Wie weiter mit dem Brexit? Unsere Prognose lautet: Es wird keinen Brexit geben. Weil nach Brüsseler Denkart nicht sein kann, was nicht sein darf.

Brüssel will den Brexit unter allen Umständen verhindern. Deswegen bietet die EU den sogenannten Brexit-Deal, den Auflösungsvertrag der EU-Mitgliedschaft, als einzig mögliche Lösung an: „Friss oder Stirb“. Das ist nicht ganz ohne Ironie. Während sich die EU im anlaufenden Wahlkampf zum EU-Parlament mit dem Kampf gegen Knebelverträge im Rahmen des Verbraucherschutz brüstet, legt sie Grossbritannien genau so einen Knebelvertrag vor und weist dann jede Schuld an der Blockadesituation entrüstet von sich.

Nun beantragt London einen neuerlichen Aufschub bis Ende Juni. Der Europäische Rat wird diesen Antrag bei seiner nächsten Sondersitzung am 10. April bestätigen oder gar einen weiteren Aufschub vorschlagen. Man spielt auf Zeit mit dem Ziel, den Brexit sine-die zu verschieben aufgrund der politisch gewollten Unmöglichkeit eines EU-Austritts.

Die Verhandlungsstrategie der EU bestand seit Anfang an darin, alle Mitgliedstaaten durch die Horrorszenarien eines ungeordneten Brexit gegen England zu positionieren und vor solchen Wünschen abzuschrecken. In diesem Sinn hat der Chefunterhändler der EU, der Franzose Michel Barnier, den Briten einen Austrittsvertrag aufgedrückt, den diese nicht annehmen können, wenn sie ihre Selbstachtung wahren wollen. Der Knebelvertrag legt auf 600 Seiten nämlich de facto fest, dass sich erstmal nichts ändert und dass alle Pflichten der EU-Mitgliedschaft beibehalten werden – allerdings ohne EU-Kommissar, ohne britische Mitglieder im EU-Parlament, ohne Mitspracherechte für den Austrittskandidaten. « Friss oder Stirb » sagt der Franzose zum Engländer. Doch so lassen sich die Engländer nicht mit sich reden, wie die Abstimmungsergebnisse in Westminster zeigen. Offenbar haben etliche Mitglieder des hohen Unterhauses den Vertrag auch gelesen.

Bevor man also vor der EU in die Knie geht, bleibt man lieber in den weichen EU-Sesseln sitzen. Zunächst wird Grossbritannien an der Wahl zum EU-Parlament teilnehmen. Auch das gehört zur Strategie. Die Parteien bereiten bereits ihre Kandidatenlisten vor. Schliesslich profitieren 74 britische Europa-Abgeordnete aller Parteien davon. 300 Euro Tagegeld für die Sitzungen und andere Annehmlichkeiten, das lässt man sich doch nicht entgehen. Daher ist der 12. April so wichtig für das Brexit-Szenario. Dann fällt in Grossbritannien der Startschuss für die Vorbereitungen der Wahlen zum EU-Parlament. Diese Wahl findet in allen Mitgliedstaaten gemäss den nationalen Wahlverordnungen zwischen dem 23. und 26. Mai statt. Das nächste EU-Parlament konstituiert sich am 2. Juli in Strasbourg. Um nicht die gesamte EU-Wahl anfechtbar zu machen, müssen in allen Mitgliedstaaten die EU-Wahlen ordnungsgemäss vorbereitet werden, also auch in Grossbritannien. Sind die britischen Europa-Abgeordneten aber erst einmal gewählt, werden sie die Annehmlichkeiten des Berufsalltags freiwillig nicht missen wollen. Am Platz Luxembourg in Brüssel, der sich jeden Donnerstag abend zur Partymeile tausender Eurokraten verwandelt, sähen manche Labour- oder Tory-Abgeordnete und selbst die von der Brexit-Partei des Nigel Farage ein Weiter-So lieber als die leidvolle Perspektive der Arbeitslosigkeit. Auch auf dieser persönlichen Ebene diktieren in Brüssel ganz profane wirtschaftliche Interessen von Abgeordneten, Mitarbeitern, englischen Beamten die politische Zukunft des Kontinents. Und sind die Briten erstmal wieder oder noch dabei, wird man sie verwöhnen, damit sie bleiben und das in einem zweiten Referendum oder Rücknahme des Austrittsgesuchs endgültig legitimieren.

