Der Thinktank Agora Verkehrswende plädiert für die Erarbeitung einer „Charta der Fairkehrswende“ durch die nächste Bundesregierung. Ein solches Gesamtkonzept solle gleich zu Beginn der Legislaturperiode den Grundstein für eine sozial gerechte Klimapolitik im Verkehr legen. Jede Regierungskoalition werde sich dieser Aufgabe stellen müssen, weil schon heute absehbar sei, dass der Verkehrssektor die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele in den kommenden Jahren nicht erreichen wird und deshalb hohe Ausgleichs- und Strafzahlungen an die Europäische Union drohen. Für den Erfolg sei insbesondere eine faire Verteilung der Chancen und Lasten entscheidend. Empfehlungen für Politikinstrumente und Prinzipien, die in eine solche Regierungs-Charta einfließen sollten, hat Agora Verkehrswende in einem Politikpapier vorgelegt.

„Mit einer Charta der Fairkehrswende kann die neue Bundesregierung die dringend notwendige Zäsur in der Verkehrspolitik einleiten und dreifach Fairness in der Verkehrswende garantieren“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. „Fair, weil sie die Klimaziele im Verkehr effektiv erreicht und so gleichzeitig die Freiheit und die Mobilität kommender Generationen sichert; fair, weil sie die Ressourcen für die Transformation effizient einsetzt und die Kosten für alle dadurch möglichst niedrig hält; fair schließlich auch, weil sie die verbleibenden Kosten gerecht verteilt, soziale Schieflagen beseitigt oder vermeidet und damit eine breite gesellschaftliche Mehrheit für die Transformation gewinnen kann.“

Mit dem Politikpapier geht Agora Verkehrswende auf alle wesentlichen politischen Handlungsfelder ein, von der Fiskalpolitik über Mobilität in urbanen und ländlichen Räumen sowie öffentlichen Verkehr bis zu Güterverkehr, Infrastruktur und Strukturwandel. Ziel dabei sei es unter anderem, sowohl Stückwerk und Hauruckaktionen vorzubeugen als auch die Rolle von häufig einzeln diskutierten Politikinstrumenten wie CO2-Bepreisung oder Einführung von synthetischen Kraftstoffen in einem Gesamtkonzept einzuordnen. Ansetzen sollte die Politik aus Sicht von Agora Verkehrswende vor allem an vier Hebeln: 1. Veränderung von Verkehrsverhalten, 2. Anstoßen von angebotsseitigen Innovationen, 3. Steigerung der Nachfrage nach emissionsarmen Fahrzeugen und 4. Aufbau der Infrastrukturen, die für nachhaltige und elektrifizierte Verkehrsträger notwendig sind.

Faire Preise und Flottengrenzwerte

In der Fiskalpolitik verbindet Agora Verkehrswende einen steigenden CO2-Preis mit Entlastungen durch Abschaffung der EEG-Umlage und ein vom Einkommen unabhängiges Mobilitätsgeld anstelle der Pendlerpauschale. Zudem wird die Kfz-Steuer so weiterentwickelt, dass sie allein vom CO2-Ausstoß abhängt und dass Prämien für den Kauf emissionsarmer Fahrzeuge durch Aufschläge auf den Kaufpreis bei emissionsintensiven Fahrzeugen finanziert werden. Für die verursachergerechte Finanzierung der Infrastrukturkosten soll mittelfristig eine von der Fahrleistung abhängige Straßennutzungsgebühr eingeführt werden.

Eine über den CO2-Preis hinausgehende und gut ausbalancierte Reform der fiskalischen Instrumente wird jedoch aus Sicht von Agora Verkehrswende nicht ausreichen, um die Elektrifizierung des Straßenverkehrs schnell genug voranzubringen. Wichtig sei auch der ordnungsrechtliche Ansatz, etwa über die europäischen CO2-Flottengrenzwerte. Agora Verkehrswende plädiert für eine deutliche Verschärfung der Grenzwerte bis 2030 auf bis zu minus 75 Prozent, kombiniert mit mehreren Zwischenschritten und einer Senkung auf null bis spätestens 2035. Das würde europaweit das Ende für den Verkauf von neuen Verbrennerfahrzeugen bedeuten. Gleichzeitig müsse die Bundesregierung den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit einem Masterplan vorantreiben und auf EU-Ebene für hohe Mindestanforderungen eintreten.

