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Buchrezension

Silke Fokken
Krisenkinder: Wie die Pandemie Kinder und Jugendliche verändert hat und was sie jetzt brauchen – Was Experten raten und wie Eltern helfen können

Deutsche Verlags-Anstalt, München; 2022
416 Seiten
Paperback 20,00 €
Kindle 15,99 €
ISBN-10: 3421048959
ISBN-13: 978-3421048950

Die Coronakrise scheint gemeistert zu sein, doch sie ist noch nicht vorbei, im Gegenteil. Über die Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen schreibt die SPIEGEL-Journalistin Silke Fokken ein kluges und gut recherchiertes Buch. Krisenkinder stellt den emotionalen Ausnahmezustand der nachwachsenden Generation dar, der durch Interviews mit Betroffenen, Eltern, Lehrern, Medizinern und Psychotherapeuten rekonstruiert wird. Doch Fokken bleibt nicht bei der Beschreibung des Leidens stehen, sondern nimmt das deutsche Bildungssystem in die Pflicht. Die Pandemie habe die systematische Benachteiligung von Frauen und Kindern offengelegt. Hier sei dringender Handlungsbedarf, so der Tenor des Buches.

Gute 400 Seiten stark ist der Weckruf der Redakteurin für Bildungsthemen. Die vier Kapitel werden von einem Vorwort und einem Ausblick eingerahmt. Ausführliche Anmerkungen und Literaturhinweise komplettieren das Buch. Es ist bereits Anfang des Jahres 2022 erschienen, somit ist der anfängliche Überblick zwangsläufig unvollständig. Deutlich wird, dass die Kinder und Jugendlichen wochenlange Schul- und Kitaschließungen, Distanzunterricht und Wechselunterricht hinnehmen mussten, was für die betroffenen Familien einen monatelangen Ausnahmezustand darstellte. Die Folgen gelte es zu bearbeiten – und zwar nicht nur im engsten Familienkreis. Nur mit politischen und gesellschaftlichen Veränderungen werden wir langfristig Dynamiken zum Besseren ändern. 

Zum Inhalt

Kapitel eins trägt die Überschrift „Was von dem Leben im Kokon bleibt“ und thematisiert die verschiedensten Ausgangssituationen in der Krise: Familien im Homeoffice, alleinerziehend, mit Kindern mit Behinderung und pubertierenden Kindern. Kapitel zwei widmet sich den direkten beobachtbaren psychischen Störungen wie Ängsten, Depressionen und Mediensucht.  Die Folgen fürs Lernen benennt Kapitel drei. Hier wird von den Schwierigkeiten der Schulanfänger und der Kinder aus bildungsfernen Milieus berichtet.  Kapitel vier zieht ein Resümee und fordert die Politik zum Umsteuern auf. Die Krise sei nicht allein mit Masken, Luftfiltern und Hygieneregeln zu meistern, sondern, decke die unterschwellige Krise unseres deutschen Bildungssystems auf. Von „Bildungsgerechtigkeit“ seien wir noch weit entfernt.

Mit vielen Einzelbeispielen aus Schule, Politik und Familie wird die Krise anschaulich. Pointiert und bisweilen scharf kritisiert Fokken das Vorgehen der Bundesregierung, die Kinderwohl und Kinderrechte durch manche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung falsch priorisierte.  Dabei seien die Dauerbaustellen längst bekannt, wie die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Jugendhilfe. Auch das Mahlzeitenbudget an Kitas und Schulen sei zu knapp, bezahlbarer Wohnraum für Familien Mangelware, die Kinderarmut steigend. Die Personalnot sei frappierend, die digitale Ausstattung mangelhaft.

All diese Missstände wirken sich auf die soziale Ungleichheit aus und erschweren somit Bildungsgerechtigkeit. Die Lösung ist zum einen systemisch: „Die Politik muss die Bedürfnisse von Familien mehr im Blick haben, eine starke öffentliche Infrastruktur für Kinder und Jugendliche aufbauen, die Gleichberechtigung von Frauen anders vorantreiben, typisch weibliche Berufe aufwerten“ (S. 369). Zum anderen gilt es jedoch auch persönlich umzudenken: „Wir brauchen eine neue Haltung zu Kindern und Jugendlichen, und wir brauchen ein neues Zeitmanagement“ (S. 373). Ein schlechtes Gewissen allein helfe nicht weiter.

Zum Punkt

Trotz aller Düsternis, die das ernste Thema mit sich bringt, gibt das Buch jedoch kleine Ausblicke und positive Beispiele. Fokken widmet sich kurzzeitig der Utopie als Antidepressivum, der Resilienz und den Chancen der Krise. Alles im Allem ein Buch auf der Höhe der Zeit in rot-grün denkender Tradition, dessen Befund schwer zu widersprechen ist. Die Krise deckt Missstände auf, deren Lösung intuitiv jeder weiß, der mit Kindern und Jugendlichen arbeitet oder sie erzieht. Doch die Umsetzung wird durch ökonomische Zwänge drastisch erschwert. Zeit ist bekanntlich Geld. Dieser spannungsreichen Realität zu begegnen und sie für unsere Kinder positiv zu gestalten ist Aufgabe jedes einzelnen und des gesamten Systems. Fangen wir damit an – um unser selbst willen!

Claudia Mohr

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