Ein Interview mit Stefanie Kirse, Leiterin des MSC (Marine Stewardship Council) für Deutschland, Österreich, Schweiz anlässlich der Thunfischbericht 2020-Veröffentlichung

Die Fangmengen steigen kontinuierlich, seit Jahrzehnten wächst der Druck auf die Thunfischbestände. Muss man sich Sorgen machen? Darf man Thunfisch überhaupt noch essen?

Stefanie Kirse: Um es vorwegzunehmen, ja, man darf ihn noch essen – wenn er nachhaltig gefischt wurde. Und das erkennt der Verbraucher am MSC-Siegel. Die Frage nach der Überfischung des Thunfischs erfordert ein genaues Hinschauen. Bei den fünf kommerziell gehandelten Arten –  Echter Bonito, Gelbflossenthun, Weißer Thun, Großaugenthun und Blauflossenthun –  macht der Echte Bonito mit drei Millionen Tonnen Fanggewicht derzeit knapp 60 Prozent aller Thunfischanlandungen weltweit aus. Und auch wenn die Fangmenge des Echten Bonitos gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent zunahm – die Fangmengen der vier anderen Arten waren rückläufig. Das Erfreuliche bei dieser Entwicklung: Der Echte Bonito gilt nicht als überfischt, seine Bestände sind in einem guten Zustand.

Mehr als die Hälfte des Thunfisch-Produktsortiments im deutschen Lebensmitteleinzelhandel, aber lediglich knapp ein Viertel des Verkaufsvolumens tragen das MSC-Siegel. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz, und wie können Thunfischmarken im Einzelhandel noch nachhaltiger werden?

Stefanie Kirse: Laut der vom MSC beauftragten Erhebung sind 52 Prozent der Thunfischprodukte – Konserve, Kühlung, Tiefkühlung – mit dem MSC-Umweltsiegel für nachhaltige Fischerei gekennzeichnet. Schaut man sich jedoch die verkauften Mengen an, sind lediglich 23 Prozent davon MSC-zertifiziert. Aber auch: immerhin 23 Prozent, denn das bedeutet fast eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr! Dennoch, die Diskrepanz speist sich daher, dass das volumenmäßig größte Marktsegment – die Konserve – von sogenannten Preiseinstiegsmarken dominiert wird. Und hier gibt es noch immer nur vergleichsweise wenige MSC-zertifizierte Produkte. Soll das Thunfischangebot in Deutschland insgesamt nachhaltiger gestaltet werden, sind daher im Preiseinstiegssegment die größten Veränderungen notwendig. An den Handel gerichtet kann ich nur appellieren: Stellen Sie sich die Frage, woher der Thunfisch kommt, wie er gefangen wurde. Verzichten Sie auf Aktionsangebote zu Tiefstpreisen, denn die wertvolle Ressource Thunfisch hat ihren Preis. Und nutzen Sie, was schon da ist! Gerade Echter Bonito ist zunehmend aus zertifiziert nachhaltiger Fischerei verfügbar!

Auf einem einzigen Thunfischprodukt befinden sich mitunter mehrere verschiedene Siegel zum Thema Nachhaltigkeit. Da muss sich doch der Verbraucher verwirrt fühlen. Was bringt da noch das MSC-Siegel? Und: Wie unterscheidet sich das MSC-Siegel von anderen Siegeln?

Stefanie Kirse: Bei der vom MSC beauftragten Datenerhebung wurden insgesamt zehn verschiedene Siegel auf Thunfischprodukten gefunden. Ein einzelnes Produkt kann dabei tatsächlich bis zu vier verschiedene Siegel tragen – mit teils sehr unterschiedlicher Aussagekraft. Neben unabhängigen Nachhaltigkeitssiegeln wie dem MSC-Siegel oder dem Delfinschutz-Siegel SAFE findet man verschiedene Hersteller- oder Händler-Siegel, die auf unternehmenseigene Nachhaltigkeitsprogramme hinweisen. Für Externe sind die Kriterien und Aussagen dieser Zeichen oft weder klar definiert noch überprüfbar. Ihre Vergabe wird meist nicht von unabhängiger Stelle überprüft. Das MSC-Siegel hingegen bietet Verbrauchern eine unabhängige Prüfung und Zertifizierung der Nachhaltigkeitsaussagen von Fischereien, Marken und Händlern.

Beim Fischfang spielen Fangmethoden und Fanggeräte eine wichtige Rolle. Warum wird Thunfisch nicht ausschließlich mit Angelruten gefangen? Das wäre doch besonders zielgerichtet und somit sehr nachhaltig.

Stefanie Kirse: Thunfisch mit Angelruten zu fangen, bedeutet in der Tat wenig Beifang anderer Arten und ein Einkommen für Tausende von handwerklichen Fischern, insbesondere im globalen Süden. Doch diese Fangmethode ist wirtschaftlich oft weniger tragfähig als andere: Sie ist arbeitsintensiver, erfordert mehr Zeit und Treibstoff und bringt damit weniger ein. Zudem werden viele Jungtiere beigefangen und die Fischereien benötigen eine große Anzahl von Köderfischen.

