Das neue digitale Projekt "CALICO entdecken. erleben. entwerfen." des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg (tim) macht historische Muster für eine breite Öffentlichkeit sichtbar. Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zeigen sich die Bestände des Museums in einer neuen, überraschenden Form.

Projektbeschreibung

Das tim verfügt mit seinen textilen Musterbüchern über einen einzigartigen Sammlungsbestand, der zu den national wertvollen Kulturgütern der Bundesrepublik Deutschland gehört. Über 550 Musterbücher, die einen Zeitraum von 1792 bis 1996 umfassen, enthalten weit über eine Million Stoffdruckmuster aus über 200 Jahren europäischer Mode- und Designgeschichte. Das Projekt "CALICO – entdecken. erleben. entwerfen" macht mehr als 3000 Muster digital zugänglich und bereitet sie darüber hinaus mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) ganz neu auf. Als Desktopanwendung ist die interaktive Plattform calico.timbayern.de von zuhause aus nutzbar. Diese Plattform erlaubt es, die vielen Muster in der verarbeiteten Form – mit einer riesigen Datenmenge im Hintergrund – zur Verfügung zu stellen.

Besucherinnen und Besucher können auf den drei Ebenen "Entdecken, Erleben und Entwerfen" in den Musterschatz des tim eintauchen und ihn auf unterschiedliche Weise erkunden. Ein Farbkreis und eine Inhaltswolke zeigen die Muster zunächst chronologisch oder nach inhaltlichen Gesichtspunkten sortiert. Die Nutzerinnen und Nutzer können ihr Wissen zu einzelnen Themen vertiefen und mehr über die Welt der Motive und Farben erfahren. Wie sieht beispielsweise Augsburger Rot aus, und wann gab es besonders viele Paisleymuster? In einer außergewöhnlichen Musterreise erleben die Nutzerinnen und Nutzer die Welt der Muster in einer ganz neuen Form. Auf dieser "Reise" gehen die historischen Muster in neu berechnete Muster der KI über. Entstanden ist dabei eine beinahe unendliche Zahl für unsere Sehgewohnheiten völlig überraschender Muster: das Stoffdesign der Zukunft? Ein dritter Bereich animiert die Nutzerinnen und Nutzer schließlich dazu, selbst kreativ zu werden.

Nach dem Sammeln von Musterfavoriten ist es möglich, Modesilhouetten aus verschiedenen Epochen in eine Vielzahl an Mustern zu kleiden: ein Art-Deco Muster auf einem Barockkleid oder ein üppiges Blumenmuster auf einer Bundfaltenhose oder ein von der KI kreiertes Muster auf einem Kostüm von Coco Chanel. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt!

"Neue Augsburger Kattunfabrik (NAK)"

Das Textilunternehmen "Neue Augsburger Kattunfabrik" ging aus der Kattundruckerei "Schöppler & Hartmann" (1781 1880) hervor. Sie firmierte von 1880-1885, umgewandelt in eine Aktiengesellschaft, unter dem Namen "Augsburger Kattunfabrik". Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten erfolgte 1885 eine Neugründung der Aktiengesellschaft unter dem Namen "Neue Augsburger Kattunfabrik (NAK)". Das Unternehmen lieferte bedruckte Stoffe an Kundinnen und Kunden in der ganzen Welt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts traf der Niedergang der Textilindustrie in Augsburg auch die NAK. 1996 ging das bekannte Unternehmen in Konkurs und schloss für immer seine Tore. Erhalten geblieben ist das einzigartige Archiv der NAK. Die teils großformatigen Musterbücher stellen einen Kernbestand aus dem umfangreichen Nachlass dar, der nach der Schließung in den Besitz des Staatlichen Textil- und Industriemuseums (tim) überging. Aufgrund ihrer Geschlossenheit zählt die einzigartige Sammlung zum nationalen Kulturgut der Bundesrepublik Deutschland.

