„Die EZB hat die geldpolitische Wende im Juli zu spät eingeleitet“, kritisiert Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld. „Die Anhebung der Zinsen um weitere 75 Basispunkte, die die EZB heute beschlossen hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung, ändert aber kaum etwas daran, dass die Geldpolitik immer noch sehr expansiv ist“, warnt der Sprecher des Kronberger Kreises, dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft. „Es müssen rasch weitere Zinsschritte folgen, um der hohen Inflationsdynamik im Euroraum adäquat zu begegnen“, fordert Feld angesichts des erneuten Anstiegs der Verbraucherpreise auf inzwischen 9,1 Prozent im Euroraum mit einer Inflationsspanne von 6,5 Prozent in Frankreich bis 25,2 Prozent in Estland.

„Die hohe Inflation bei den Verbraucherpreisen kann nicht allein den gestiegenen Energiepreisen angelastet werden und sie ist auch kein vorübergehendes Phänomen, wie die EZB fälschlicherweise bis vor kurzem noch annahm“, betont Prof. Volker Wieland, Ph.D.. „Die um Energiepreise bereinigte Inflation beträgt inzwischen 5,8 Prozent und es ist zu befürchten, dass sich die Inflationserwartungen vom zwei-prozentigen Inflationsziel der EZB immer mehr entankern“, mahnt Wieland. Aktuelle Umfrageergebnisse der Deutschen Bundesbank zeigen, dass die Inflationserwartungen von Privatpersonen in Deutschland für die nächsten 5 Jahre seit Mitte 2021 um 2 Prozentpunkte von 3 auf 5 Prozent stark angestiegen sind. „Die EZB muss viel energischer reagieren, um ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen“, fordert Wieland.

„Die Aussicht auf konjunkturelle Eintrübung oder steigende Schuldenquoten in der Eurozone rechtfertigt es nicht, die Geldpolitik weiterhin expansiv zu halten. Wenn die Wende in der Geldpolitik auf die lange Bank geschoben wird, steigen Inflation und Inflationserwartungen noch stärker. Das erhöht letztlich die Kosten der Inflationsbekämpfung“, stellt Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest fest. Mit Blick auf das im Juli von der EZB beschlossene neue Anleihekaufprogramm TPI (Transmission Protection Instrument) kritisiert Fuest: „Zinsdifferenzen gehören zu einem funktionsfähigen Kapitalmarkt. Diese in der Eurozone geldpolitisch einebnen zu wollen, ist höchst problematisch. Eine von der EZB vorgegebene maximal zulässige Zinsdifferenz in der Währungsunion grenzt an Willkür.“ Dennoch habe die EZB bereits Umschichtungen in ihrem Staatsanleiheportfolios zugunsten von Staaten mit höheren Anleiherenditen vorgenommen. So sei der Bestand an deutschen Anleihen seit Juni um knapp 18 Milliarden Euro reduziert worden, während sich der Bestand an italienischen und spanischen Anleihen im gleichen Zeitraum nahezu spiegelbildlich erhöht habe, wie der Kronberger Kreis ermittelt hat. „Es ist nicht Aufgabe der EZB, einzelnen hochverschuldeten Eurostaaten fiskalische Spielräume zu verschaffen. Dies hat toxische Wirkung auf die langfristige Stabilität der Währungsunion“, warnt Fuest.

„Die neuen Maßnahmen stellen einen klaren Widerspruch zum bisher vertretenen Grundsatz der EZB dar, die Anleihekäufe entlang des Kapitalschlüssels zu tätigen“, macht Prof. Dr. Berthold U. Wigger deutlich. „Daraus entspringen fiskalpolitische Fehlanreize für einzelne Staaten. Zudem wird die Unabhängigkeit der Geldpolitik beschädigt. Die Sicherung angemessener Finanzierungskonditionen ist nicht Aufgabe der Geldpolitik, sondern liegt im Verantwortungsbereich der Fiskalpolitik“, betont Wigger.

„Neben der Möglichkeit unbegrenzter und zeitlich unbeschränkter Anleihekäufe ist vor allem die unzureichende Konditionalität ein ernstzunehmendes Problem“, warnt Prof. Dr. Heike Schweitzer. „Dadurch wird die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik weiter verwässert. Die unzureichende Konditionalität des Kaufprogramms steht im direkten Widerspruch zur bisherigen Linie der EZB, wie sie sich beispielsweise im OMT-Programm wiederfindet“, gibt Schweitzer zu bedenken.

Es bestehe die Sorge, dass das primäre Ziel der EZB – die Sicherstellung der Preisstabilität – durch das neue Ankaufprogramm weiter ins Hintertreffen gerät und zusätzliche Zielkonflikte bei der Ausrichtung der Geldpolitik entstehen könnten, mahnt der Kronberger Kreis. „Auch eine Berücksichtigung klimapolitischer Aspekte, wie sie von der EZB zunehmend eingefordert wird, trägt zu einer Verwässerung des Mandats bei, für Preisstabilität zu sorgen. Dies würde zu einer zunehmenden Überfrachtung des geldpolitischen Aufgabenfeldes führen“, warnt Prof. Dr. Justus Haucap. „Klimapolitik ist Aufgabe der Parlamente und Regierungen und sollte vor allem über einen einheitlichen CO2-Preis verfolgt werden“, erläutert Haucap.

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Die Mitglieder des Kronberger Kreises sind

  • Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld (Sprecher des Kronberger Kreises, Direktor des Walter Eucken Instituts)
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest (Präsident des ifo Instituts)
  • Prof. Dr. Justus Haucap (Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE))
  • Prof. Dr. Heike Schweitzer, LL.M. (Professorin für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht und Ökonomik, Humboldt-Universität zu Berlin)
  • Prof. Volker Wieland Ph.D. (Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS))
  • Prof. Dr. Berthold U. Wigger (Professor für Finanzwissenschaft und Public Management, Karlsruher Institut für Technologie (KIT))

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