EU-Richtlinien und starke Kommunen

Neben CO2-Flottengrenzwerten und Ladeinfrastruktur seien weitere Ansätze für den Klimaschutz im Verkehr auch auf europäischer Ebene zu verhandeln, etwa die übergreifenden Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den einzelnen Sektoren, das CO2-Emissionshandelssystem für Kraft- und Brennstoffe oder auch der soziale Ausgleich. In all diesen Bereichen sei es die Aufgabe der Bundesregierung, sich für klimapolitisch ambitionierte Lösungen einzusetzen. Nur so könnten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass auch die nationalen Klimaschutzziele in Reichweite kommen. Gleichzeitig solle die Bundesregierung dafür sorgen, dass die übergreifenden europäischen Regelungen durch nationale Instrumente und starke Kommunen ergänzt werden.

Kommunen bräuchten zum Beispiel mehr Handlungsspielraum, um vor Ort Mobilitäts- und Raumkonzepte im Sinne der Verkehrswende anzugehen. Deshalb müsse der Bund den Klimaschutz sowie weitere gemeinwohlorientierte Ziele wie Sicherheit, Gesundheit und nachhaltigen Städtebau im Straßenverkehrsrecht verankern. Auf dieser Grundlage könnten Kommunen zum Beispiel flächendeckend Tempo 30 einführen, Unfallschwerpunkte umbauen, Parkraumbewirtschaftung ausweiten oder Begegnungszonen und Radwege einrichten. Zusätzlich solle der Bund die Kommunen beim Ausbau ihrer Personalkapazitäten für Aufgaben des Klimaschutzes im Verkehr unterstützen und das bestehende System für die Vergabe von Fördermitteln an die Kommunen vereinfachen.

Verkehrsverlagerung und Instrumentenmix

Zu den weiteren Instrumenten zählen die Stärkung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, vor allem durch Ausbau, Optimierung und Digitalisierung der Infrastruktur und des Angebots sowie durch besser aufeinander abgestimmte Fahrpläne (Deutschlandtakt). Für die Planung von Straßen und Schienenwegen im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans sieht das Politikpapier einen Klimastresstest vor, damit die Bauprojekte nach Klimaschutzkriterien neu bewertet und priorisiert werden können. Im Güterverkehr sei die Schiene zu stärken und die Kopplung von Straßen- und Schienentransporten zu verbessern. Der Lkw-Verkehr müsse schnell elektrifiziert werden, wobei für Fernstrecken neben der Batterie auch Oberleitungen und Brennstoffzellen als Antrieb umfangreicher als bisher erprobt werden sollten.

Entscheidend für den Erfolg beim Klimaschutz sei es, die einzelnen Instrumente gut aufeinander abzustimmen und so eine effektive, effiziente und sozial ausgewogene Entwicklung zu ermöglichen: „Allheilmittel gibt es nicht“, betont Christian Hochfeld. „Dass Fördermittel allein es nicht richten werden, hat das Ende 2019 verabschiedete Klimaschutzprogramm der Bundesregierung bewiesen. Investitionen in den öffentlichen Verkehr werden sich nur auszahlen, wenn dem Auto die Kosten angerechnet werden, die es gesellschaftlich verursacht. Eine Charta der Fairkehrswende kann mit einem breiten Mix von Politikinstrumenten die nötige Neuorientierung bieten und verlässlichere Rahmenbedingungen setzen.“

Klimaneutrales Deutschland 2045

Grundlage für das Politikpapier ist die Studie Klimaneutrales Deutschland 2045, in der Agora Verkehrswende zusammen mit den Thinktanks Agora Energiewende und Stiftung Klimaneutralität einen technisch und wirtschaftlich realisierbaren Zielpfad für alle Sektoren erarbeit hat. Politische Handlungsempfehlungen für die kommende Legislaturperiode hat Agora Verkehrswende bereits im Juni mit den Politikinstrumenten für ein klimaneutrales Deutschland und im August mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm vorgelegt. Dort waren die Vorschläge für den Verkehrssektor jeweils auf eine Auswahl konzentriert. Im aktuellen Politikpapier geht Agora Verkehrswende auf alle Hebel, Prinzipien und Instrumente ein, die für eine erfolgreiche Fairkehrswende-Politik in der nächsten Legislaturperiode relevant sind.

Das Politikpapier „Vier Jahre für die Fairkehrswende. Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit in der 20. Legislaturperiode (2021-2025)“ steht kostenlos zum Download zur Verfügung unter https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/.

Agora Verkehrswende ist eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.

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