Der Jahresrückblick und die Prognose für das Jahr 2023 fielen erwartungsgemäß wenig rosig aus. Das vergangene Jahr sprengte jeglichen Rahmen des Erwarteten, so Herrmann. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar wuchs nach über 70 Jahren Frieden in Europa die Angst erneut einen Krieg erleben zu müssen. Die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland erreichten auch Deutschland, denn Lieferungen von Öl, Rohstoffen und Getreide, die Deutschland von Russland bezöge, seien stark beeinträchtigt, Herrmann weiter. Die Folge: Extrem gestiegene Preise. „Hinter dem deutschen Wirtschaftsmodell und dem damit verbundenen Wohlstand in Deutschland stand bis jetzt eine relativ einfache Formel, nämlich günstige Energie sowie billige Rohstoffe zu importieren und die damit hergestellten hochwertigen Produkte zu exportieren. Dieses System funktioniert nicht mehr“, sagte Herrmann. Die Krise biete nun eine kleine Chance, sich von den vorhandenen Abhängigkeiten im Energiesektor zu lösen, fügte Herrmann hinzu.
Herrmann sprach sich für einen viel stärkeren Zusammenhalt der Europäischen Union aus, denn Uneinigkeit, auch bei Waffenlieferungen an die Ukraine, mache nur den russischen Aggressor stärker. Die Möglichkeiten der Diplomatie als Mittel der Konfliktlösung sah er zumindest in der momentanen Situation eher skeptisch: „Diplomatie hängt entscheidend von den Menschen auf beiden Seiten ab und vom ehrlichen Willen zu verhandeln.“ Auf russischer Seite sehe er diesen Willen nicht, die zahlreichen Gespräche vor dem Ukraine-Krieg und nach dessen Beginn seien seines Erachtens ein Beleg dafür. Entscheidend auch für die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Europäischen Union, Deutschlands und somit auch der Region werde sein, so Herrmann, wie sich China langfristig positioniere, denn zwischen Russland und China bestünden wirtschaftliche Synergien. Damit gab Herrmann das Stichwort an den Gastredner des Abends, den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und ausgewiesenen China-Experten Prof. Dr. Helmut Haussmann.
In seinem halbstündigen Vortrag mit dem Titel: „China verändert die Weltordnung – Konsequenzen für Politik und Wirtschaft“ ging er auf die Verschiebung eben dieser Weltordnung zugunsten Chinas aufgrund seiner Marktgröße ein. Vom defensiven „Chinabashing“ riet er ab. Eine offensive Markterschließung unter der Annahme der Konkurrenz und der Kooperation, wo sicherheitspolitisch ungefährlich, sei dem vorzuziehen, betonte Haussmann. Deutschland warf er in der Zusammenarbeit mit China vor, keine tiefschürfende China-Kompetenz in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu besitzen. Die Zusammenarbeit mit dem bevölkerungsreichsten Land der Welt sei nicht interessensgeleitet, sondern von zu viel Moralismus geprägt. Ein neues Selbstbewusstsein gegenüber China sei vonnöten, denn China verstehe in der Zusammenarbeit nur Stärke. Noch sehe China Deutschland als führende Exportnation in Europa, dem gegenüber sehe sich das Land selbst als Führungsmacht in Asien, so Haussmann. „China ist der deutsche Handelspartner Nummer Eins.“
Der Präsident der IHK, Christian O. Erbe, betonte in seiner Schlussrede die Bedeutung Chinas als zentralen Absatz- und Beschaffungsmarkt der Unternehmen. Diesen sei es bislang wichtig gewesen, möglichst günstig zu produzieren und importieren, aber angesichts weltpolitischer Herausforderungen sei Liefersicherheit zunehmend wichtiger. „Wir müssen die Ländermärkte diversifizieren, also Risiken verteilen, um Abhängigkeiten zu reduzieren. In vielen Ländern gebe es Betriebe, die gern mit Europa und Deutschland Handel treiben würden. Sein Appell an die Wirtschaft und die Gesellschaft: Anpacken und Einstehen für Frieden, Wohlstand und Entwicklung. Seine persönliche Wunschliste für das Jahr 2023 hatte deshalb auch Frieden an oberster Stelle, gefolgt von dem Wunsch nach Gesundheit, Versorgungs- und Energiesicherheit, einer realitätsnäheren Politik, nach Entbürokratisierung, genügend Fachkräften und Internationalisierung, mehr Miteinander und nach Erfolg durch eine starke Resilienz.
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