Die Bedeutung des Darms rückt rund um das Thema Gesundheitsvorsorge immer stärker in den Fokus.  Nach der Forschung von Prof. Dr. med. Karl-Herbert Schäfer von der Hochschule Kaiserslautern gebührt dem Darm aber auch wesentlich mehr Beachtung im Bereich der Diagnostik und Therapie von auch nicht direkt mit dem Darm verbundenen Krankheiten, wie er jetzt in einem Artikel im renommierten internationalen Wissenschaftsjournal „Nature Reviews Gastroenterology and Hepatology“ gemeinsam mit weiteren Wissenschaftler*innen aus dem  Feld darlegt. 

Prof. Dr. med. Karl-Herbert Schäfer von der Hochschule Kaiserslautern forscht am Campus Zweibrücken schon seit vielen Jahren zur Rolle des Darms bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson und dessen Bedeutung vor allem für die Frühdiagnose dieser Krankheiten. Jetzt hat er zusammen mit Kolleg*innen der Universitäten Heidelberg und Bonn, sowie der TU München unzählige wissenschaftliche Studien nach Belegen durchforstet, welche die enorme Rolle des Darms für die Entstehung und Behandlung diverser Krankheiten nachweisen. Die Ergebnisse wurden aktuell im internationalen Wissenschaftsjournal „Nature Reviews Gastroenterology and Hepatology“ unter dem Titel „Disorders of the enteric nervous system — a holistic view“ veröffentlicht.

Im Artikel plädieren Karl-Herbert Schäfer, Beate Niesler, Stefanie Kuerten und Ekin Demir für eine ganzheitliche Herangehensweise, die sie auf bisherige wissenschaftliche Ergebnisse aus ihren eigenen Forschungsansätzen, sowie den Daten anderer Wisseschaftler*innen stützen. Der Darm wäre demnach nicht nur prädestiniert z.B. für die Frühdiagnose neurodegenerativer Erkrankungen, sondern auch für die Bekämpfung vieler Krankheiten, die nach heutigem Stand oft erst diagnostiziert werden, wenn eine Heilung ausgeschlossen ist und die Behandlung Symptome nur mildern oder den Krankheitsverlauf hinauszögern kann. Vor allem aber könnten essentielle Hinweise für die Vorbeugung dieser Erkrankungen gegeben werden.

Das Nervensystem des Darms, das enterische Nervensystem (ENS) macht den größten Teil des peripheren Nervensystems aus und ähnelt in seinen Komponenten und Funktionen dem zentralen Nervensystem. Umgangssprachlich wird es deshalb auch „Bauchhirn“ genannt.

Die zentrale Rolle des Darmnervensystems ENS ist bei angeborenen, den Darm betreffenden, nervenbedingten Störungen, wie Morbus Hirschsprung gut bekannt. Hier fehlen bestimmte Nervenzellen im Darm oder sind vermindert und die Patienten leiden unter schweren Störungen der Darmbewegung, die lebensbedrohlich werden können. Über die Rolle des ENS bei systemischen Erkrankungen, also Erkrankungen, die sich auf ein gesamtes Organsystem oder den gesamten Körper auswirken, weiß man jedoch weniger. Hinweise auf ein gestörtes ENS gibt es bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der amyotrophen Lateralsklerose, der Alzheimer-Krankheit und der Multiplen Sklerose bis hin zur Parkinson-Krankheit sowie bei neurologischen Entwicklungsstörungen wie dem Autismus. Diese Erkenntnisse ermutigen Schäfer und sein Team zur Forderung, ein noch stärkeres Augenmerk auf die Rolle des Darms auch bei systemischen Krankheiten zu legen. In dieser Übersichtsarbeit konzentrieren sich die Autor*innen auf Aspekte von Erkrankungen, bei denen dem ENS bisher keine große Rolle zugeschrieben wurde.

So moduliert und reguliert das ENS die Darmbarrierefunktion und wirkt auf das Gleichgewicht der den Darm betreffenden Körperfunktionen. Ein "undichter Darm" stellt das Tor für das Eindringen von Bakterien und Toxinen dar, die nachgeschaltete Prozesse auslösen können. Daten deuten darauf hin, dass Veränderungen im Darmmikrobiom im Zusammenspiel mit dem individuellen genetischen Hintergrund das ENS, das zentrale Nervensystem und das Immunsystem modifizieren, die Barrierefunktion beeinträchtigen und zu verschiedenen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom, entzündlichen Darmerkrankungen oder Neurodegeneration beitragen können.

„Die Rolle des ENS in der menschlichen Gesundheit und bei Krankheiten wurde bisher weitgehend vernachlässigt und gastrointestinale Symptome wurden übersehen“, schlussfolgert Schäfer. Im Artikel fassen die Autorinnen und Autoren das aktuelle Wissen über die Rolle des ENS bei gastrointestinalen und systemischen Erkrankungen zusammen und beleuchten seine Interaktion mit verschiedenen Schlüsselakteuren, die an der Gestaltung der Krankheitsmerkmale beteiligt sind.

Zu Krankheiten, die mit Motilitätsstörungen des Darms einhergehen, wie das Reizdarmsyndrom fanden die Autoren eine Reihe von Hinweisen in der Forschung, die auf Veränderungen in der Struktur und Funktion des Nervensystems im Darm dieser Patienten hindeuten, die Veränderungen in der neuronalen Plastizität und der Signalweiterleitung im Darm und vom Darm zum Gehirn erklären könnten.

So sei die Berücksichtigung von ENS-bedingten Magen-Darm-Symptomen für die Früherkennung verschiedener Krankheiten, z.B. der Parkinson-Krankheit, von Bedeutung und eine frühzeitige gezielte Intervention könnte nach der Überzeugung des Zweibrücker Forschers und seiner Mitstreiter die Symptome verbessern und die Krankheit möglicherweise sogar verhindern.

Ebenso vermehren sich nach den Erkenntnissen der Autor*innen Hinweise auf die Bedeutung des ENS bei Krebs oder metabolischen  Erkrankungen wie dem Diabetes mellitus.

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