So unterschiedlich Behinderungen und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen sind: Eins haben alle Menschen mit Behinderung gemeinsam – sie möchten einen erfüllten Alltag haben, selbstbestimmt leben und dazugehören. „Das Erreichen dieser und weiterer Ziele ermöglichen Ergotherapeut:innen durch Empowerment und Befähigung zur Teilhabe“, fasst Andreas Pfeiffer, Ergotherapeut und Vorstandsvorsitzender des DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.), zentrale Elemente von Ergotherapie zusammen. Die Interventionsmöglichkeiten von Ergotherapeut:innen für  Menschen mit Behinderung sind vielfältig und finden manchmal schon von Kindesbeinen an statt.

Ergotherapeut:innen sind Menschen mit Behinderung auf besondere Weise verbunden, hängt doch die Geburtsstunde der Ergotherapie in Deutschland mit diesem Arbeitsauftrag zusammen: Befähigung und Inklusion Kriegsversehrter. Seither profitieren Menschen mit Behinderung unterschiedlichster Natur vom zügigen und konsequenten Ausbau des Berufsbilds „Ergotherapeut:in“. Mittlerweile haben nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihr Umfeld einen Nutzen von Ergotherapie. Das ist gerade für Eltern von Kindern mit angeborenen Behinderungen wie beispielsweise Trisomie 21, Cerebralparese, FASD (Fetale Alkoholspektrumstörung) und vielen weiteren Erkrankungen und Störungen eine maßgebliche Hilfe. Dabei geht es an erster Stelle darum, den betroffenen Kindern zu größtmöglicher Eigenständigkeit zu verhelfen und sie so zu befähigen, dass sie ihr Potenzial bestmöglich ausschöpfen – geistig und körperlich. Ergotherapeut:innen versetzen ihre kleinen Patient:innen in die Lage, in jeder Problemsituation selbst eine jeweils geeignete Lösung zu finden. Hierfür entwickeln sie gemeinsam mit diesen Kindern Kompensationsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien, durch die sie grundsätzlich und erst recht in kritischen Momenten mit den Anforderungen im Alltag zurechtkommen. Außerdem lernen Kinder mit Behinderung – und oft auch ihre Eltern – in der Ergotherapie Regeln und dass es Grenzen gibt. So gelingt es ihnen, mit den Menschen und Kindern, mit denen sie zusammenleben oder die zu ihrem Alltag gehören, angemessen umzugehen.

Für alle Kinder, mit und ohne Behinderung, ein förderliches Umfeld schaffen

Das Leben von Kindern mit einer Behinderung wird umso leichter, je besser ihr soziales Umfeld informiert und geschult ist. Daher gehört Edukation zur ergotherapeutischen Intervention: Ergotherapeut:innen klären die Eltern, weitere Familienangehörige, pädagogisches Personal und andere Kinder aus dem Lebenskreis der betroffenen Kinder über die Erkrankung und deren Folgen auf. Das ist unter anderem bei Autismus-Spektrum-Störung und weiteren, komplexen Behinderungen ausschlaggebend, um mit dem Verhalten betroffener Kinder richtig umgehen zu können. Und ebenso, um das eigene Verhalten so zu steuern, dass ein verständnisvolles, zielgerichtetes und konstruktives Miteinander und Inklusion entstehen. Inklusion bedeutet auch, alle Kinder, also Kinder mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung, ab einem möglichst frühen Zeitpunkt miteinander aufwachsen zu lassen. Kennen Kinder bereits aus Kita und Regelschule Kinder mit einer Behinderung, kommen viel weniger Berührungsängste auf, es wird zu etwas Selbstverständlichem. Eher scheint manchmal die fehlende Akzeptanz einiger Eltern eine Hürde. Sie haben vielleicht veraltete Vorstellungen oder andere Vorbehalte. Aufklärung im Vorfeld bewirkt in jedem Fall mehr Verständnis und Akzeptanz. Ergotherapeut:innen bringen über ihr ergotherapeutisches Wissen hinaus Kenntnisse aus Medizin, Sozialwissenschaften, Pädagogik, Psychologie und Soziologie mit. Sind sie Teil des Schulteams, kann die Schulleitung einerseits die Lehrer:innen aus der Schusslinie nehmen, andererseits mit der Fachkompetenz der Ergotherapeut:in bei den gesundheitlichen Aspekten punkten. „Ein weiterer, positiver Nebeneffekt“, so Pfeiffer „ist, dass Ergotherapeu:innen vor Ort Entwicklungsdefizite bei vermeintlich gesunden Kindern früh erkennen und behandeln können.“ Alle Kinder werden also optimal gefördert.

