand hinstreckte, erhob sie sich von den Knien und sprang leicht an Land.

Der Tempel stand wie verlassen. Ein paar Affen hüpften mit Gekreisch über die Simse. Irgendwo drinnen schlug ein Gong. Zögernd, ohne sich anzusehen, schritten sie vorwärts, über die von Gras und Kraut bedeckten Quader auf den Ton zu, durch die klaffenden, aus den Angeln gewuchteten Tore von grünspanblindem Kupfer, deren getriebene Arbeit nur noch undeutlich zu erkennen war. Eine große Schlange ringelte träge von einer Säule herab.

Sie gingen auf das Licht los, das aus dem Dämmer schien. Unversehrt stand die innere Halle. Das Feuer auf dem Altar loderte, und um das Heiligtum strahlten hoch oben brennende Lampen ein goldnes Licht aus. Am Boden hockten auf untergeschlagenen Beinen zwei Greise und beugten sich über ein Schachbrett. Nie hatte man Verschiedenere gesehen: Der eine trug ein seidenes Obergewand, der andere einen härenen Fetzen von Kutte, gegürtet mit einer Waldrebe. Der eine hatte goldgestickte Stiefel an den Füßen, der andere war barfuß. Der eine trug einen goldnen Reif um das weiße, zum Knoten gebundene Haar, dem anderen wallten Bart und Locken struppig bis zum Gürtel herab, und wildes Blattwerk, von Bienen umsummt, hing darin.

Die Kinder schlossen die Augen, legten die Handflächen vor der Stirn zusammen und sanken in die Knie vor den Vätern.

Die beiden Männer, die hier das Königsspiel spielten, galten vor der Welt als tot.

Beide hatten sie in ihrer Jugend mächtige Reiche beherrscht, sie hatten Kriege geführt und Paläste gebaut, geliebt, gehasst und gemordet, gelitten und gehofft. Ihre Taten waren zahlreich gewesen, wechselnd gute und böse, wie es zugeht in der Welt. Als sie aber älter wurden, erkannten sie, wie eitel ihr Streben war, und die ganze Welt wurde ihnen zum Schein, zum Schleier der Maya, und in ihren Herzen wuchsen die Sehnsucht nach Frieden und Weisheit und der Wunsch, dem ewigen Wechsel der Gestalten zu entfliehen. Jeder von ihnen wählte einen anderen Weg zur Erfüllung.

Asbita, der Vater des Mädchens, war seit jeher Wissenschaft und Künsten zugeneigt gewesen. Als er noch herrschte, war mehr als die Gewalt die List sein Teil gewesen, und er war schlangenklug und wohlberedt. Lange Tage und Nächte sprach er in seinen glänzenden Hallen mit den Weisen und Wissenden und lernte von ihnen, bis er sie alle übermochte an Geistesstärke und kühnem Flug des Denkens und an Weisheit von keinem Sterblichen erreicht wurde.

Man begann von weit her um seinen Rat zu fragen, und die heilige Ehrfurcht und fromme Scheu, die man seinem Haupt entgegenbrachte, übertrug sich gleichsam auf sein Reich und dessen Frieden. Kaum ein Fürst wagte mehr, die Grenzen des Landes zu verletzen. Er war ein Schakravartin, ein Weltherrscher, wie jene, von denen die alten Mythen erzählen, dass sie ohne Kampf und Streit ihre Länder regierten, so weit ihr Wagen sie trug und ihr heiliges Ross lief.

Bei all dem war aber Asbita nicht glücklich, sondern mehr und mehr erfasste seine Seele das Verlangen zu erfahren, was hinter dem Vorhang war. Nach Anleitung der Büßer und Brahmanen, die seine Freunde waren, begann er mit jenen Übungen, die bewirken, dass man seinen Körper so in der Gewalt hat wie ein Reiter sein Pferd, ja, dass man ihn zeitweise sogar verlassen kann. Als er diese Kunst in Vollkommenheit ausüben konnte, setzte er einen Rat aus den Besten seines Volkes ein, sodass jeder Stand sein Recht erhalte, vom Priester bis zum Bettler, und begab sich in ein stilles Gemach unter dem Dach seines Palastes, in dem sich nichts befand außer einem Bett aus Zitronenholz. Dort streckte er sich aus in seinen glänzenden Gewändern und sprach zu den Getreuen: „Ich werde meinen Körper für einen Mondumlauf verlassen, dann aber wiederkehren. Regieret wohl indessen, bis ich zurück bin.“ Dann kreuzte er die Arme über der Brust, schloss die Augen, und siehe, sein Herz hörte auf zu schlagen, und kein Atem hob und senkte mehr seine Brust, sein Leib aber blieb warm, und keinerlei Verwesung fasste ihn an.

