Eine gestern von der isländischen Regierung veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass über 40 % der Wale, die während der letzten Walfangsaison getötet wurden, nicht sofort tot waren. Anders als von Walfängern behauptet, sterben die harpunierten Wale einen langsamen und schmerzhaften Tod. Es ist das erste Mal in der Geschichte des isländischen Walfangs, dass eine isländische Behörde das Leiden der Tiere im Walfang untersucht.

„Die Studie liefert den unzweifelhaften Beweis, wie grausam der Walfang ist“, sagt Patrick Ramage, Programmdirektor für Meeresschutz des IFAW (International Fund for Animal Welfare). „Kein Tier, unabhängig davon, wie es getötet wird, sollte über einen so langen Zeitraum leiden müssen. Wale sind empfindsame und intelligente Wesen, die physisch und psychisch während der Tötung extrem leiden. Alle wissen, dass der Walfang überholt und grausam ist, er muss sofort beendet werden. Niemand in Island ist auf das Fleisch der Wale angewiesen.“

Expert:innen haben während der isländischen Finnwalfangsaison 2022, bei der insgesamt 148 Wale getötet wurden, Filmmaterial aufgenommen und jetzt ausgewertet. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Erhebung der Zeit, wie lange es dauert, bis ein harpunierter Wal als tot eingestuft wird. Diese Zeit wird als „time to death“ bezeichnet. Die Videoaufnahmen dokumentieren die Tötung von 58 Finnwalen (die als "gefährdet" eingestuft sind) und belegen, dass jeder zweite Wal nicht sofort stirbt. 

  • Durchschnittlich leiden die Tiere 11,5 Minuten, bevor sie als tot gelten.
  • Fast ein Viertel der Wale musste ein zweites Mal harpuniert werden. 
  • In einem Fall kämpfte ein Tier zwei Stunden lang, bevor es schließlich für tot erklärt wurde.   
  • In einem Fall wurde ein Wal mit einer Harpune im Rücken fünf Stunden lang verfolgt, bevor er schließlich schwer verletzt entkam.

Von den insgesamt 148 getöteten Walen waren 73 % weiblich, 11 davon waren trächtig und einer säugte.

„Das Leiden der Tiere ist unvorstellbar. Letztes Jahr konnten wir beobachten, wie ein Wal mit vier Harpunen im Leib zurück an Land gebracht wurde. Ein Zeugnis der Grausamkeit, die auf See stattfindet“, so Ramage. „Es gibt keine Möglichkeit, einen Wal human zu töten. Der kommerzielle Walfang ist immer grausam und er ist noch dazu unnötig, deshalb ist es höchste Zeit, dass er eingestellt wird. Wale sind von immenser Bedeutung in unserem Ökosystem und Whalewatching ist zudem ein wichtiges Standbein für den isländischen Tourismus.“

Die Studie wurde durchgeführt, nachdem die isländische Fischereiministerin Svandis Svavarsdottir im Juli 2022 neue Regularien für den Walfang eingeführt hatte. Sie zwangen den letzten noch aktiven Walfänger Islands, Kristjan Loftsson, die Behörden auf die Schiffe seiner Firma Hvalur Hf zu lassen und den Walfang mit Überwachungskameras zu dokumentieren. Verantwortlich für die Mitte der letzten Walfangsaison 2022 gestartete Untersuchung und den jetzt veröffentlichten Bericht ist die isländische Veterinärbehörde MAST. Sie ist zuständig für die Überwachung des Walfangs auf den Schiffen und das Schlachten in den Walfangstationen an Land.

Während der Jagd verfolgen die Walfänger einen Wal so lange, bis sie eine Explosivharpune in das Tier schießen können. Die Harpune soll etwa einen Meter tief in den Wal eindringen, wo sie explodiert und Widerhaken aufspringen. In der Theorie ist die Explosion stark genug, um den Wal zu töten oder zu betäuben. Ob das wirklich gelingt, hängt davon ab, an welcher Stelle des Körpers die Harpune den Wal trifft. Wenn die Walfänger nicht genau treffen oder die Harpune nicht explodiert, kann es passieren, dass das Tier nicht sofort stirbt.

Die Zeit bis zum Todeszeitpunkt („time to death“) ist nicht der einzige Beweis für das Leiden der harpunierten Wale. Als tauchende Säugetiere ist ihr Organismus darauf ausgelegt, in extremen Stresssituationen das Gehirn mit sauerstoffreichem Blut zu versorgen. Es kann sein, dass ein Wal fälschlich für tot gehalten wird, weil seine Extremitäten schlaff sind, obwohl er noch bei Bewusstsein ist.

Wir fordern die isländischen Behörden auf, den Walfang zu verbieten und nach 2023 keine weiteren Walfanglizenzen oder -quoten zu vergeben.

Der IFAW lehnt kommerziellen Walfang ab. Er ist grausam und unnötig. Es gibt keine humane Art, einen Wal zu töten. Als rentable und nachhaltige Alternative setzt sich der IFAW für eine verantwortungsvolle Form der Walbeobachtung ein, da diese besser für Wale und Bewohner:innen der Küstengemeinden ist. 

Hintergrundinformation

Seit Inkrafttreten des Walfangmoratoriums 1986 wurden mehr als 1.900 Finn- und Zwergwale von isländischen Walfängern getötet. Die Walfänger von Hvalur Hf nahmen 2009 den kommerziellen Walfang auf Finnwale wieder auf und haben seither 993 Tiere erlegt. Derzeit hat Island eine selbst auferlegte Walfangquote, die Ende 2023 ausläuft, danach müsste die Fischereiministerin eine neue Fünfjahresquote genehmigen.

Eine weitere Verlängerung der fünfjährigen Walfangquoten könnten die internationalen Beziehungen Islands weiter belasten, auch zu den USA, die seit 2014 wegen des kommerziellen Walfangs und des internationalen Walfleischhandels diplomatische Sanktionen (sogenannte Pelly Amendment Sanctions) gegen Island verhängt haben.

Finnwale sind die zweitgrößten Säugetiere der Erde und werden in der Größe nur durch den Blauwal übertroffen. Sie werden durchschnittlich 20 Meter lang mit einem Gewicht von 38 bis 50 und sind schnelle Schwimmer. Weltweit wird die Art auf der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN als gefährdet eingestuft.

Über IFAW – Internationaler Tierschutz-Fonds gGmbH

Der IFAW (International Fund for Animal Welfare) ist eine weltweit tätige gemeinnützige Organisation für die bessere Koexistenz von Tieren und Menschen. Wir sind in mehr als 40 Ländern der Welt und auf den Meeren im Einsatz. Wir retten und pflegen Tiere, wildern sie wieder aus und bewahren und schützen ihre natürlichen Lebensräume. Die Probleme, denen wir uns stellen, sind drängend und komplex. Um sie zu lösen, brauchen wir mutiges Handeln und kluges Denken. Wir arbeiten mit Gemeinden, Regierungen, anderen NGOs und Unternehmen zusammen. Gemeinsam finden wir neue und innovative Wege, damit sich alle Arten in ihrem Lebensraum entwickeln können. So geht’s: ifaw.org

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