Vom Bereich Neurochirurgie sind immer wieder wichtige Impulse zur medizinischen, technischen und chirurgischen Weiterentwicklung gesetzt wurden. Innovative Technologien sind ein wichtiger Schwerpunkt bei der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) vom 25.-28. Juni 2023 in Stuttgart. Der Kongresspräsident Prof. Dr. med. Marcos Soares Tatagiba, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen gibt im Interview einen Ausblick auf den hochkarätigen Fachkongress.

Herr Prof. Dr. med. Marcos Tatagiba, ein wichtiges Schwerpunktthema der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie sind Innovative Technologien. Was ist möglich, machbar und sinnvoll? Wo sehen Sie die Grenzen?

Innovative Technologien in der Neurochirurgie umfassen eine Vielzahl von Ansätzen wie Robotik, Bildgebung, intraoperatives Monitoring, personalisierte Implantate sowie die Anwendung von virtueller Realität während Operationen sowie in der Ausbildung von Neurochirurgen. Der Einsatz und die stetige Weiterentwicklung dieser Technologien unterstützten neurochirurgische Eingriffe enorm, sodass sie sicherer, präziser und schneller durchgeführt werden können. Das intraoperative Monitoring von motorischen Bahnen und Nerven ist heutzutage nicht mehr aus der Neurochirurgie wegzudenken und warnt die Operierenden während des Eingriffs vor der Manipulation kritischer Strukturen. Der Einsatz einer Neuronavigation ermöglicht es, Zugangswege kleiner zu gestalten und sich besser zu orientieren.

Natürlich haben alle diese Technologien auch Grenzen und sind fehleranfällig. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ihnen muss der Benutzer diese Grenzen kennen und auch damit umgehen können, wenn die Technik mal versagt – also sich z.B. noch orientieren können, wenn die Navigation ausfällt. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind auch die Kosten für diese Technologien. Die Anschaffung und Instandhaltung der hochentwickelten Gerätschaften und dazugehörigen Software-Pakete kostet heutzutage viele Millionen Euro. Kleinere Krankenhäuser können sich das zum Teil nicht leisten, geschweige denn von Krankenhäusern in ärmeren Ländern. Auch in größeren Universitätskliniken ist es inzwischen für die Abteilungen schwieriger geworden "schwarze Zahlen" zu schreiben. Es wird also auch in Zukunft notwendig sein, die Balance zwischen Modernisierung/Technologisierung und Kosteneffizienz zu finden.

Wie ist der Stand der Entwicklung? Welche innovativen Techniken werden bei der Behandlung von Verletzungen, Entzündungen, Tumoren und Missbildungen des Gehirns, des Rückenmarks und der Wirbelsäule bereits angewendet?

Heutzutage spielt in der Neurochirurgie nicht nur die Behandlung einer Krankheit an sich, d.h. die Entfernung eines Tumors oder der Verschluss eines Aneurysmas im Gehirn, eine wichtige Rolle, sondern auch der Funktionserhalt bzw. die Wiedererlangung von Funktion und Lebensqualität.

Der Einsatz von Stimulationsverfahren im Bereich des Rückenmarks, die sog. spinal cord stimulation, ist beispielsweise bei der Behandlung chronischer Schmerzen bereits ein etabliertes Verfahren. Hierbei werden durch Elektroden, welche im Bereich des Rückenmarks implantiert werden, elektrische Signale gesendet, welche Schmerzsignale blockieren. Zwischenzeitlich deuten erste Studien auch auf einen positiven Effekt der spinal cord stimulation bei Rückenmarkschädigung hin – nicht nur durch die Behandlung neuropathischer Schmerzen, sondern auch durch eine Verbesserung der motorischen Funktion. Hier sind allerdings weitere Studien abzuwarten, um finale Aussagen zu treffen.