Sie, die um ihn waren, besahen das Wunder und wussten nicht, sollten sie ihn betrauern oder auf ihn warten. Nach den vorhergesagten dreißig Tagen schlug Asbita die Augen auf, der Hauch kehrte auf seine Lippen zurück, und sein Herz schlug wieder kräftig, und er erhob sich, sein Volk zu regieren zur Lust und Freude der Seinen.“

Erstmals 2000 erschien im quartus-Verlag Bucha „Uns hat Gott vergessen. Tagebuch eines langen Abschieds“ von Wolfgang Held: Dieses autografische Buch lässt den Leser teilhaben an einem authentischen tragischen Familienschicksal. Mehr und mehr muss Markus erkennen, dass sich sein „Mädchen“, wie er Monika, seine Frau, liebevoll nennt, verändert. Aber auch Monika merkt, dass nichts mehr so ist wie früher. Alltägliche Handgriffe werden zu unüberwindlichen Hindernissen. Ihre Krankheit, bald als Morbus Alzheimer diagnostiziert, frisst den liebenden Partner förmlich auf, schränkt aber seine Liebe nicht ein. Hier einige erste Tagebuch-Eintragungen vom Beginn des langsamen Weges ins Vergessen:

Monika: Donnerstag, am 23. März

Krankenhaus ist furchtbar. Jeder ist ganz allein, auch gemeinsam mit anderen in einem Zimmer. Wie im Warteraum fürs Sterben. Gestern kam Markus gleich. Er hat mich geküsst und gestreichelt, da war alles gut, aber nur solange er bei mir blieb. Nun habe ich immer noch die Kontakte an der Brust. Auf dem Nachttisch stehen die kleinen, blauen Orchideen, die er mir mitgebracht hat. Was soll ich hier damit? Blumen sind nur dort schön, wo man zu Hause ist. Ich will sie nicht sehen. Sie können nicht zärtlich sein. Sie sind kein Ersatz für jemanden, den man liebt.

Die Ärztin, die Schwestern, alle hier quälen mich. Sie nehmen Blut aus meinem Arm, schieben mich in so ein neues Gerät, kleben mir Sauger an die Haut und lassen damit mein Herz belauern. Aber mein Herz ist gesund, sagte die Ärztin vorhin. Ich weiß das doch. Ich war selbst Schwester in einem Lazarett. Damals in Allenstein. Bis zur Flucht. Ich habe es seinerzeit noch einmal bis nach Hause, nach Mielau, geschafft und Mutti mitgenommen. Und Pikus, meinen Dackel. Und zwei kleine Koffer, mehr nicht. Das meiste von dem, was wir eingepackt haben, konnten wir gar nicht gebrauchen. Alles war so schnell gegangen an diesem Tag. Wir haben schon die deutschen und die russischen Kanonen gehört. Drei Monate immer unterwegs nach Westen. In Sachsen hat ein Bauer meinen Pikus erschlagen, nur weil er ihn angebellt hat. Pikus konnte Männer in Stiefeln nicht leiden. Wir sind allein weitergezogen, Mutti und ich. Bis nach Thüringen …

Jetzt kommen die Kopfschmerzen wieder. Ich will nach Hause. Markus braucht mich. Schwester, ich will hier weg! Schnell weg! Ich muss telefonieren, meinen Mann anrufen. Er holt mich ab! Ganz bestimmt holt er mich ab. Er braucht mich doch!

Markus: Freitag, am 24. März

Wo in einer Ehe die Liebe nicht mit den Jahren welkt, wird einer des anderen Atem. Bei uns jedenfalls ist das so. Auch schon nach einem einzigen Tag ohne sie fehlt mir Monika. Meine Reportagen haben mich zu den Pyramiden geführt, zu den Ruinen von Palmyra und zu dem schwarzen Löwen von Babylon, ich habe die Trümmer von Karthago besucht und die Mönche im Troiza-Sergej-Kloster in Sagorsk bei Moskau, ich saß in Madrid bei einer Corrida auf Hemingways Platz in der Plaza de Toros und fror mit den Obdachlosen unter einer der Themsebrücken in London. Und immer, neben all den erstaunlichen, bewegenden oder bestürzenden Eindrücken, war da die Sehnsucht nach Monika und das Vorhaben, all diese Schauplätze noch einmal mit ihr aufzusuchen, später, wenn uns keine Gesetze und Grenzen gemeinsames Reisen dorthin verwehren. Jetzt ist diese Zeit. Endlich. Und im nächsten Jahr haben wir auch das nötige Geld dafür beisammen. Mit den Plänen für unser Rentenalter haben wir uns manche schöne Stunde bereitet. Nur gesund müssen wir bleiben.

