Es ist das Comeback des Jahres 2023: Die „Tutima“ (Eigner Jörg Delecate/Uhrenmanufaktur Tutima Glashütte) kehrt bei der ORC-WM vor Kiel (4. bis 12. August) auf die Regattabahn zurück. Die reine Frauencrew um Skipperin Kirsten Harmstorf-Schönwitz (Mühlenberger Segel-Club/MSC) war über elf Jahre (2009 bis 2020) fester Bestandteil der Offshore-Szene. Zahlreiche Erfolge und vor allem der Beweis, dass Frauen auch offshore mithalten und gewinnen können, waren die Inhalte eines einmaligen Engagements und wirbelten das Gedankengut der von Männern dominierten Hochseesegelszene durcheinander. Die „Tutima“ beherrschte die Schlagzeilen vom „Handelsblatt“ über die von Tagezeitungen, Outdoor- und Wassersportmagazinen bis hin zu Internetportalen: „Pretty in Pink“, „Der Erfolg ist pink“ und „Segeln ist pink“ (Coastwriter) sind – in Anspielung auf die Farbe des Crew-Outfits – nur einige Überschriften aus mehr als einem Jahrzehnt. Nun gibt es ein Wiedersehen mit der dk 46 zur Offshore-WM: 2023 ist die Segelwelt zumindest für neun Tage wieder ein bisschen mehr pink. „Die WM vor der eigenen Haustür ist ein guter Anlass, die ‚Tutima‘-Rennyacht wieder zu aktivieren“, so Jörg Delecate, Geschäftsführer der Uhrenmanufaktur Tutima mit Sitz in Glashütte. Auch als offizieller Zeitnehmer der Kieler-Woche-Regatten ist das Familienunternehmen dem Segelsport und Kiel schon seit vielen Jahren verbunden. „Die Resonanz auf unsere Idee ist extrem positiv. Die international erfahrene Mädels-Crew um ‚Tutima‘-Skipperin Kirsten Harmstorf-Schönwitz ist hochmotiviert und freut sich auf ein Wiedersehen auf der Regattabahn.“

Kirsten Harmstorf-Schönwitz tritt mit der bewährten Crew an. „Wir freuen uns riesig auf das Comeback, auch wenn es fast ein Kaltstart sein wird. Es wird keine Vorab-Regatten oder Trainingseinheiten geben. Die Crew zu reaktivieren, war kein Problem. Wir haben immer noch sehr engen Kontakt und haben auch weiterhin unsere gemeinsamen Weihnachtsfeiern“, so die Skipperin. Die dk46 werde entstaubt, zweimal gesegelt und dann geht es los. „Eine WM ist vielleicht etwas hoch angesiedelt, aber Spaß werden wir auf jeden Fall haben“, so die Hamburgerin, die die sportlichen Erwartungen nicht zu hoch hängt.

Der Blick zurück2020 war ihre letzte Kieler Woche, die letzte Regatta auf der „Tutima“. Kirsten Harmstorf-Schönwitz, Spitzname „Kirsche“, zog sich nach elf intensiven Regattajahren zurück, um sich um die Familie zu kümmern, Freizeit zu genießen und zu cruisen statt zu regattieren. Dort, wo elf Jahre vorher alles anfing, ging eine einmalig erfolgreiche Kampagne zu Ende.

„Wir haben schöne und erfolgreiche gemeinsame Jahre erlebt, aber alles geht auch einmal zu Ende“, erklärte Jörg Delecate zur Entscheidung von Kirsten Harmstorf-Schönwitz. Die dk 46 ging ins Winterlager. „Was folgen wird, wissen wir noch nicht. Auf keinen Fall suchen wir nach ‚nur‘ einer neuen Skipperin“, so der Tutima-Eigner 2020. Die Seesegelszene war damit 2021 und 2022 um eine Bereicherung ärmer, die Kieler Woche hat die Frauencrew in ihren pinkfarbenen Fleecejacken vermisst, und die Männercrews haben auf See eine starke Konkurrenz weniger.

Noch ein Jahr vor ihrem Abschied mischten die Hamburgerinnen 2019 die Segelszene gewaltig auf, als sie am legendären Rolex Fastnet Race teilnahmen. Das 1925 erstmals gestartete, 605 Seemeilen lange Rennen gilt als Olymp des Offshore-Segelns, war als Langstrecke ein wichtiger Teil des nicht mehr stattfindenden prestigeträchtigen Admiral’s Cups und von 1957 bis 2003 die inoffizielle Weltmeisterschaft der Hochseesegler. 2019 hat die einzige rein weibliche Crew unter den 390 Teams aus 29 Nationen das Fastnet Race erfolgreich beendet. Das 13-köpfige „Tutima Sailing Team“ erreichte nach drei Tagen, 22 Stunden und 8 Minuten das Ziel in Plymouth und landete damit im guten Mittelfeld. Ein riesiger Erfolg für ein Amateurteam, das nicht professionell segelte und ohne neues Schiff antrat. Die englische Presse stand Kopf.

