Eine Trennung oder Scheidung hat ebenso wie das Leben als Patchworkfamilie immer Auswirkungen auf alle, insbesondere auf die Kinder. Die Folgen können sich auf ungeahnte Art und Weise zeigen; manchmal sind sie für die Eltern gar nicht sichtbar. „Kinder erleben eine Gefühlsachterbahn aus Ängsten und Selbstvorwürfen, wenn das propagierte Vorbild einer intakten Familie aus Vater, Mutter, Kind bröckelt oder neue Personen in das Familiensystem kommen“, bestätigt Sarah Henry, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.). Jedoch denken Erwachsene in einer Phase, in der sie sich selbst in einer emotional stark belasteten oder finanziell angespannten Lage befinden selten daran, ihren Kindern die Sorgen oder Schuldgefühle zu nehmen. Oder hierfür professionelle Hilfe zu holen. Dabei können spezialisierte Ergotherapeut:innen frühzeitig Kinder und Eltern unterstützen, damit alle Familienmitglieder eine solche Krise möglichst unbeschadet überstehen oder bei einem Neuanfang gut zusammenwachsen.

Oft gehen einer Trennung Konflikte voraus, die Eltern vermehrt vor den Kindern austragen. Doch unabhängig davon, ob es im Vorfeld Konflikte zwischen den Eltern gibt oder nicht, stellen sich Kinder häufig Fragen wie: Bin ich schuld daran, dass Mama und Papa sich nicht mehr liebhaben? Sich streiten? Oder „am Ende“: sich die Eltern trennen? „Kinder dürfen bei einer Trennung oder Scheidung nicht alleine gelassen werden“, betont die Ergotherapeutin Sarah Henry. Bei allem Verständnis für die Not der Eltern sagt sie: „Niemand hat sich eine solche Situation ausgesucht, aber die Kinder haben es am allerwenigsten“. Gerade bei ihnen entsteht jedoch leicht der größte (Entwicklungs-)Schaden.

Wichtig für Eltern und Kinder: Die Trennung oder Scheidung gut verarbeiten

Die Ergotherapeutin bittet Eltern eindringlich darum, am besten schon bei beginnenden Partnerschaftsproblemen sehr genau auf ihr Kind zu schauen: Hat es, sofern es bereits in der Schule ist, dort Schwierigkeiten? Wie verhält es sich zuhause? Ist es stiller? Aggressiver? Hat es Schlafprobleme? Oder tut es so – und das ist das Schlimmste, was passieren kann – als ob gar nichts wäre? Dann ist davon auszugehen, dass das Kind versucht, alles mit sich alleine auszumachen und es sich von seinen negativen Gefühlen abspaltet. „Die Bandbreite von Anzeichen ist groß und ließe sich beliebig fortsetzen“, berichtet Sarah Henry aus ihrer langjährigen Erfahrung als Ergotherapeutin. Ihr ergotherapeutischer Background prägt ihre Arbeit und sie lenkt ihren Blick immer wieder auf das Ganze, also auch auf das Umfeld. Ist der Elternteil, der erkennen soll, dass das Kind ein Problem hat, emotional dazu in der Lage? Wollte diese Person die Trennung und wie hat sie diese bisher verarbeitet? Was projiziert sie möglicherweise in das Kind oder die Kinder beziehungsweise empfindet sie die Probleme der Kinder als zusätzliche Belastung? Häufig geraten Kinder zwischen die Fronten, werden instrumentalisiert oder entwickeln durch das Verhalten und die Aussagen der Eltern Loyalitätsprobleme. Doch wäre es im Sinne eines gesunden Erwachsenwerdens für die Kinder entscheidend, wenn die Eltern ihre eigenen Bedürfnisse zur Seite stellen und im Sinne des Kindeswohls handeln.

Professionelle Unterstützung durch Ergotherapeut:innen für die gesamte Familie

„Es gibt eine Vielfalt ergotherapeutischer Ansätze und Möglichkeiten, um in solchen Lebenslagen vernünftige, gut umsetzbare Verhaltens- und Bewältigungsstrategien zu erarbeiten – und zwar für alle; für die Eltern ebenso wie für die Kinder“, verweist Henry auf eine sinnvolle und zielgerichtete Vorgehensweise, um die Paarprobleme losgelöst von der Rolle als Eltern anzugehen und parallel die Kinder zu stärken. Um Schlimmeres zu verhindern, ist es ratsam, bereits bei anfänglichen Problemen eines Kindes mit dem Arzt oder der Ärztin zu sprechen. Ein zugewandter Arzt beziehungsweise Ärztin wird bei Schwierigkeiten, die auf eine beginnende Verhaltens- oder Entwicklungsstörung beim Kind hinweisen, beispielsweise Ergotherapie verordnen. Mögliche Diagnosen sind das Verbessern der Sozialkompetenzen des Kindes, eine Anpassungsstörung oder eine depressive Episode. Eine ergotherapeutische Intervention ist auch in Hinblick auf die weitere Zukunft der Familie von großer Bedeutung. Häufig kommen nach einer Trennung oder Scheidung neue Partner:innen ins Spiel. Mit oder ohne eigene Kinder oder mit gemeinsamen Kindern – alles kann bei den Kindern aus der jeweiligen Ursprungsfamilie weiteren oder neuen emotionalen Stress bewirken. Umso wichtiger, aktuelle Probleme zeitnah anzugehen.