Monikas Anruf holte mich in aller Frühe unter der Dusche hervor. Ich soll zum Krankenhaus kommen und sie abholen. Ganz schnell, sagte sie. Entlassung auf eigenen Wunsch. Ich ließ das Rasieren bleiben und fuhr ein paar Minuten später los. Heute Abend brennen wir Kerzen an und trinken Monikas Lieblingssekt, dachte ich unterwegs, aber auch: Entlassen auf eigenen Wunsch? Das ist doch sehr riskant. Und wenn sie wieder ins Krankenhaus muss? Manche Ärzte sind wie Elefanten, sie nehmen übel und vergessen nie. Auf jeden Fall müssen wir so bald wie möglich zu Monikas Hausarzt gehen.

Herrgott, sie wartet tatsächlich schon vor dem Hauseingang auf mich, im Morgenmantel und in Hausschuhen, das Waschzeug unterm Arm. Mit einer Miene wie auf der Flucht. Erst unterwegs im Auto findet sie Worte und schimpft auf die Oberärztin. Das Herz sei organisch gesund, aber man habe noch eine Menge vor mit ihr, hat die Frau gesagt. Eine Menge vor, klang das nicht nach Versuchskaninchen? Jedenfalls stand damit für Monika fest: Nichts wie weg hier!

Zu Hause küssen wir uns. Wir beide, sagt sie und kann wieder lachen. Wir beide!

Monika: Mittwoch, am 29. März

Besuch kann uns viel Freude ins Haus bringen, und wir haben viele Freunde. Seit der Wende sind es allerdings auch ein paar weniger geworden. Einigen waren wir zu sehr „staatsnah", wie das jetzt heißt. Einer, mit dem ich gemeinsam im Tennismix sicher hundert Matchs gespielt habe, tut jetzt so, als sei ich eine gerade erst Zugereiste, freilich hier aus dem Osten. Sachsen oder so. Die Neuen aus den alten Bundesländern umschwänzelt er dagegen wie ein Dackel die Bockwurstesser. Der Sportsfreund ist jetzt Schuldirektor und meint wohl, der Umgang mit „Linken" könne den eingereisten Vorgesetzten missfallen. Dafür ist die Freundschaft mit denen, die nach wie vor kommen, umso herzlicher. Trotzdem macht es mich seltsam unruhig, wenn einer von ihnen vor der Tür steht. Beim Kaffee oder beim Wein lachen wir nicht mehr so oft wie früher. Manchmal gar nicht. Heinz aus Erfurt, Liesel, Gerhard und auch Werner aus Kleinmachnow, Rosemarie aus Berlin und Manfred aus Gotha, sie alle müssen vielleicht bald raus aus ihren Häuschen oder Wohnungen. Rückgabe an die Besitzer, die nach dem Westen gegangen sind, oder an deren Erben. Gestern hat Manfred erzählt, man könne bei Bezahlung des halben Verkehrswertes womöglich doch bleiben. Markus verspricht mir immer wieder, dass es uns nicht betrifft, dass wir im Grundbuch stehen, dass es keine Ansprüche gibt, aber das alles macht mir doch Angst; genauso wie der Bettler auf dem Pflaster vorm Schillerhaus, wie die betrunkenen Arbeitslosen auf den Bänken am Theaterplatz, wie die am Abend und in der Nacht dermaßen unsicher gewordenen Straßen, dass man sich im Dunklen nicht mehr aus dem Haus traut, ins Theater, Kino oder so. Und wie schwer es jetzt für Markus geworden ist, Geld zu verdienen. Vor der Wende war er oft tagelang mit mir auf Reportagefahrt oder saß vom Morgen bis zum Abend an seinem Schreibtisch. Doch ja, die Welt da draußen ist mir fremd geworden. Bei uns, wenn einer gesungen hat, wollte er jemandem eine Freude machen oder hatte selbst Freude dabei. Wenn jetzt einer singt, wissen alle, dass er Geld dafür will. Ich habe zum zweiten Mal meine Heimat verloren, so kommt es mir vor. Das schmerzt tief in der Brust und im Kopf. Besonders im Kopf. Es ist wie ein kleiner Stein oder so. Das drückt und stört, nicht zum Schreien, aber doch schmerzhaft. Manchmal nehme ich eine Tablette, aber es kommt auch vor, dass ich stundenlang nicht daran denke. Beim Tennisspielen zum Beispiel. Da bin ich besser als Markus, wenn ich ihn auch hin und wieder gewinnen lasse. Er ist ja ein guter Verlierer, aber seine Augen verraten, dass er dabei leidet, und das will ich nicht. Bald kommt unsere Tochter Elke mit ihrem Andreas und Christine. Fast ein Jahr haben wir uns nicht gesehen. Ich freue mich. Zusammensitzen mit der Familie, das ist für mich immer ein kleines Fest. Wir müssen einkaufen … Wo ist meine Geldbörse?

