Vor dem internationalen Aktionstag für Flüsse und gegen Staudämme (Sonntag) macht der WWF auf die drohende Beschleunigung des Artensterbens durch den Bau von Wasserkraftwerken in Schutzgebieten aufmerksam. Fluss-Ökosysteme stehen durch den Ausbau von Staudämmen weltweit massiv unter Druck, so die Naturschutzorganisation. Laut einer Studie sind 509 Staudämme zur Wasserkrafterzeugung in Schutzgebieten wie Nationalparks und Ramsar-Gebieten geplant oder bereits im Bau. Über 1240 größere Staudämme existieren dort bereits. Der Ausbau von Wasserkraft gefährdet Tier- und Pflanzenarten, die in und von frei fließenden Flüssen leben. Süßwasserarten sind besonders bedroht, die überwachten Bestände sind gegenüber 1970 um 84 Prozent eingebrochen.

Theresa Schiller, WWF-Süßwasserexpertin kommentiert: „Flüsse sind die Lebensadern unserer Ökosysteme. Staudämme sind für sie der Super-GAU, da sie lebendig fließende Flüsse in stagnierende Stauseen verwandeln. Gerade in Schutzgebieten haben Staudämme nichts verloren, da hier besonders wertvolle Natur geschützt wird. Stattdessen führt der Bau von Staudämmen in vielen Fällen dazu, dass die betroffenen Schutzgebiete verkleinert werden oder ihr Schutzstatus herabgestuft oder sogar gänzlich aufgehoben wird.“

Aktuell bedroht ein Megastaudamm das UNESCO-Weltnaturerbe Selous in Tansania. Am Rufiji-Fluss soll ein gigantisches Wasserkraftwerk entstehen. Auf einer Fläche von rund 1.200 Quadratkilometern wird dann die bisher unberührte Wildnis aus Flusswäldern, Savannen und Feuchtgebieten in einem riesigen Stausee versinken. Die Heimat von Elefanten, Löwen, Wildhunden und anderen bedrohten Arten wird massiv beschnitten und zerstört. Die Umweltschützer vom WWF befürchten außerdem negative hydrologische Folgen für den Unterlauf des Rufiji bis zu dessen Mündung in den Indischen Ozean. Feuchtgebiete, Altwasser und Mangrovenwälder stehen dann auf dem Spiel und mit ihnen die Lebensgrundlage tausender Menschen, die auf das Flusssystem als Wasser- und Nahrungslieferant angewiesen sind.

Der ökonomische Nutzen des Staudamms ist umstritten. Die kalkulierten Baukosten sind noch nicht gedeckt. Und die tatsächliche Stromproduktion der Wasserkraftanlage wird laut WWF deutlich geringer und unsicherer ausfallen als angenommen. Denn schon heute führt der Rufiji durch die Auswirkungen des Klimawandels zeitweise erheblich weniger Wasser – ein Trend, der sich mit den zunehmenden Dürren in der Region weiter verstärkt. „Das ist ein ökologisches wie wirtschaftliches Himmelfahrtskommando“, kommentiert Schiller. Mittlerweile sind die Kosten pro Kilowattstunde Strom aus Solarenergie und Windkraft oftmals geringer als solche von Wasserkraftanlagen, so der WWF, der für alternative Ansätze in der Stromversorgung Tansanias wirbt.

Hintergrund
Auch jenseits von Schutzgebieten sind intakte Flusssysteme ein Win-Win für Natur und Mensch: Sie sind wichtige Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten, mildern Wetterextreme wie Dürren und Hochwasser ab und bieten Nahrungssicherheit. Binnenfischerei ist für rund 160 Millionen Menschen weltweit die wichtigste Eiweißquelle, zum Beispiel im Mekong-, Kongo- und Amazonasbecken. Der WWF warnt, dass durch Dämme verändertes Fließverhalten die Sedimentfracht beeinträchtigt, Flussdeltas schrumpfen und Lebensräume zerstört werden. Dadurch gehen einige der produktivsten Fischbestände verloren. Einem kürzlich erschienenen Bericht zufolge sind Staudämme einer der Hauptfaktoren für den 76-prozentigen Einbruch der weltweiten Bestände wandernder Süßwasserfische seit 1970. 

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