Vom 14. April bis 2. Juli 2023 findet im Kunsthaus Zürich die erste Ausstellung statt, die der surrealistischen Kooperation von Salvador Dalí und Alberto Giacometti gewidmet ist. Im Mittelpunkt steht die Konstruktion eines grossen, nie realisierten Projekts für einen Garten.

Es war ein Wendepunkt im Schaffen von Alberto Giacometti, als das französische Sammler-Ehepaar Charles und Marie-Laure de Noailles ihm den Auftrag erteilte, eine Installation für den Aussenraum ihres südfranzösischen Sommersitzes zu gestalten. Hauptzeugnis dieser Idee ist das bedeutende «Projet pour une place» von 1931/32, eine Assemblage einzelner abstrakter Formelemente. Seine Einzelteile wurden zuerst in Modellen kleineren Massstabs aus Holz realisiert und später in Originalgrösse in Gips. Das Projekt als Ganzes und aus Stein gehauen wurde nie realisiert. Im Massstab 1:1 nachgebaut, steht die imaginierte Installation im Herzen der Ausstellung, die von der Pariser Fondation Giacometti erarbeitet worden ist (Kuratorin Émilie Bouvard) und im Kunsthaus von Philippe Büttner zusammen mit der Pariser Kollegin kuratiert wurde. Es handelt sich um die erste Ausstellung überhaupt, in der die Resultate raumbezogener surrealistischer Kooperationen von Alberto Giacometti und Salvador Dalí zusammengeführt werden. In Skizzen und Archivalien beider Künstler sind die Visionen und Prozesse dokumentiert.

DER TRAUMGARTEN. PROJET POUR UNE PLACE
Das Projekt für einen Platz begann 1929, als Giacometti die erste von drei Figuren für die Villa der de Noailles in Hyères entwarf. Ergänzend stellt er sich ein Ensemble geometrischer Figuren auf einem Plateau vor; das eigentliche «Projet pour une place» nimmt seinen Lauf. In seine Notizbücher zeichnet der Künstler fünf Elemente, die im Betrachter mannigfache Assoziationen hervorrufen. Ähnlich wie in einem Traum scheinen die Gegenstände eine konkrete Funktion nur anzudeuten. Ein Kegel, eine Scheibe, eine Schlange, eine Stele und eine Halbkugel. Ihre Formen oszillieren zwischen greifbar und abstrakt, natürlich-organisch und künstlich konstruiert, Objekte mit eigenem Charakter, die plötzlich einen Raum bilden, in dem sich die Besucherin unvermittelt wiederfindet. In der Grundfläche der Grösse eines Pavillons entsprechend (200 x 317 x 225 cm), sollte Giacomettis Installation in dem von einer Mauer eingefassten Garten der modernistischen Villa Noailles in Hyères platziert werden. Später fasst Dalí die Idee, diese ungefähr in menschlicher Grösse proportionierten Elemente in eine biomorphe Gartenanlage einzubetten, wie die Skizze «Projet pour les Noailles», 1932/33 des Spaniers erkennen lässt. Eine Gemeinschaftsarbeit, deren Basis eine gemeinsame Geisteshaltung war.