Neben diesem beeindruckenden Ausflug nach Großbritannien war es immer wieder die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel, die die „Tutima“ lockte. Mit der Kieler Woche 2009 begann alles, mit der Kieler Woche 2020 endete es – bis jetzt. „Die Kieler Woche war ein schöner Abschluss, besser hätte ich es mir nicht vorstellen können.“ Dennoch ein Abschied, der schwerfiel. „Wir haben am letzten Tag viel geheult. Die letzte Wettfahrt war furchtbar. Es gab so viele letzte Male.“ Der letzte Start, die letzte Kreuz, der letzte Downwind-Kurs und das letzte Mal durchs Ziel. Um die Schwermütigkeit wegzupusten, drehte der Wind auf. Am Luv-Fass schaute die Skipperin auf die Windanzeige, die ihr verriet, dass 34 Knoten über den Kurs fegten. Trotzdem zogen sie den Spinnaker, letzte Rauschefahrt ins Ziel. „Unter Tränen des Wehmuts, aber auch gleichzeitig des Glücksgefühls, dass jeder Handgriff sitzt, alle vollen Einsatz geben, alles läuft und die Geschwindigkeit der Lady sie alle mitreißt“, blickte Kirsten Harmstorf-Schönwitz, die beruflich beim Yachtversicherer Pantaenius und privat bei Törns mit ihrem Mann dem Wassersport verbunden bleibt, vor zweieinhalb Jahren zurück. Jetzt strahlen Skipperin und Crew wieder.

Mit erfolgreichen Auftritten bei den großen deutschen Offshore-Regatten vor Kiel (2016: 3. Platz bei der IDM), Warnemünde, Travemünde und Helgoland (ein 1., zwei 2. und ein 3. Platz) unterstrich die Frauen-Crew ihr Können und ließ viele Männer hinter sich. Zu den Topplatzierungen zählen bei der Europameisterschaft 2017 vor Polen Platz vier in der Gesamtwertung und die Vizemeisterschaft in der Corinthian-Wertung. Bei der WM 2014 vor Kiel belegte die „Tutima“ in der Kategorie A Platz 15 unter 27 Startern.

Mit dem Auftritt und den Erfolgen der „Tutima“ hat sich das Bewusstsein im Offshoresegeln verändert. Die Frauen sind anerkannt und werden als Konkurrenz ernst genommen und gefürchtet.

 Das war vor „Tutima“ nicht soBereits 1985 hatte sich der Eintonner „Rodeo“ mit zwölf weiblichen Crew-Mitgliedern um die Teilnahme am Admiral’s Cup, der Mannschafts-Weltmeisterschaft der Hochsee-Segler, beworben. Zu dieser Zeit schien ein solches Projekt völlig utopisch. Die EDV-Analytikerin Marianne Schweer fand gegenüber dem „SPIEGEL“ zu dem von C&A unterstützten Projekt klare Worte: „Nichts gegen Sponsoren. Aber wenn einer daherkommt, gutaussehende Mädchen aufsammelt, denen die Kompetenz fehlt, dann ist das pure Vermarktung.“

Und Achim Griese, 1984 vor Long Beach (USA) mit Vorschoter Michael Marcour Olympia-Silbermedaillen-Gewinner im Star, beschrieb es höflich: „Eine Yacht mit weiblicher Crew belebt die Szene. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass der Ladies-Cupper zu großen Erfolgen kommt.“ Das C&A-Projekt war auf fünf Jahre angelegt und lief dann geplant aus.

Den Weg für neue Projekte ebnete die „Tutima“ 24 Jahre später.
Es folgte die „Akka“ (Anke Scheuermann/Gaastra). Die zehn Frauen gingen mit dem von Hotquito gesponserten Finnflyer 36 unter anderem 2017 bei der EM vor Danzig an den Start und belegten in der Kategorie „C“ Rang zehn. „Es macht Spaß, das Boot peu à peu unter Kontrolle zu bekommen. Ich kenne es auch noch anders herum, als es mich unter Kontrolle hatte“, konstatierte Anke Scheuermann 2017.

Die erfahrene „Tutima“-Crew belegte parallel in der Kategorie „A“ Rang 4.

Bei der WM 2023 vor Kiel ist neben der „Tutima“ mit der „Rubix“ (Eshana Müller/Hamburger SC/X-332) in der Kategorie C eine weitere reine Frauen-Crew am Start. Die Zeiten des Exoten-Status‘ sind vorbei.

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