Mit ihrem Plan in Form von EU-Corona-Anleihen als Antwort auf die Frage nach der Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach der Corona-Krise setzten Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Zeichen: Europa muss nicht nur auf dem Blatt Papier zusammenstehen, sondern auch in Taten Einigkeit und Solidarität demonstrieren. Die französisch-deutsche Initiative löste eine Welle unterschiedlichster Reaktionen aus, darunter Zuspruch, aber auch Zweifel und Skepsis.

Das kürzlich von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Paket geht sogar über die von Merkel und Macron vorgeschlagene Summe von 500 Milliarden Euro hinaus: ganze 750 Milliarden Euro schwer soll das EU-Kommissions-Paket für die wirtschaftliche Erholung Europas werden. Die Debatte darüber wird wohl aber noch eine Zeit lang anhalten. „Und auch danach wird die Lösung nicht sofort zu Ergebnissen führen. Eine wirtschaftliche Erholung der EU wird wahrscheinlich nicht von Corona-Anleihen abhängen“, ist Torsten Reidel, Geschäftsführer bei Grüner Fisher Investments überzeugt.

Zum einen ist die EU notorisch langsam, wenn es darum geht, solche Dinge umzusetzen. Nötig wäre eine einstimmige Billigung des Haushaltsplans und des Wiederaufbauprogramms. Vorher werden wochenlange Debatten erwartet, ähnlich wie zu Zeiten der Schuldenkrise. „Dieser Prozess führt in der Regel dazu, dass die Pläne verwässert oder noch vor der Umsetzung verworfen werden“, sagt Reidel. Zudem würden die Hilfs-Fonds frühestens im nächsten Jahr greifen, was das unmittelbare Problem der Finanzierung von kurzfristigen Maßnahmen nicht löst.

Kurzfristige Selbsthilfe durch eigene Emissionen

Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die unter der COVID-19-Krise am stärksten betroffenen Länder Italien und Spanien zwischenzeitlich ihre Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Corona-Maßnahmen aufstocken könnten, ohne in direkter Konsequenz eine Überschuldung zu riskieren. Obwohl ihre hohen Schulden im Verhältnis zum BIP Schlagzeilen machen, sind diese Zahlen laut Reidel nicht sehr aussagekräftig: Länder zahlen ihre Schulden nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt zurück. Vielmehr zahlen sie fällige Anleihen indem sie neue ausgeben, und Zinsen werden mit Steuereinnahmen beglichen. Die Frage ist also, ob die Zinskosten Italiens und Spaniens gegenwärtig so niedrig sind, dass sie mehr davon in Kauf nehmen können, ohne ihre Zahlungsfähigkeit zu gefährden. „Wir glauben: ja. Letztes Jahr kosteten die Zinszahlungen 12,4 Prozent der Steuereinnahmen von Italien1, in Spanien waren es 13,6 Prozent.2 Beide Zahlen sanken in den vergangenen Jahren stark. Die niedrigen langfristigen Zinssätze ermöglichten es, fällige Schulden zu niedrigeren Renditen zu refinanzieren“, erläutert Reidel.

So ist es auch heute: Ende April 2010 emittierte Italien eine 10-jährige Anleihe zu 4 Prozent.3 Im vergangenen Monat refinanzierten sie diese Anleihen effektiv zu 1,35 Prozent.4 In ähnlicher Weise erzielte die Ende Mai 2010 emittierte 10-jährige Anleihe Spaniens eine durchschnittliche Rendite von 4,1 Prozent. „Sofern keine schwerwiegenden Veränderungen eintreten, wird die 10-jährige-Spanien-Anleihe mit einer aktuellen Rendite von 0,82 Prozent auch mit einem hohen Abschlag refinanzierbar sein 5“, stellt Reidel fest. Er konstatiert: „Wenn es jemals einen guten Zeitpunkt gab, um weitere Schuldverschreibungen zu emittieren, um für ein wenig mehr Stabilität zu sorgen, dann ist er jetzt.“

Anleiheemissionen ≠ wirtschaftlicher Aufschwung

Reidel gibt jedoch zu bedenken, dass massive Anleiheemissionen und -ausgaben kein Stimulus sind, der einen Aufschwung ankurbelt. „Diese Programme federn lediglich verlorene Löhne und Einnahmen ab. Die größte wirtschaftliche Rettung für Spanien, Italien und überall sonst ist die Wiederaufnahme der Geschäfte, die im Zuge der Eindämmung von COVID-19 eingestellt wurden. Zusätzliche Regierungsausgaben und Unterstützung durch die Zentralbank verschaffen lediglich Zeit, bis dies geschieht“, ist Reidel überzeugt.

Sollte sich die EU schließlich auf Corona-Anleihen einigen und ihren Haushalt im nächsten Jahr um 500 Milliarden Euro aufstocken, könnte dies – je nachdem, wie die Mittel ausgegeben werden – als kleiner Anreiz für die Erholung dienen. „Wir raten jedoch davon ab, diese Möglichkeit in Investmententscheidungen einzubeziehen. Die EU und die Eurozone haben die mit der Schuldenkrise einhergehende Rezession inmitten von Sparmaßnahmen – dem Gegenteil von Stimuli – überstanden und sind gut gewachsen, bis die COVID-Eindämmung die Expansion abbrach. Volkswirtschaften müssen nicht gerettet werden“, schließt Reidel.  

Quelle: FactSet, Stand: 19. Mai 2020
Quelle: FactSet, Stand: 19. Mai 2020
Quelle: Italienisches Wirtschafts- und Finanzministerium, Stand: 18. Mai 2020
4 Quelle: Italienisches Wirtschafts- und Finanzministerium, Stand: 18. Mai 2020
5 Quelle: FactSet, Stand: 19. Mai 2020

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