Mehr Verständnis im Arbeitsalltag: Ergotherapeut:innen als Job-Coach für Menschen mit Behinderung

Was vielen nicht bekannt ist: Die wenigsten Menschen mit Behinderung haben diese von Geburt an; es sind lediglich vier Prozent mit einer angeborenen Behinderung. Bei den restlichen 96 Prozent handelt es sich um eine sogenannte erworbene Behinderung, etwa als Folge eines Unfalls oder einer Erkrankung – es kann also jede und jeden (be-)treffen. Häufig werden erwachsene Menschen durch Ereignisse wie beispielweise einen Schlaganfall, einen Arbeits- oder Sportunfall oder vermehrt durch psychische Erkrankungen aus ihrem aktiven Leben gerissen. Die meisten wollen sich dieses „alte Leben“ zurückerobern. Ergotherapeut:innen unterstützen sie dabei in jeglicher Form. Zunächst geht es darum, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten so weit als möglich, manchmal sogar vollständig zurückzuerlangen oder mithilfe von Hilfsmitteln und anderen Strategien dauerhafte Defizite und Behinderungen zu kompensieren. Fühlen sich die Betroffenen dazu imstande, steht im nächsten Schritt die berufliche Wiedereingliederung an. Ergotherapeut:innen mit der Qualifikation „Job Coach“ begleiten diesen Prozess. Denn die Rückkehr in den Berufsalltag ist mitunter problembehaftet. Immer wieder treffen Menschen mit einer erworbenen Behinderung auf mangelndes Verständnis, wenn sie an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren. Oder die Erwartungen von Vorgesetzen und Kolleg:innen an die Leistungsfähigkeit sind zu hoch. Manchmal kommt es auch zu Berührungsängsten und anderen Unsicherheiten. Hier ist das ergotherapeutische Einfühlungsvermögen der Job Coaches gefragt. Sie gehen als neutrale Beobachter:innen in die Unternehmen, lernen Aufgaben und Abläufe kennen, werden Teil des Teams, vermitteln, sorgen wenn nötig für Barrierefreiheit und dafür, dass die Wiedereingliederung für alle Involvierten bestmöglich verläuft. „Das ist in Zeiten von Personalmangel, extrem hoher Krankenstände und weiterer, krisenbedingter Belastungen für Unternehmen wichtiger denn je“, bestätigt Andreas Pfeiffer.

Ergotherapeut:innen für Barrierefreiheit

Auch im Hintergrund, wenn es zum Beispiel um Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden und Räumen geht, setzen sich Ergotherapeut:innen für Menschen mit Behinderung ein. Barrierefrei bedeutet weit mehr als rollstuhlgerecht. Der Ergotherapeut Pfeiffer führt aus: „Barrierefrei heißt, dass alle Menschen mit Behinderung sich in ihrer Umwelt leicht orientieren und möglichst selbstständig bewegen können, sich dadurch kompetent und unabhängig fühlen“. Hier ist die Expertise von Ergotherapeut:innen gefragt, die einerseits Kenntnisse der Krankheitsbilder und Behinderungen, aber ebenso die Empathie besitzen, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zu vertreten. Denn diejenigen, für die die Veränderungen vorgenommen werden, müssen sie auch als hilfreich empfinden. Dazu gehen Ergotherapeut:innen zusätzlich in den Dialog mit betroffenen Personen, befragen sie und fordern deren unterschiedliche Anliegen ein. So benötigen beispielsweise Menschen mit einer Hörschädigung andere Hilfen und Erleichterungen als Menschen mit einer Sehbehinderung. Für kleinwüchsige Menschen muss alles in erreichbarer Höhe angebracht sein und viele Menschen mit einer geistigen Behinderung kommen dank Erklärungen oder Anweisungen in leichter Sprache gut alleine zurecht. Das ergotherapeutische Ziel ist, dafür zu sorgen, dass Umfeld und Umwelt eines jeden Menschen mit Behinderung so aussehen, dass er oder sie ohne fremde Hilfe zurechtkommen kann, sprich die Voraussetzungen für Inklusion und Teilhabe erfüllt sind. „Ein solches Umfeld erleichtert oft auch das Leben von Menschen ohne Behinderung“, lautet das Schlusswort des Ergotherapeuten Andreas Pfeiffer.

Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche

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