OBJEKTE MIT SYMBOLISCHER FUNKTIONSWEISE
Im April 1930 entdeckten Breton und Dalí in einer Ausstellung in der Pariser Galerie Pierre Giacomettis berühmte «Boule suspendue», worauf sie Giacometti baten, dem Kreis der Surrealisten beizutreten. Ihr gemeinsames Credo: Die ganze Welt menschlicher Psyche sollte nun in der Kunst zum Ausdruck kommen. Auch das bisher Verdrängte, Themen wie Sexualität und Gewalt, Obsessionen oder Grausamkeit, wie sie seit der Freudschen Lehre oder auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs hervorgetreten waren. Giacomettis Objekt besteht aus einer ähnlich wie eine Melonenscheibe gestalteten Grundform, über der, an einer Schnur befestigt, eine passend eingekerbte Kugel schwebt. Das Objekt aktiviert bei der betrachtenden Person die Vorstellung der Auslösung einer erotisch aufgeladenen Bewegung der Kugel über der unter ihr befindlichen Form. Inspiriert von dieser Arbeit Giacomettis publizierte Dalí 1931 einen wichtigen Text, in dem er zur Erschaffung weiterer solcher Objekte aufforderte, die er «Objets à fonctionnement symbolique», also Objekte mit symbolischer Funktionsweise nannte. Dabei spielte u. a. die Forderung nach der – zumindest potenziellen – Präsenz eines mechanischen Funktionierens im Rahmen eines Objekts (wie bei Giacomettis «Boule suspendue») eine wichtige Rolle. Wie beim damals innovativen surrealistischen Film, von dem das wohl prominenteste Beispiel – Luis Buñuels «Chien andalou» von 1929 mit seiner berühmten Szene eines mit einem Rasiermesser durchschnittenen Augapfels zu sehen ist, ist also auch hier das Element der Bewegung wesentlich. Dalí war übrigens am Drehbuch dieses Films beteiligt, wodurch André Breton auf ihn aufmerksam geworden war.

EINTAUCHEN IN DIE KREATIVE WELT DES SURREALISMUS
Die Ausstellung im Kunsthaus zeigt eine bedeutende Gruppe entsprechender surrealistischer Objekte Giacomettis, darunter die «Boule suspendue» aus den Basler Beständen der Alberto Giacometti-Stiftung, ein Schlüsselwerk. Zusätzlich lässt eine erlesene kleine Gruppe von Gemälden Dalís dessen phantasmagorische visuelle Welt erfahrbar werden, für die dieser Künstler bis heute berühmt ist. Bedeutende Skizzen Giacomettis und Dalís – darunter mehrere aus Giacomettis selten gezeigten «Carnets» (Skizzenbüchern), sowie Dokumente und Fotografien ergänzen die Ausstellung, die ein einzigartiges Eintauchen in die kreative Welt des Pariser Surrealismus der frühen 1930er-Jahre ermöglicht. Für einmal tritt der Surrealismus hier also als künstlerische Bewegung in Erscheinung, die in der Zusammenarbeit von zwei ihrer massgeblichen Vertreter die grosse Form und den offenen Raum suchte. Die zuvor in Paris im Institut Giacometti gezeigte Präsentation macht erfahrbar, wie Alberto Giacometti aus der Kooperation mit Salvador Dalí heraus eine neue Gestaltungsweise von Kunst erschuf, die – weit vorausschauend – das Kunstwerk neu als Objekt sah, das, wie eine Installation im Raum platziert, herkömmliche skulpturale Konzepte weit hinter sich liess. Ergänzt wird die Präsentation mit Werken anderer Künstlerinnen und Künstler des Surrealismus wie Luis Buñuel und Yves Tanguy.

PUBLIKATION
Die Ausstellung wird von einer Publikation bei Editions Fages begleitet. Das handliche Buch enthält Texte von Camille Lesouef, Serena Bucalo-Mussely, Émilie Bouvard, Philippe Büttner und Jeannette Zwingenberger. Auf fast 200 Seiten sind zudem zahlreiche selten zu sehende Fotografien und Skizzen versammelt. Es ist für CHF 39.– im Kunsthaus-Shop und im Buchhandel in einer deutsch-englischen und einer französisch-englischen Version erhältlich.

FÜHRUNGEN
Ausgebildete Kunstvermittlerinnen führen samstags und mittwochs durch die Ausstellung: Sa 15./22./29. April, 6./13./20./27. Mai, 11 Uhr. Mi 7./14./21./28. Juni, 18.30 Uhr. Am Sonntag, 7. Mai um 14 Uhr findet eine englische Führung statt. 
Private Führungen nach Wunsch organisiert das Kunsthaus – auch in anderen Sprachen und zu individuell vereinbarten Terminen – gerne auf Anfrage. Weitere Informationen auf kunsthaus.ch oder unter kunstvermittlung@kunsthaus.ch.

In Kooperation mit der Fondation Giacometti, Paris.

Unterstützt von Credit Suisse, Partnerin Kunsthaus Zürich, sowie von der 
Hans Imholz-Stiftung und der Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung.

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