„Wo die Datenbasis fehlt, kann nicht sinnvoll entschieden werden“, macht Sven Jung deutlich. Jung ist Experte für die Digitalisierung von Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen. Er arbeitet als Manager Public Sector Deutschland bei ReqPOOL, der führenden Managementberatung für Software im deutschsprachigen Raum. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Fragen der Software-Strategie, Software-Beschaffung und Software-Innovation sowie mit der technologischen Transformation. „Im OZG, dem Online-Zugangs-Gesetz, ist häufig vom ‚digitalen Amt‘ die Rede. Kommunen, Landkreise und staatliche Verwaltungen arbeiten daran, viele Prozesse digital zu ermöglichen. Leider ist das wenig konzertiert und viel Stückwerk“, so Jung. Man sei hierzulande gut darin, Prozesse administrativ zu entwickeln, nutze aber nicht die eigentlichen Chancen der Digitalisierung. Statt komplexe Verwaltungsabläufe jeweils einzeln und ebenso komplex online zu gestalten, müsste vielmehr ganzheitlich gedacht werden. Digitalisieren bedeute nicht, das, was man bislang offline mit viel Personal und Papier erledigt habe, nun online abzubilden. „Die Kultur der Verwaltung setzt sich im Netz fort. Gefragt sei aber eine Kultur der Dienstleistung und der strategischen Vernetzung von Daten, Informationen und Zielvorgaben.“
Entscheidungen müssten zukünftig schneller getroffen werden. Das habe man in den aktuellen Krisen gesehen. Auch die Wirtschaft drehe sich immer schneller. Zu lang dauernde Ausschreibungsverfahren, monatelange Prüfungen und ausbleibende Genehmigungen bremsen Staat und Wirtschaft aus. Wer einen Antrag auf Corona-Hilfen gestellt oder den Bau eines Windrates beantragt hat, hat entsprechende Erfahrungen gemacht. „Da nutzt es nichts, wenn der Antrag digital eingereicht wird. Es müsste auch unmittelbar digital entschieden werden – in Kenntnis aller Faktoren und Rahmenbedingungen“, verdeutlicht Jung. Das „digitale Amt“ bleibe ein Amt, de facto und in der Wahrnehmung der Bürger und Unternehmen. Das „digitale Amt“ wird der notwendigen Handlungsgeschwindigkeit jedoch nicht gerecht. „Dabei wäre man froh, das ‚digitale Amt‘ wäre bereits Realität.“ Selbst davon sei man aber in der Regel noch weit entfernt.
Notwendig sei vielmehr „die selbstfahrende Organisation“, so der Software-Experte. Das Nutzen moderner, KI-basierter Software und intelligenter Algorithmen, die autonom und unmittelbar entscheiden, müsse das eigentliche Ziel sein. „Die digitalen Technologien entwickeln sich exponentiell. Spätestens in den 30er Jahren werden KI-basierte, selbstlernende und weitgehend selbstentscheidende Systeme Alltag und gelebte Praxis sein. Wenn sich öffentliche Verwaltungen weiterhin derart langsam entwickeln, wird die Diskrepanz zwischen der Wirtschaft und dem Staat nicht mehr einzuholen sein. Deutschland wird gegenüber anderen Staaten weiter an Substanz verlieren und dann auch nicht mehr aufholen können“, prophezeit der Digitalexperte. Verwaltungen und öffentliche Unternehmen müssten jetzt anfangen, sich zu modernisieren und nicht beim „digitalen Amt“ stehen bleiben. Es brauche dringend technologische Lösungen, die zukunftsfest seien. Ganzheitlich gedachte, intelligente Software-Systeme und -architekturen böten die einmalige Chance, die Verwaltung bürgernäher, nachhaltiger effizienter, transparenter und entscheidungsvalider werden zu lassen. Die Beamtenmentalität müsse ins digitale Zeitalter transformiert werden. Noch sei Zeit, aber die Zeit dränge. Die „selbstfahrende Organisation“ brauche eine strategische Perspektive und einen raschen Modernisierungsprozess in der IT-Landschaft, der sofort beginnen müsse. In Sachen Digitalisierung der Verwaltung sei es drei vor zwölf. Das erführen die Bürger nahezu jeden Tag.
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