Die Komplexität des deutschen Krankenhaus-Vergütungssystems muss reduziert werden, um medizinisches Personal und Pflegekräfte von bürokratischem Aufwand zu entlasten. Zudem sollte die Krankenhausplanung durch die gezielte Vergabe von differenzierten Versorgungsaufträgen an eine bedarfsgerechte Anzahl von Kliniken reformiert werden. Das sind zwei zentrale Forderungen aus einem 32-seitigen Positionspapier für eine grundlegenden Vergütungs- und Strukturreform im Krankenhaussektor, das die AOK heute veröffentlicht hat. Sie präzisiert damit ihre Vorschläge aus dem Programm zur Bundestagswahl unter dem Titel „Neue Nähe“.  

„In den anderthalb Jahren der Pandemie sind viele grundlegende Struktur- und Finanzierungsprobleme überdeckt worden, die nach der Wahl auf der gesundheitspolitischen Agenda stehen. Der Reformbedarf ist unstrittig und nicht mehr zu übersehen“, sagt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. „Unsere Vorschläge zielen darauf, das Vergütungssystem zu modernisieren und zukunftsfähig zu machen. Eine notwendige Voraussetzung dafür sind Strukturreformen, die die historisch gewachsene Krankenhauslandschaft in Deutschland endlich fit machen für die Zukunft. Dazu gehört die Konzentration von Leistungen in spezialisierten Kliniken, die ihre Patientinnen und Patienten bestmöglich versorgen und gleichzeitig wirtschaftlich arbeiten.“

DRG-System weiterentwickeln und Schwachstellen beheben

Die AOK spricht sich in ihrem Papier dafür aus, das derzeitige Vergütungssystem auf Basis von diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis Related Groups, kurz DRGs) weiterzuentwickeln und seine Schwachstellen zu beheben. Unter anderem soll durch ein ausgewogenes Kalkulationsverfahren sichergestellt werden, dass die Leistungen der Kliniken in Zukunft fairer abgebildet werden. Zugleich müsse das Vergütungssystem einfacher gestaltet werden. „Zuschläge sollte es nur noch in Ausnahmefällen geben – und wenn der Nachweis erbracht ist, dass sie sich positiv auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten auswirken“, so AOK-Vorstand Litsch. Durch solche Maßnahmen können die Komplexität und die Überregulierung des Vergütungssystems reduziert werden, um die Belastung von Ärzten und Pflegekräften mit Dokumentationsaufgaben zu senken. „Statt das DRG-System immer weiter auszuhöhlen und immer neue, manipulationsanfällige Bypass-Lösungen einzuführen, müssen wir die vorhandenen Potenziale des Systems nutzen“, fordert Litsch. Die von einzelnen Akteuren im Gesundheitswesen geforderte weitgehende oder vollständige Selbstkostendeckung lehne die AOK ab: „Diese Art von Krankenhausfinanzierung hatten wir bis in die 1990er Jahre. Sie hat damals zu aufgeblähten und am Ende unbezahlbaren Strukturen mit oftmals schlechter Behandlungsqualität geführt“, so Litsch. Dies könne keine sinnvolle Perspektive für die Zukunft sein – insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Finanzlage.

Konsequente Erfassung von Pflegeleistungen statt Pflegebudget

Die AOK-Gemeinschaft kritisiert zudem, dass die Leistungen der Pflegeberufe im derzeitigen Vergütungssystem nur unzureichend abgebildet werden. Das seit 2020 angewendete Pflegebudget ziele darauf ab, die Pflegekosten zu vergüten, sei aber extrem manipulationsanfällig. Es führe zu zahlreichen Schiedsstellen- und Klageverfahren sowie zu hohen Ausgabensteigerungen, die nicht der Pflege zugutekommen.  Die AOK fordert daher, dass die Pflege den ärztlichen Leistungen durch eine systematische Leistungserfassung methodisch gleichgestellt wird. „Mit einer konsequenten Erfassung der Pflegeleistungen, die aufwandsarm und auf digitaler Basis erfolgen muss, wird eine Kalkulation der tatsächlich anfallenden Pflegekosten möglich – und damit auch eine sachgerechte Vergütung innerhalb der DRGs. Dies ermöglicht eine bessere Sicherung der pflegerischen Qualität für die Patientinnen und Patienten. Und es legt die Basis dafür, dass Pflegekräfte auf wissenschaftlicher Basis mehr Kompetenzen im Krankenhausalltag erhalten“, so Litsch.  