Wenn es sich neu zusammenfügt: die Patchworkfamilie

„Zentrale Themen für Kinder in einer Patchworkfamilie sind Eifersucht und Konkurrenzerleben, Gefühle von Benachteiligung oder Ungerechtigkeit“, lässt die Ergotherapeutin einen kleinen Blick auf die Gefühlswelt von Kindern in einer solchen familiären Situation zu und ergänzt: „Neue Partner:innen und deren Kinder oder neue gemeinsame Kinder entfachen oft neue Verlustängste oder verstärken bereits vorhandene, sofern sie nicht zuvor therapiert wurden“. Auch Identitätsfragen wie: „Werde ich jetzt ersetzt? Oder: „Wo gehöre ich in diesem System hin?“ beschäftigen diese Kinder. Aus der täglichen Praxis als Ergotherapeutin weiß Sarah Henry wie es meistens abläuft, wenn neue Partner:innen in Erscheinung treten und wie das System bereits dadurch ins Schlingern gerät oder sich Fronten bilden. Sie schlägt eine behutsame Annäherung aller Beteiligter vor. An deren Gelingen macht sich letztendlich auch die Zukunftsfähigkeit einer neuen Beziehung fest. Die Ergotherapeutin legt Eltern nahe, neue Partner:innen allmählich und im eigenem Tempo der Kinder zu integrieren. Zunächst den- oder diejenige namentlich zu erwähnen, von Treffen zwischen Mama oder Papa mit der neuen Bekanntschaft zu erzählen und Fotos zu zeigen. Ein erstes persönliches Kennenlernen sollte, so die Ergotherapeutin, auf neutralem Boden stattfinden. Je nach Alter der Kinder legt sie den Eltern ans Herz, zusammen zu spielen. Und bereits im Vorfeld bei allen klarzustellen: Das Kind und wirklich nur das Kind steht im Fokus und nicht etwa die neue Person. Auch Diskussionen vor dem Kind sind absolut tabu. Wenn es etwas zu besprechen gibt, so kann das nach dem Treffen erfolgen.

Neue Rollenverteilung in der Patchworkfamilie

„Falsche oder unausgesprochene Erwartungen sowohl der Eltern als auch der neuen Partner:innen sind häufig ein weiteres Dilemma“, sagt Henry und betont, dass sie Familien, die sie ergotherapeutisch betreut, immer wieder darauf hinweist, was ein Kind im jeweiligen Alter können kann. Und was für eigene Entwicklungsaufgaben es außer den familiären Herausforderungen gerade zu bewältigen hat: Lesen, Schreiben, Rechnen lernen, Pubertät und so weiter. Ergotherapeut:innen, die wie Sarah Henry ihren Schwerpunkt in der Paar- und Familientherapie haben, befähigen ihre Klient:innen, die jeweiligen (neuen) Rollen in der Patchworkfamilie klar zu definieren und den Kindern einfühlsam aber bestimmt zu kommunizieren. Strukturen und Klarheit sind essenziell. Kinder müssen wissen, wer hat wann das Sagen und welche Regeln gelten in der Patchworkfamilie. „Das hilft außerdem, Reaktionen der Kinder wie „Du bist nicht mein Papa/ meine Mama, Du hast mir gar nichts zu sagen“ zu verhindern“, erklärt Henry. Kommen neue, gemeinsame Kinder hinzu, verändert sich die Dynamik im Familiensystem, Probleme spitzen sich häufig weiter zu. Die Kinder aus der vorherigen Beziehung fühlen sich meist von den eigenen Eltern benachteiligt, weniger geliebt. Unbewusst „funktionieren“ diese Kinder dann besser und leisten umso mehr, um – auch das geschieht unbewusst – den Eltern zu gefallen und mit ihrer Liebe und Aufmerksamkeit „belohnt“ zu werden.

Ergotherapeut:innen enttarnen spielerisch familiäre Muster

Ergotherapeut:innen setzen gerne die Arbeitsmethode des gezielten Beobachtens ein. Ins Spiel vertieft zeigen Kinder – und wenn es um die gesamte Familie geht auch die Eltern – unverfälscht ihre typischen Verhaltensweisen und persönlichen Eigenschaften. „Will jemand unter allen Umständen gewinnen, dominiert eine:r die anderen, wer hält sich akribisch an Regeln und fordert das vom Rest der Familie ein, wer schummelt, wer ist laut, wer wirkt unbeteiligt? Aus diesen Beobachtungen lassen sich die Verhaltensweisen im Familienalltag ableiten“, erklärt die Ergotherapeutin, wie sie eine Grundlage für die gemeinsame Reflexion schafft: Was ist und wer kann was und wie ändern. Ebenfalls sehr zielführend und für die Selbsterkenntnis wegweisend sind Rollenspiele mit vertauschten Rollen: Die Kinder schlüpfen in die Rolle der Eltern und andersherum. Beide können davon profitieren. Oft staunen Eltern, wie das Kind auf ihr schlechtes Benehmen in der Kinderrolle reagiert und welche Erziehungsmaßnahme es für Mama oder Papa bereithält. Genauso erhellend kann es im umgekehrten Fall auf Eltern wirken. Sie bekommen ungefiltert gezeigt, wie das Kind ihr Verhalten wahrnimmt. Auch danach leitet die Ergotherapeutin jede und jeden Einzelne:n an, zu reflektieren und Vorschläge und Ideen zu entwickeln, um in Zukunft etwas anders zu machen. „Es hat einen ungemein positiven Effekt auf die Familiendynamik, wenn alle gemeinsam auf die bestehenden Schwierigkeiten schauen, an Lösungen arbeiten, sich zunehmend sowohl in ihren individuellen Bedürfnissen und ebenso als gesamtes System wahrnehmen und bereit sind, etwas zu ändern, um sich als neue Familie zu finden“, fasst die Ergotherapeutin zusammen.

Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche

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