Agenturberichten zufolge hat sich das bayerische Wirtschaftsministerium in Gesprächen mit Branchenverbänden und Versicherern auf eine Empfehlung für Bayern, zum Umgang mit bisher abgelehnten Forderungen von Versicherungsnehmern in der Betriebsschließungsversicherung geeinigt. An den Gesprächen beteiligt waren neben Vertretern des Ministeriums und der Branchenverbände lediglich drei Versicherer (Versicherungskammer Bayern, Allianz, Haftpflichtkasse Darmstadt). Gemeinsam verständigten sich die Teilnehmer auf eine Empfehlung, wonach Versicherer nicht 100 Prozent der vereinbarten Versicherungsleistung, sondern lediglich 10 bis 15 Prozent der vertraglichen Tagessätze an Geschädigte ausbezahlen sollen. Verschiedene Versicherer, unter ihnen auch die Allianz, haben bereits angekündigt, mit dieser Einigung auch bundesweit um die Gunst des Kunden zu werben.

Rechtsexperten kritisieren, aus versicherungsrechtlicher Sicht ginge ein solcher Kompromiss vor allen Dingen zu Lasten des über Jahre redlich zahlenden Versicherungsnehmers und sei deshalb äußerst kritisch zu bewerten. Zunächst sei rechtlich klarzustellen, dass durch den bayerischen Vorschlag nicht in ein bestehendes Versicherungsvertragsverhältnis zwischen einem Betriebsschließungsversicherer und seinem Kunden eingegriffen werden darf. Jedes einzelne Vertragswerk ist demzufolge nach gerichtlichen Maßstäben des Bundesgerichtshofs (BGH) auf seine Transparenz für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu prüfen.

Dr. Daniel Entringer, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Bad Krozingen, bejaht nach seiner Rechtsauffassung regelmäßig die Zahlungspflicht der Betriebsschließungsversicherung. Das von Versicherern vorgebrachte Argument, Corona stünde nicht in den Vertragsbedingungen, ist für den Versicherungsnehmer nicht nachvollziehbar. Sein Bestreben, durch eine Versicherung seinen Betrieb gerade in Fällen wie der aktuellen Corona-Pandemie zu schützen, rechtfertigt nicht den Aufwand, den Vertrag auf jeden neu auftretenden Virus hin zu prüfen. Ebenfalls unzutreffend sei, entgegen der Ansicht vieler Betriebsschließungsversicherer, die Behauptung, es müsse ein individueller Schließungsbescheid vorliegen. Die aktuellen behördlichen Allgemeinverfügungen betreffen vielmehr die Betriebsschließung eines jeden einzelnen Betriebes.

Sinn und Zweck einer Betriebsschließungsversicherung ist gerade in der aktuellen Situation ein vollständiger Corona-Versicherungsschutz und nicht lediglich eine anteilige Leistung in Höhe von gerade einmal 10 bis 15 Prozent der vereinbarten Tagessätze.

Bedauerlicherweise verunsichert das bayerische Wirtschaftsministerium viele Versicherungsnehmer in der Betriebsschließungsversicherung durch Statements Verantwortlicher zusätzlich. So erklärt ein Sprecher des Ministeriums: „Eine Ausnahmesituation in Form einer Pandemie wird von vielen Betriebsschließungsversicherungen nicht abgedeckt“. Nach Auffassung des Fachanwalts für Versicherungsrecht, Dr. Daniel Entringer, sind solche pauschalen Behauptungen an den Haaren herbeigezogen. Vergleichbare Formulierungen, denen er vermehrt auch bei der Prüfung von bundesweit verschickten Ablehnungsschreiben begegnet, seien offensichtlich ein Versuch, Kunden abzuspeisen. Bestätigt wird diese Auffassung auch vom Versicherungsjuristen Prof. Dr. Christian Armbrüster von der Freien Universität Berlin, der feststellt: „Behördlich verfügte Betriebsschließungen aufgrund des Coronavirus sind dann gedeckt, wenn die Verweisung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) auf eine Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) so zu verstehen ist, dass generell Schließungen aufgrund von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern erfasst sein sollen“. Ob konkret die Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung entsprechend versicherungsnehmerfreundlich zu verstehen sind, ist in jedem Einzelfall durch einen Experten zu prüfen.

Für Versicherungsnehmer gilt es insofern, Versicherungsunternehmen wie die Allianz, vertreten durch Allianz-Chef Oliver Bäte, beim Wort zu nehmen, wenn dieser zum Beispiel in einem Interview („Das ist vergleichbar mit der Explosion eines Atomkraftwerks“, DER SPIEGEL, Ausgabe 15/20) eingestehen muss: „Wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben, werden wir die bezahlen. Pacta sunt servanda [„Verträge sind zu erfüllen“]. Und wenn es unklar ist, ein neutraler Dritter aber sagt, es ist versichert, dann werden wir natürlich zahlen.“

Insgesamt sind also „Kompromissangebote“, von Seiten einzelner Betriebsschließungsversicherer, die weniger als eine hundertprozentige Versicherungsleistung anbieten, äußerst kritisch zu bewerten.

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