Ich hatte das Geld doch in meiner Handtasche. Oder? Gestohlen vielleicht? Da war einer, der den Gaszähler abgelesen hat! Gestohlen, was sonst!“

Erstmals 2014 veröffentlichte Jan Flieger im fhl-Verlag Leipzig „Der Vierfachmord von Stötteritz“: Schüsse zerreißen die Leipziger Nacht in Stötteritz und löschen vier Leben aus – doch der Täter flieht. War es ein Auftragsmord oder eine Verzweiflungstat? Wurde ein V-Mann liquidiert? Starben die anderen zur Ablenkung? Läuft gar einer der Verdächtigen Gefahr, das nächste Opfer zu werden? Und dann gibt es da noch die Spur zu einer jungen Frau, die in die rechte Szene führt. Für Thomas Tiller und sein Team der Mordkommission beginnt eine Suche, die sie tief in ein Labyrinth aus Hass und Rache führt, über die Grenzen Deutschlands hinaus bis in die Straßen Tokyos und die raue Ödnis Islands. Die Zeit rennt. Und die starren Augen der Toten treiben zur Eile. Begeben wir uns also nach Leipzig, in das nächtliche Leipzig, wo gleich …

„Die Augen hatten einen schrecklich starren Blick; auf was starrten sie denn überhaupt? Sie starrten und starrten – es war nicht auszumachen, wohin.

Carlo Emilio Gadda

›Die grässliche Bescherung in der Via Merulana‹

Sonnabend, der 1. Tag

1.

Dunkle Wolken zogen der Stadt entgegen, die Leipzig heißt, Wolken, deren Schwärze nichts Gutes verhieß, ja, wenn man es genau besah, sogar Bedrohliches, ein Inferno aus Regen und Sturm. Aber noch ehe es über die Stadt hereinbrechen würde, sollte sich etwas anderes ereignen, weitaus Schlimmeres.

Die digitalen Uhren in Leipzig zeigten 23:12 Uhr an und noch wusste niemand in der Kriminalitätshochburg Sachsens, dass im schönen Stadtteil Stötteritz in drei Minuten etwas Furchtbares geschehen würde, ja, für viele Bewohner etwas nahezu Unfassbares.

Viele Gehwege schienen dort leergefegt zu sein, denn das nahende Gewitter vertrieb die Menschen von den Straßen und aus den Freisitzen der Kneipen. Die einzelne Gestalt, die unterwegs war, vermied es offenbar, bemerkt zu werden, denn kam ihr wirklich jemand entgegen, trat sie rasch in das Dunkel eines Hauseinganges, um sich zu verbergen, was aber nur zweimal geschah.

Die Gestalt im schwarzen Jogginganzug trug einen dunklen Plastikbeutel, in dem, verborgen unter einer schwarzen Kutte und einer weißen Gesichtsmaske, eine schussbereite Pistole lag, deren Magazin fünfzehn Patronen enthielt, und die Gestalt glaubte, sie alle abfeuern zu müssen. Sie lief nicht langsam, aber auch nicht schnell, sie war, so konnte man das mit ruhigem Gewissen sagen, der leibhaftige Tod, der zu seinen künftigen Opfern schritt. Denn in drei Minuten, nahe dem Wäldchen, in einem großen Hinterhof, würden mehrere Menschen ihr Leben verlieren, nur war noch nicht klar, wie viele es sein würden. Es konnten sechs sein, sieben, vielleicht sogar acht oder neun, aber die Patronen im Magazin würden in jedem Fall ausreichend sein.

Ein Paar Augen blickte flüchtig zum Himmel hinauf und zu den drohenden Wolken, aber das kommende Gewitter schien wohl noch abzuwarten, wann es beginnen sollte. Die Gestalt war völlig unbeeindruckt von dieser Situation und ihr Gesicht blieb ausdruckslos.