Eine weitere Technik, welche insbesondere Tumor-Operationen sicherer und einen Funktionserhalt leichter macht, ist die navigierte Transkranielle Magnetstimulation. Durch Magnetimpulse ist es bereits seit einigen Jahren möglich die motorischen Regionen und Faserbahnen, d.h. die Bahnen für die Bewegung, darzustellen und somit die Operationsplanung zu verbessern. Neuere Untersuchung und die Weiterentwicklung der Technologie machen es inzwischen auch möglich, ein sog. Sprachmapping durchzuführen, d.h. die Areale zu identifizieren, welche für die Sprache wichtig sind. Zu dieser Thematik wird es bei der diesjährigen Jahrestagung – neben vielen spannenden weiteren Beiträgen über "neue Technologien" – eine eigene Session geben, in welcher über die geeignetsten Mapping-Protokolle und -Techniken zur Darstellung der Sprache diskutiert werden, wird.

Wie helfen Roboter beim Operieren? Gibt es in Zeiten von ChatGPT bereits Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz?

Operationsroboter in der Neurochirurgie werden heutzutage deutlich seltener eingesetzt als z.B. in der Urologie oder Abdominal-Chirurgie wie der Da Vinci-Roboter. Haupteinsatzgebiete von neurochirurgischen Robotern sind die Wirbelsäulenchirurgie und sog. stereotaktische Neurochirurgie. Weitere Einsatzgebiete können die Neuroendoskopie und – bisher eher experimentell – auch offene intrakranielle Eingriffe sein.

In der Wirbelsäulenchirurgie helfen Roboter bei einer genauen und schnelleren Platzierung von Schrauben. Der Chirurg oder die Chirurgin kann die Lage der Schrauben bereits vor der Operation mittels verschiedener Computerprogramme planen und im OP mit Unterstützung des Roboters v.a. bei schwierigen anatomischen Verhältnissen präziser und weniger invasiv implantieren. In der stereotaktischen Neurochirurgie wird der Roboter zur histologischen Gewebesicherung bei Tumoren und für die Platzierung von Elektroden zur Ableitung von Hirnströmen bei Epilepsie oder zur Tiefen Hirnstimulation bei Bewegungsstörungen (wie z.B. Parkinson) eingesetzt. Neben einer guten Präzision bieten die Roboter im Vergleich zu konventionellen Techniken die Chance eines größeren Patientenkomforts sowie einer Beschleunigung der Operation. Während z.B. die Implantation von sog. SEEG-Elektroden früher mehrere Stunden in Anspruch nahm, kann eine solche Operation unter Verwendung eines Operationsroboters nun in unwesentlich mehr als einer Stunde durchgeführt werden – dies haben auch Studien unserer eigenen Klinik gezeigt.

Wenn man über Robotik und Künstliche Intelligenz spricht, stellt sich die Frage, "muss der Chirurg/die Chirurgin die Operation nur planen und der Roboter führt sie dann selbstständig durch"? Die Antwort ist zum aktuellen Zeitpunkt klar "nein"! Bei den heutzutage eingesetzten neurochirurgischen Robotern handelt es sich um sog. supervisory und shared-control Roboter, d.h. der Roboter führt Bewegungen nur unter direkter Kontrolle des Chirurgen durch. Die Medizin hinkt hier der Entwicklung der autonomen Robotik anderen Gebieten wie dem Militär oder der Industrie (z.B. Automobilbranche) sicherlich hinterher. Die Kombination der robotischen Technologie mit Künstlicher Intelligenz (KI) bzw. Machine learning (ML) bietet hier in Zukunft die Möglichkeit die robotischen Einsatzgebiete in der Neurochirurgie zu erweitern, z.B. auf offene Tumoroperationen oder Gefäßeingriffe. Beispielsweise gibt es bei der Weiterentwicklung von Operationsrobotern generell bereits Bestrebungen Nähte zu automatisieren. Auch ist vorstellbar, dass durch eine Vernetzung von Robotern verschiedener Standorte ein verbessertes "Lernen" von Robotern ermöglicht werden kann. Dies sind momentan allerdings noch Visionen und es müssen bei der Weiterentwicklung auch Aspekte der Kostenerstattung und ethische/rechtliche Konsequenzen berücksichtigt werden. So stellt sich in z.B. die Frage, wer für Komplikationen (z.B. eine Blutung) verantwortlich ist, wenn der Roboter operiert hat. Da in der Neurochirurgie häufig an sehr kleinen, aber relevanten Strukturen wie Nerven und Gefäßen gearbeitet wird, können scheinbar kleine Fehler zu großen Schädigungen und somit weitreichenden Konsequenzen für einen Patienten führen. Auch muss trotz der zunehmenden Digitalisierung der Datenschutz von Patienten aufrecht erhalten bleiben. Um folglich die genannten Visionen in Zukunft in Realität umzuwandeln, ist aus meiner Sicht somit noch einiges an Arbeit und v.a. eine gute Zusammenarbeit zwischen Medizinern, Wissenschaftlern und Industrie notwendig.

