Immer mehr Menschen in Deutschland benötigen eine Psychotherapie. Allein im Jahr 2018 suchten 3,22 Millionen Personen einen Therapeuten auf und damit 41 Prozent mehr als in 2009. Um den Betroffenen schneller zu helfen, wurde im Jahr 2017 die Psychotherapie-Richtlinie reformiert. Auch wenn die Wartezeit bis zu einer Psychotherapie kürzer geworden ist, muss jeder dritte Patient mindestens einen Monat und fast jeder zehnte sogar mehr als drei Monate auf einen Therapieplatz warten. Zudem kritisiert jeder Dritte die Ergebnisse der Therapie. Das geht aus dem BARMER-Arztreport hervor, den die Krankenkasse am Donnerstag in Berlin vorgestellt hat. „Die Reform der Psychotherapie-Richtlinie hat zwar den Zugang zu psychotherapeutischer Ersthilfe erleichtert, reicht aber nicht aus. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind nach wie vor zu lang, zumal sich psychische Probleme chronifizieren können. Die Therapeuten sollten verstärkt Gruppentherapien anbieten, wenn es medizinisch sinnvoll ist“, sagte der Vorstandsvorsitzende der BARMER, Prof. Dr. Christoph Straub. Den Ergebnissen des Arztreports zufolge bekämen 94,4 Prozent der Patienten Einzeltherapien. Gruppentherapien seien zwar kein Allheilmittel, sie hätten aber den Vorteil, dass die Betroffenen gemeinsam an der Lösung ihrer Probleme arbeiten könnten. Hier seien nun auch die Verbände in der Pflicht, bei den Therapeuten verstärkt dafür zu werben.

Psychotherapeutische Sprechstunde neun Millionen Mal abgerechnet

Seit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie müssen die Praxen eine Psychotherapeutische Sprechstunde anbieten, die die Patienten etwa über Terminservicestellen vermittelt bekommen. In der Sprechstunde wird entschieden, ob eine Therapie notwendig ist und wenn ja, wie dringend sie ist. Diese Sprechstunde wurde laut Arztreport allein im ersten Jahr nach der Reform neun Millionen Mal abgerechnet. „Die Psychotherapeutische Sprechstunde hat sich bewährt. Sie wird millionenfach frequentiert und findet bei den Betroffenen positiven Anklang“, sagte Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Autor des BARMER-Arztreports und Geschäftsführer des aQua-Instituts in Göttingen. So hätten sich fast 90 Prozent der Patienten positiv darüber geäußert, wie umfassend die Therapeuten auf deren Anliegen eingegangen seien. Dies zeigten die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Zuge des Arztreports unter Psychotherapie-Patienten.

Terminservicestellen verstärkt in der Kritik

Mehr Kritik gab es laut Umfrage an den Terminservicestellen. So war nicht einmal jeder zweite Befragte mit dem vermittelten Termin zur Sprechstunde zufrieden. Die Gründe dafür seien vielfältig und umfassen unter anderem Schwierigkeiten, die Therapie mit dem Beruf zu vereinbaren oder die Uhrzeit, zu der die Therapie stattfinden solle. Ein anderer Grund für die Kritik könnte die Entfernung zum Therapeuten sein, an der nur etwas mehr als jeder zweite Befragte nichts auszusetzen hatte. „Die Terminservicestellen sorgen für einen schnellen Erstberatungstermin. Der Patient hat aber kein Anrecht darauf, dass der Therapeut in nächster Nähe ist. Wenn es nicht anders geht, müssen die Servicestellen leider an einen weiter entfernten Experten vermitteln“, sagte Szecsenyi.

Therapeut sollte im Vorfeld vor überzogenen Erwartungen warnen

Durchwachsen fiel gemäß der Umfrage auch das Urteil der Befragten zur Psychotherapie selbst aus. So waren zwar fast 89 Prozent der Befragten mit dem Vertrauensverhältnis zum Therapeuten sehr zufrieden, allerdings nur 66 Prozent mit dem Ergebnis der Therapie. Jeder Dritte war demnach teilweise oder gänzlich unzufrieden mit den Resultaten. „Viele Patientinnen und Patienten wünschen sich eine konkrete Lösung für ihre Probleme. Eine Psychotherapie deckt aber eher Verhaltensmuster auf und gibt Denkanstöße zum eigenen Handeln. Deshalb ist es wichtig, dass die Therapeuten den Patientinnen und Patienten zu Beginn klar formulieren, was sie sich von einer Therapie erhoffen können“, so BARMER-Vorstandschef Straub.

Zahl der Therapeuten massiv gestiegen

Dem BARMER Arztreport zufolge gab es im Jahr 2018 mehr als 36.500 Ärzte und Therapeuten mit einer psychotherapeutischen Qualifikation. Seit dem Jahr 2009 stieg die Zahl der psychologischen Psychotherapeuten um 54 Prozent von 13.700 auf 21.000. Die Zahl der ambulant tätigen Kinder- und Jugendpsycho-therapeuten hat sich mehr als verdoppelt, von rund 2.600 auf etwa 5.500. „Die steigende Anzahl der Therapeuten kommt nicht eins zu eins in der Versorgung an, weil immer mehr ihre Arbeitszeit reduzieren. Im Jahr 2013 haben 89 Prozent der psychologischen Psychotherapeuten in Vollzeit gearbeitet und in 2018 nur 73 Prozent“, sagte Szecsenyi. Zudem sei die regionale Verteilung unterschiedlich. Während in dünnbesiedelten Gebieten 21 Therapeuten auf 100.000 Einwohner kämen, seien es in dichtbesiedelten Regionen 69 Therapeuten. „Die Frage ist, wie bekommen wir die Therapeuten dorthin, wo wir sie am meisten brauchen? Hier ist über Anreizsysteme während der Weiterbildung nach dem Studium, Weiterbildungsverbünde oder womöglich auch über ein Modell ähnlich der ‚Landarztquote‘ für Studierende der Psychologie nachzudenken“, so Szecsenyi. Eine weitere Option seien Videosprechstunden, die auch im Rahmen der Psychotherapie möglich sind.

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