CALICO

Der Titel des Projekts geht auf die historische Bezeichnung ‚Calico‘ für bedrucktes Baumwollgewebe zurück. Es ist nach seinem ursprünglichen Herstellungsort, dem indischen Calicut (Kozhikode) benannt. Traditionelle Weberinnen und Weber fertigten dort die einfach gewebten Stoffe aus ungebleichter Baumwolle. Meist gefärbt und kunstvoll bedruckt, gelangten diese Stoffe als Exportware nach Europa, bis die hiesige Industrie schließlich selbst in der Lage war, Gewebe in solch hoher ästhetischer Qualität herzustellen.

Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI)

In dem Projekt CALICO kommt gleich an mehreren Stellen eine Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Die KI übernimmt die Sortierung nach Farben, auf Grundlage eines HSV-Farbraums, der nach Sättigung, Helligkeit und Farbton geordnet ist und damit der menschlichen Farbwahrnehmung nahekommt. In einem Farbkreis angeordnet, zeigt sich der ganz eigene Farbcharakter der Mustersammlung. Die Sortierung der KI nach den strukturellen Merkmalen der Muster erfordert eine sehr genaue Betrachtung, um zu erkennen nach welchen Kriterien die Muster in der sogenannten "Inhaltswolke" nebeneinander gruppiert wurden. Betrachterinnen und Betrachter sind es gewohnt, Muster nach bestimmten Motiven oder nach Linien oder Streifen zu ordnen. Die KI sortiert die Muster vor allem nach Flächigkeit oder Linearität, nach Regelmäßigkeit oder Feinheit in der Struktur.

In dem Bereich "Erleben" kreierte die KI noch nie dagewesene Muster. Dafür kam das Modell "StyleGAN2-ADA", entwickelt von der Firma NVIDIA, zum Einsatz. Ein "Generative Adversarial Network (GAN)" wird im Bereich des Maschinellen Lernens dafür eingesetzt, um ganz neue, künstliche Daten zu erzeugen. Es ist in der Lage, in unterschiedlichsten Bereichen Welten zu erschaffen, die unserer eigenen täuschend ähnlich sind, etwa mit der Erstellung fotorealistischer Bilder. In dem Projekt "CALICO" wurde die Künstliche Intelligenz mit den historischen Mustern der Neuen Augsburger Kattunfabrik (NAK) trainiert. Durch das Training, in dem die Charakteristika der Originale übernommen und neu kombiniert wurden, spiegeln die neu entstandenen Muster das visuelle Erscheinungsbild des Ausgangsmaterials wider. So ließen aus etwa 3000 originalen Mustern mehr als 75.000 völlig neue Muster erzeugen, die sich hier als fortlaufender Film (Musterreise) von ineinander übergehenden Mustern präsentieren. Die Nutzerinnen und Nutzer können das Video zu jeder Zeit anhalten, die jeweiligen Muster genauer betrachten und die favorisierten Designs an unterschiedlichen Modesilhouetten ausprobieren und nach Wunsch auch herunterladen.

Förderprogramm

"CALICO entdecken. erleben. entwerfen." wurde entwickelt im Rahmen von "dive in. Programm für digitale Interaktionen" der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR.

Bildrechte

Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) stellt als öffentliche Institution die hier verwendeten und erzeugten Muster unter folgenden Bedingungen der Creative Commons zur Verfügung: CC-BY-NC-SA-4.0.

Projektleitung: Anneli Kraft ist Kunsthistorikerin mit mehrjähriger Erfahrung im Museum, insbesondere in den Bereichen Objekterfassung und digitalem Sammlungsmanagement sowie in der pädagogischen Vermittlung. In ihrer Dissertation "Das gute Glas. Design digital sammeln und erforschen"

realisierte sie einen Datenbank-Prototyp, der es Museen erlaubt, zu einem bestimmten Themenbereich Daten gemeinsam zu erfassen und auszutauschen. Ihre Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der Weiterentwicklung kunsthistorischer Forschungsmethoden im digitalen Rahmen.

Im Projekt CALICO konnte sie ihre Erfahrung im Ausbau digitaler Strategien und Online-Präsentationen, sowie ihre Design-Expertise, als Designhistorikerin und gelernte Gestalterin, hervorragend einbringen.

Projektteam: Dr. Karl Borromäus Murr, Dr. Michaela Breil, Mariama De Brito, Katja Cox
Kooperationspartner: LAB BINÆR GBR. LAB FOR MEDIA ART, Augsburg

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