Weitere Hauptthemen sind Neuroonkologie, Kinderneurochirurgie, Vaskuläre Neurochirurgie und Schädelbasischirurgie. Wo genau gab es in diesen Bereichen den größten Innovationsschub?

Das sind viele unterschiedliche Bereiche und alle entwickeln sich kontinuierlich weiter. Schaut man sich das Feld der Neuroonkologie an, ist sicherlich die zunehmend personalisierte Medizin und Molekulardiagnostik zu erwähnen. Heutzutage wird gewonnenes Tumorgewebe hochspezialisiert molekulargenetisch untersucht, d.h. es werden individuelle Merkmale von Tumorzellen identifiziert, die potenziell für die Tumorentstehung verantwortlich sind. Diese Erkenntnisse können wiederum der Entwicklung von Medikamenten dienen, welche diese speziellen Veränderungen als mögliche Targetpunkte haben und somit ggf. das Wachstum der Tumorzellen hemmen. Die Molekulardiagnostik wird natürlich auch bei kindlichen Tumoren eingesetzt. In der Kinderneurochirurgie besonders interessant finde ich allerdings die Thematik einer pränatalen Behandlung von einer Spina bifida, d.h. einer angeborenen Fehlbildung des Rückenmarks und der Wirbelsäule die zu neurologischen Problemen wie z.B. Lähmungen und Blasen- und Darminkontinenz führen kann. Obwohl die pränatale Operation an sich auch Risiken birgt, bietet die Technik auch die Chance eines besseren neurologischen Outcomes der Kinder. Die Vortragssession zu diesem Thema, bei welcher einer der Redner über 400 solcher Fälle berichten wird, wird sicherlich sehr spannend.

Vier Tage lang diskutieren renommierte Neurochirurgen aktuelle Themen, das Programm ist wieder vielfältig. Welche Themen liegen Ihnen Herr Prof. Dr. med. Marcos Tatagiba besonders am Herzen? Was sind Ihre Highlights während der Tagung?

Eine schwierige Frage und auch wieder nicht: Es wurden viele sehr gute Beiträge in allen Bereichen der Neurochirurgie eingereicht (in diesem Jahr haben wir eine Rekordzahl an eingereichten Arbeiten, ca. 950!), sodass es schwierig sein wird, nicht etwas Interessantes zu verpassen! Allein zu meinem Schwerpunktthema – Vestibularisschwannomen – wird es vier Vortragssessions geben. Hinzu kommen sehr interessante Plenarsitzungen mit internationalen Rednern und noch die vielen Sonderveranstaltungen wie das Zeiss-Symposium, bei welchem wir 3D-Operationsvideos in einem richtigen Kino präsentieren und diskutieren werden, oder der Gesellschaftsabend im Porsche-Museum. Auf beides freue ich mich sehr! Mein größtes Highlight ist aber sicherlich, dass wir den Kongress gemeinsam mit der Brasilianischen und Portugiesischen Gesellschaft für Neurochirurgie durchführen werden. Beide Länder liegen mir sehr am Herzen und dass wir einige in der Neurochirurgie hochrangige Redner aus diesen Ländern gewinnen konnten, steigert die Qualität des Kongresses weiter. Dass sich auch viele junge Kollegen aus Brasilien und Portugal zu dem Kongress angemeldet haben, freut mich umso mehr!

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