„Dauerhaftes Ärgernis“ der Investitionskostenfinanzierung beheben

„Ein „dauerhaftes Ärgernis“ sei die mangelnde Finanzierung der Investitionskosten durch die Bundesländer, betont Litsch. „Wir haben uns fast daran gewöhnt, dass Kliniken notwendige Investitionen aus den DRG-Erlösen querfinanzieren oder am Pflegepersonal sparen. Eine jahrzehntelange Vogel-Strauß-Politik der Verantwortlichen hat zudem dafür gesorgt, dass das Geld mit der Gießkanne auf die Klinken verteilt wurde“, so Litsch. Die AOK fordert in ihrem Papier, dass die Bundesländer die Finanzierung der Investitionskosten endlich auf das erforderliche Niveau anheben und bei notwendigen Strukturveränderungen vom Bund finanziell unterstützt wird „Die zusätzliche Finanzierung von Vorhaltekosten zu Lasten der GKV lehnen wir ab, das ist Daseinsvorsorge und Aufgabe des Staates“, betont Litsch.

Im Sinne der Qualität: Vergabe differenzierter Versorgungsaufträge

Als Voraussetzung für die skizzierten Pläne zur Reform der Vergütung fordert die AOK in ihrem Papier grundlegende Strukturreformen. Ziel ist dabei die Verbesserung der Versorgungsqualität durch die Zentralisierung spezialisierter stationärer Leistungsangebote an dafür geeigneten Standorten. Zur Umsetzung erhalten die Krankenhäuser zukünftig einen klar definierten Versorgungsauftrag von den Ländern, der die Grundlage für die Art der Leistungserbringung, das Budget und die Abrechnung ist. Basis sind vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu definierende Leistungsgruppen mit Qualitätsvorgaben, die für die Planung und Vergabe von Versorgungsaufträgen auf der Landesebene genutzt werden. Krankenhäuser, die für die bedarfsgerechte stationäre Versorgung nicht mehr benötigt werden, sollen bei Bedarf in Gesundheitszentren umgewandelt werden, die Teile der ambulanten Versorgung übernehmen. „Diese Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung bietet viele Vorteile für die Patientinnen und Patienten – und als weiterentwickelte Gesundheitszentren haben viele kleine Kliniken gerade in ländlichen und strukturschwachen Regionen weiterhin eine Existenzberechtigung“, so Martin Litsch. Die Planung der Versorgung und die Vergabe der Versorgungsaufträge für die ambulante Versorgung sollte auf Landesebene durch sogenannte 3+1 Gremien erfolgen – also durch die zuständige Kassenärztliche Vereinigung, die Landeskrankenhausgesellschaft, die Krankenkassen und mit Beteiligung des jeweiligen Landes. 

Zentralisierung hilft bei Bewältigung von Krisen

Auch auf „Lehren aus der Pandemie“ geht das Positionspapier ein: „Die Pandemie hat gezeigt, dass eine Zentralisierung von Krankenhausleistungen für die Bewältigung von Krisensituationen von Vorteil ist“, konstatiert AOK-Vorstand Martin Litsch. Große und spezialisierte Kliniken könnten den Herausforderungen einer Pandemie besser begegnen, weil der Erfahrungsgewinn hier schneller möglich sei. Bezüglich der Finanzierung sieht die AOK im Krisenfall die Krankenkassen in der Verantwortung für die Bezahlung der Krankenhaus- und Patientenbehandlung. „Die Leerstandsfinanzierung ist dagegen Teil der Daseinsvorsorge und damit Aufgabe der Bundesländer“, so Litsch.

Die „AOK-Positionen für eine Vergütungs- und Strukturreform im Krankenhaussektor“ sind in einer Kurzfassung beigefügt. Die Langfassung steht zum Download unter www.aok-bv.de

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