Weltweit gibt es mehrere MSC-zertifizierte Angelrutenfischereien und der MSC unterstützt diese wichtige, schonende Fangmethode. Die Angelrutenfischerei allein wird die weltweite Thunfischnachfrage jedoch nicht decken können. Wir müssen uns daher darum kümmern, die Nachhaltigkeit des Thunfischfangs generell zu verbessern, unabhängig von der Fangmethode. Ein Beispiel dazu: Etwa die Hälfte der für unseren jüngsten Thunfischbericht analysierten Produkte im deutschen Handel wurden mit Ringwadennetzen gefangen. Es ist erfreulich, dass sich unter den vielen Produkten aus Ringwadenfischerei der MSC-Anteil im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt hat: Kamen letztes Jahr nur 20 Prozent aller „Ringwaden-Produkte“ in deutschen Supermarktregalen aus einer kontrolliert nachhaltigen MSC-zertifizierten Fischerei, sind es dieses Jahr immerhin schon 39 Prozent.

Sie sagen, dass ein Viertel der weltweiten Fangmenge an Thunfisch MSC-zertifiziert seien. Was ist denn mit den übrigen 75 Prozent? Sind die nicht nachhaltig gefangen?

Stefanie Kirse: Über die Nachhaltigkeit nicht zertifizierter Thunfischfischereien gibt es leider kaum Informationen, doch eines ist klar: Nachhaltigkeit braucht Transparenz, Rückverfolgbarkeit und unabhängige Kontrollen. Gerade auch beim Thunfisch, wo beispielsweise die Gefahr illegaler Fischerei besonders groß ist. Das MSC-Programm setzt dafür strenge Standards – gibt aber auch Anreize: Mit der MSC-Zertifizierung können die Fischer ein „Nachhaltigkeitszeugnis“ vorlegen und Zugang zu Märkten, die dies explizit nachfragen, erhalten.

Über Marine Stewardship Council

Der MSC (Marine Stewardship Council) ist eine internationale gemeinnützige Organisation. Unsere Vision sind gesunde Meere, deren Ertragsfähigkeit für die heutige wie für künftige Generationen gesichert ist. Unser Zertifizierungsprogramm und das MSC-Siegel belohnen nachhaltige Fischereien und helfen dabei, ein positives Umdenken bei Fischereien herbeizuführen und ökologische Verbesserungen für unsere Meere zu erwirken.

Das MSC-Siegel auf Produkten bedeutet, dass:
• die Fische und Meeresfrüchte aus Fischereien stammen, die unabhängigen Gutachtern bewiesen haben, dass sie die strengen Nachhaltigkeitskriterien des MSC erfüllen. Welche Kriterien das sind, erfahren Sie in diesem Video: http://bit.ly/MSCvideos.
• die Rückverfolgbarkeit bis zum Ursprung gewährleistet ist.

409 Fischereien in 53 Ländern sind aktuell nach dem MSC-Standard zertifiziert. Zusammen fangen diese Fischereien fast 13 Millionen Tonnen Fisch und Meerestiere – das sind ca. 16 Prozent der weltweiten Fangmenge. Weitere Informationen unter www.msc.org/de.

Firmenkontakt und Herausgeber der Meldung:

Marine Stewardship Council
Schwedter Straße 9a
10119 Berlin
Telefon: +49 (30) 6098552-0
Telefax: +49 (30) 6098552-99
http://www.msc.org

Ansprechpartner:
Michael Hegenauer
Senior Communications & Marketing Manager
Telefon: +49 (30) 6098552-90
Fax: +49 (30) 6098552-0
E-Mail: michael.hegenauer@msc.org
Für die oben stehende Pressemitteilung ist allein der jeweils angegebene Herausgeber (siehe Firmenkontakt oben) verantwortlich. Dieser ist in der Regel auch Urheber des Pressetextes, sowie der angehängten Bild-, Ton-, Video-, Medien- und Informationsmaterialien. Die United News Network GmbH übernimmt keine Haftung für die Korrektheit oder Vollständigkeit der dargestellten Meldung. Auch bei Übertragungsfehlern oder anderen Störungen haftet sie nur im Fall von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Die Nutzung von hier archivierten Informationen zur Eigeninformation und redaktionellen Weiterverarbeitung ist in der Regel kostenfrei. Bitte klären Sie vor einer Weiterverwendung urheberrechtliche Fragen mit dem angegebenen Herausgeber. Eine systematische Speicherung dieser Daten sowie die Verwendung auch von Teilen dieses Datenbankwerks sind nur mit schriftlicher Genehmigung durch die United News Network GmbH gestattet.

counterpixel