Im Rahmen der Veranstaltungen zum 77. Jahrestag der Befreiung wird am morgigen Samstag in der Gedenkstätte Ravensbrück eine neue Ausstellung über die rund 9.000 Frauen eröffnet, die zwischen Januar 1942 und September 1944 im Rahmen politisch motivierter Repressionen aus Frankreich ins Deutsche Reich deportiert wurden. Mindestens 7.000 von ihnen verschleppten die Nationalsozialisten in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück und von dort häufig in verschiedene Außenlager. Mehr als 1.500 der aus Frankreich nach Ravensbrück deportierten Frauen überleben die Haft nicht.

Gedenkstättenleiterin Andrea Genest: „Die Französinnen bildeten nach den Frauen aus Polen und der Sowjetunion die drittgrößte nationale Haftgruppe im KZ Ravensbrück. Durch die alljährlichen ‚Pilgerfahrten‘ der Überlebenden und ihrer Familien zur Gedenkstätte nehmen sie bis heute auch in der Erinnerungskultur einen großen Stellenwert ein. Während bisher der politische Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Vordergrund stand, zeigen wir in der Ausstellung, dass auch viele Frauen aus anderen Gründen von den Nationalsozialisten aus Frankreich in das KZ Ravensbrück verschleppt wurden. Besonders dankbar sind wir, dass viele Familien der Verfolgten ihre privaten Archive für uns geöffnet haben und dem Ausstellungsteam mit Rat und Tat zur Seite standen.“

Die meisten der Frauen hatten im Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Frankreich gekämpft, waren verhaftet und deportiert worden. Die Haftgruppe aus Frankreich war jedoch heterogen: Auch Jüdinnen und Romnja wurden ins KZ Ravensbrück deportiert. Rund 200 französische Zivilarbeiterinnen in der deutschen Rüstungsindustrie, die aufgrund unerlaubter Abwesenheit vom Arbeitsplatz oder ähnlicher vermeintlicher Vergehen verhaftet wurden, wurden ebenfalls in das KZ Ravensbrück eingewiesen.

Die Ausstellung wirft anhand von 30 Biografien ein Schlaglicht auf die Lebenswege und Erfahrungen dieser Frauen, auf ihre unterschiedlichen sozialen und nationalen Herkünfte. Sie zeigt, wie Widerstand und Verfolgung von tradierten Geschlechterrollen geprägt waren. Durch ihr Handeln stellten manche der Frauen diese Rollenbilder infrage.

Die Lebensgeschichten der Frauen werden in die Phasen der deutschen Besetzung Frankreichs, der Lagerhaft und der Zeit nach der Befreiung gegliedert und mit unterschiedlichen Sachthemen verknüpft. Ihre Erfahrungen werden dabei über bisher unbekannte historische Dokumente und Fotos vermittelt. Andere Zugänge zur Lagerhaft bieten Zeichnungen (unter anderem von Violette Lecoq und Jeannette L’Herminier), die in der Ausstellung ebenso präsentiert werden wie ausgewählte literarische Texte von Micheline Maurel und Charlotte Delbo.

Einige Töchter von Überlebenden kommen in der Ausstellung in einer Videostation selbst zu Wort und berichten aus ihrer Perspektive über das Leben mit ihren Müttern nach dem Krieg. Andere Videostationen zeigen Ausschnitte von Interviews mit französischen Überlebenden des KZ Ravensbrück und Protagonistinnen der Ausstellung: Marie-José Chombart de Lauwe, Anise Postel-Vinay, Germaine Tillion und Marie-Claude Vaillant-Couturier.

Die Wanderausstellung beschreitet neue Wege im Umgang mit historischen Objekten und Dokumenten, die nicht im Original gezeigt werden können. In Kooperation mit der Ernst-Litfaß-Schule Berlin wurden historische Stempel reproduziert, die in der Ausstellung ausprobiert werden können. Mit ihnen wurden im Widerstand Dokumente gefälscht. In Kooperation mit der Siemens Mobility GmbH entstanden 3D-Drucke von kleinen Objekten, die die Französin Hélène Fauriat während der Zwangsarbeit im KZ-Außenlager Berlin-Schönefeld aus Plexiglas, Holz oder Metall anfertigte. Sie können von Besucherinnen und Besuchern berührt und aus der Nähe betrachtet werden

Bei der Eröffnung der Ausstellung am Samstag, 30. April 2022, um 14.00 Uhr werden die Überlebenden Lili Leignel, Marie Vaislic und Jean-Claude Passerat zugegen sein. Während die beiden Frauen als Kinder aus Frankreich nach Ravensbrück deportiert wurden, ist Jean-Claude Passerat als Sohn einer französischen Widerstandskämpferin im Lager geboren worden. Zudem werden Angehörige ehemaliger Inhaftierter sowie Vertreterinnen und Vertreter der französischen Botschaft in Berlin und von Überlebendenverbänden erwartet.

Die Ausstellung wird bis September in der Gedenkstätte Ravensbrück präsentiert und wandert anschließend nach Frankreich. Gerahmt wird die Ausstellung im Sommer durch eine Veranstaltungsreihe in Kooperation mit der französischen Botschaft. Außerdem finden mehrere deutsch-französische Austauschprojekte mit Jugendlichen statt, die sich den Themen der Ausstellung in ihrem jeweiligen regionalen Umfeld annähern und die Ergebnisse mit ihren deutschen Partnerschulen bearbeiten.

Unter der Projektleitung von Gedenkstättenleiterin Andrea Genest kuratierten die Romanistin Mechthild Gilzmer und die Historikerin Hannah Sprute die von büroberlin gestaltete Wanderausstellung, die durch eine finanzielle Förderung der Fondation Tour du Monde ermöglicht wurde.

„Widerstand – Verfolgung – Deportation. Frauen aus Frankreich im KZ Ravensbrück 1942–1945“

Sonderausstellung im ehemaligen Wasserwerk

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Straße der Nationen | 16798 Fürstenberg an der Havel

Öffnungszeiten ab 1. Mai 2022: täglich außer montags 9.00 bis 18.00 Uhr

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