Kaum ist die Fußball-WM mit 60 000 jubelnden Zuschauern und einem Millionen-Publikum vor den Fernsehern eröffnet, da rollt der Ball wieder ohne Hindernisse. Informationen über Rolex-Uhren-Geschenke, Luxus-Reisen für Journalist*innen und Funktionäre, katastrophale Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter und Zweifel an einer Fußball-WM in der Wüste treten in den Hintergrund, prominente Fans und Funktionäre melden sich zu Wort, verteidigen das Herrscherhaus und verweisen auf Reformen in Katar.

Unverändert allerdings hängen Presse- und Meinungsfreiheit ab von der Gnade des Emir. Laut MENA Rights Group sind im Mai 2022 die Anwälte Hazza bin Ali Abu Shurayda al-Marri und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nur weil sie ihre Meinung frei äußerten: Hazza bin Ali Abu Shurayda al-Marri hatte auf Twitter gegen das neue Wahlgesetz des Emir vom November 2021 protestiert, weil es den Al-Marra-Stamm in Katar von der Wahl ausschloss und Bürgern das Wahlrecht verweigerte. In einem Video hatte er die Freilassung von Kritikern des Gesetzes zum beratenden Schura-Rat gefordert. Im August 2021 war er deshalb in seinem Haus verhaftet worden. Als Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri als Anwalt Zugang zu seinem Bruder forderte, wurde auch er in Gewahrsam genommen. Ihr Prozess begann im Januar 2022 hinter verschlossenen Türen, ohne die freie Wahl eines Anwalts. Die Anklage: Gefährdung der öffentlichen Ordnung und die Sicherheit des Staates. Das Urteil im Mai 2022 lautete für beide „lebenslänglich“.

„Lebenslänglich“ erhielt auch – in Abwesenheit – der Dichter Mohammed al-Ajami alias Mohammed Ibn Al-Dheeb, denn er habe die Anwälte in ihrer Kritik mit Videos über Social Media unterstützt.

Mohammed al-Ajami war November 2011 wegen zweier Gedichte festgenommen worden. „Wir sind alle Tunesien“, hatte er im sogenannten Jasmin-Gedicht geschrieben, das Studenten im Internet verbreiteten. Aufruf zum Sturz des herrschenden Systems, lautete die Anklage 2012. Sein Pflichtverteidiger durfte sich nur schriftlich äußern. Beobachter waren beim Prozess nicht zugelassen. Das Urteil „lebenslänglich“ wurde, nach dem Besuch einer PEN-Delegation in Katar 2013, auf fünfzehn Jahre reduziert. 2016, nach vier Jahren zumeist in Isolationshaft, wurde Mohammed al-Ajami begnadigt. Im Gefängnis hatte er gedichtet:

Wer bin ich? Frag nicht die Tage nach mir –
Ich bin nichts als ein Gefangener
in einer Isolationszelle
Hier in meinem Land Unterdrückung
ist das, was uns unsere Rechte nimmt

2018 hat Katar das Internationale Abkommen zu Bürgerrechten und politischen Rechten unterzeichnet, das die Menschenrechte garantiert, auch die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und das Recht, einen Anwalt frei zu wählen. Nichts davon war im Fall Mohammed al-Ajami gegeben. Auch seine Verurteilung in diesem Jahr in Abwesenheit verstößt gegen die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR).

Katar hat sich – abseits aller Image-Kampagnen in Kunst und Sport – abgeschottet und verfolgt eine rigide Informationspolitik. Nachrichten über die Situation von Autor*innen heute dringen kaum an die Öffentlichkeit. Vieles ist Spekulation. Auch über Mohammed al-Ajami kursieren verschiedenste Mutmaßungen, vermutlich befindet er sich außer Landes.

„Katar ist eine absolute Monarchie“, sagte Cornelia Zetzsche, Vizepräsidentin und Writers in Prison Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums, „die WM in Katar verändert unseren Blick auf den Sport. Sie schärft unseren Blick auf die Situation der Menschenrechte im Golfstaat. Der Fall Mohammed al-Ajami ist symptomatisch für das Verständnis des Herrscherhauses von Grund- und Menschenrechten. Das sollten europäische Clubs und deutsche Unternehmen, die mit Katar Geschäfte machen, dringend überdenken.“

Mohammed al-Ajami, 46, als erster Poet in Katar gleich zweimal zu „lebenslänglich“ verurteilt, ist einer der renommiertesten Dichter des Golfstaats und Ehrenmitglied des deutschen PEN.

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