Und weiter feierten fünf Menschen ausgelassen in dem besagten, mit Bäumen bestandenen Innenhof, drei Männer und zwei Frauen, und eine Sängerin, die Andrea Berg hieß, ließ ihre durch Lautsprecherboxen noch verstärkte Stimme von der CD erschallen, ob man sie hören wollte oder nicht. Den Feiernden jedenfalls gefiel sie, die an einem Tisch saßen, auf dem eine weiße Decke lag und mehrere Weinflaschen standen, die, bis auf eine, schon geleert waren. Die Fünf feierten so laut und fröhlich, dass man den Lärm im gesamten Innenhof hören konnte, der umstellt war von vierstöckigen Häusern, die zu vier Straßen gehörten.

Aber der leibhaftige Tod näherte sich schon den Feiernden, unablässig weiterschreitend. In drei Minuten würde er sich vier Opfer holen und dafür nicht einmal fünfzehn Sekunden benötigen.

Aber der Tod konnte schnell sein, sehr schnell.

Und unerbittlich.

Im ›Conne Island‹ sang noch immer Austin Lucas, ein Berg von einem Kerl voller martialischer Tattoos auf den Armen, mit seiner Gänsehautstimme, ›Run around‹ sang er gerade, ein Anti-Liebeslied erster Güte; flink flogen seine Finger über die Gitarre. Vielleicht hätte seine Stimme gezittert, wenn er wissen würde, was in zwei Minuten in Leipzig geschah, aber er wusste es nicht. Er war ja auch kein Hellseher.“

Da sind wir als künftige Leserinnen und Leser dieses Krimis ein wenig schlauer, denn wir wissen, dass es innerhalb ganz kurzer Zeit vier Tote geben wird und viele offene Fragen – darunter die nach dem Täter und natürlich die nach dem Motiv für diese eiskalte Hinrichtung. Wer mehr wissen will, der lese den „Vierfachmord von Stötteritz“ von Jan Flieger. Es lohnt sich.

Gleiches gilt aber auch für die anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters, die man natürlich – entsprechend den technischen und klimatischen Bedingungen – sowohl drinnen als auch draußen konsumieren kann. Vor allem aber sollte man in diesen heißen Tagen wie jetzt, da dieser Newsletter geschrieben wird, genügend zu trinken neben dem E-Book zur Verfügung haben.

In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen, weiter einen schönen Sommer, bleiben auch Sie weiter vorsichtig, vor allem aber schön gesund und munter und bis demnächst. Ach, und was den Vierfachmord von Stötteritz angeht: Haben Sie schon eine Vermutung, wer der Täter sein Könnte? Hier noch ein kleiner Fingerzeig:

„Genau in diesem Augenblick aber drückte die Gestalt das Tor zum Gang auf, hin zum Innenhof, da das beschädigte Türschloss noch nicht ausgebessert war, entnahm dem Beutel die schwarze Kutte, die sie überstreifte, bedeckte mit der weißen, ausdruckslosen Maske das Gesicht, nahm die Waffe aus dem Beutel und ließ ihn auf den Boden gleiten, huschte flink dem Lärm entgegen, lud im Laufen die Waffe durch, um dann den Hof zu betreten, lautlos wie ein Ninja. Die Gestalt stutzte überrascht, ließ sich aber von der Verblüffung nicht beirren.

„Hallo“, jubelte einer der Feiernden. „Wir haben wohl Halloween?“

Da aber schaute der Spaßvogel in den Lauf einer Pistole und dann fielen auch schon die Schüsse in rascher, sehr rascher Folge, neunmal, und der Schreck öffnete die Münder der Feiernden, weitete ihre Augen, ehe das endlose Dunkel über sie kam, und sie starben nahezu ohne Schrei, denn der plötzliche, so tödliche Schreck war wohl zu groß.

Dann verharrte die Gestalt und musterte die Toten, sie schien erneut verdutzt zu sein, machte dann aber mit der linken Hand eine wegwerfende Bewegung. Die Fenster der Häuser, die den Innenhof umstanden, bildeten seit den ersten Schüssen ein Meer aus Lichtern, und Rufe und Schreie hallten durch den Hof.

Die Gestalt aber huschte davon, streifte noch, bevor sie die Straße betrat, die Maske vom Gesicht und schlüpfte aus der Kutte, stopfte beides in den Plastikbeutel, auch die Pistole, und verschwand in der Leipziger Nacht wie ein Gespenst, das sich in Luft auflösen konnte.“ Nehmen Sie die Verfolgung auf!

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 26 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. E-Books sind barrierefrei und Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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