Bis dahin galt die Peitsche. Dafür inszeniert Brüssel auch mal gern das ganz grosse Kino. Der Umgang mit dem Vereinigten Königreich beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 21. März sandte bereits eine stille Nachricht an alle Mitgliedstaaten. Regierungschefin Theresa May legte ihre Position dar und musste daraufhin den Sitzungssaal verlassen, in dem dann die 27 Regierungschefs und Martin Selmayr über ihr politisches Schicksal und das des Vereinigten Königreichs entschieden. Was für eine subtile Nachricht: In der EU entscheiden die anderen über das Schicksal einer Nation. Deswegen ist es so wichtig, bei allen grundsätzlichen, die Souveränität der Mitgliedstaaten betreffenden Brüsseler Entscheidungen das Prinzip der Einstimmigkeit im Ministerrat aufrechtzuerhalten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Jede politische Partei, die zur Wahl des EU-Parlaments mit der Forderung nach « Mehr Europa ist die Lösung » und der Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips antritt, hat ihr Land bereits aufgegeben.

Auch manche höhnische Berichterstattung aus London trägt zur Schwarz-Weiss-Malerei bei. Viele Zeitungen druckten die Geschichte vom Dachschaden in Westminster und stellten damit eine bewusst anzügliche Verbindung zwischen der politischen Brisanz der Knebelsituation des Brexit-Austrittsvertrags und der Baufälligkeit des Parlamentsgebäudes her. Gewiss stünden dem Westminster-Palast einige Renovierungsarbeiten gut zu Gesicht, und das ist bei einem Gebäude, dessen Grundstein 1840 gelegt wurde, nicht weiter verwunderlich. Ihren Hohn darüber sollten die EU-Korrespondenten jedoch in Vergleich setzen mit der Haltbarkeit bzw. Baufälligkeit der EU-Gebäude, beispielsweise des Berlaymont-Gebäudes der Kommission oder des Parlamentsgebäudes. Das Berlaymont-Gebäude wurde 1967 in Betrieb genommen, doch zwischen 1992 und 2004 bereits wieder wegen Asbest-Belastung geschlossen. Das Parlamentsgebäude « Paul-Henri-Spaak » ist noch schlimmer dran: erst 1993 eröffnet, ist es bereits so baufällig, dass die Sicherheit der Beamten nicht mehr gewährleistet ist und über einen Totalabriss nachgedacht werden muss. Und im Straßburger Plenarsaal fielen neulich die Dachverkleidungen auf die Sitze der Abgeordneten, glücklicherweise in der sitzungsfreien Zeit.

Der Brexit wird erst einmal nicht stattfinden. Der Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union gliche einer Revolution, die kein Brüsseler Eurokrat mehr kontrollieren könnte. Deswegen ging der gut gemeinte und eigentlich auch vernünftige Aufruf des grünen Europa-Abgeordneten Sven Giegold, die EU solle den Brexit Brexit sein lassen und sich stattdessen um die richtigen Themen der Union kümmern, im Kern an der Sache vorbei. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Erst einmal muss das Selbstverständnis der EU geklärt sein, der Umgang der Mitgliedstaaten untereinander und gegenüber den Institutionen. Wenn hier Einigkeit hergestellt ist, dann kann man sich um politische und wirtschaftliche Teilfragen kümmern. Der Brexit steht plakativ für den Umgang der EU und ihrer Institutionen mit den Mitgliedstaaten. Es gibt nämlich nicht nur eine « EU-Identität » oder ein « EU-Projekt », sondern mehrere Perspektiven für die Zukunft des „europäischen Staatenverbunds“ (Udo di Fabio). Diese Perspektiven müssen geklärt werden, bevor andere Details behandelt werden. Dazu gehört auch eine Neuordnung der Kompetenzen im Rahmen des Prinzips der Subsidiarität. Vor dieser inhaltlichen Auseinandersetzung haben die Befürworter der weiteren « europäischen Integration », also der weiteren Abgabe nationaler Entscheidungsgewalt an die Brüsseler Institutionen, mächtig Angst. So ist auch der Aufruf des EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) zu verstehen, der Brexit solle die EU-Wahl nicht überschatten. Doch genau dazu wird es nun kommen. Und vielleicht leisten die Briten damit, inklusive ihrer skurrilen Parlamentsauftritte, nolens volens der EU einen großen Dienst.

Zur Erinnerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Identität des Briefeschreibers aus Brüssel preiszugeben. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von Informanten und Redaktion. Sie erinnert an die sogenannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeitschrift Public Advertiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die  Geschehnisse am Hofe und im Parlament veröffentlichte. Darin wurden die Machenschaften in der Königsfamilie, von Ministern, Richtern und Abgeordneten satirisch und mit Sachkenntnis der internen Vorgänge und Intrigen aufgespießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts.

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