Fast fünf Jahre nach dem Beginn einer kafkaesken Strafverfolgung hat ein Gericht in Montenegro den renommierten Investigativjournalisten Jovo Martinović erneut zu einer Haftstrafe verurteilt. In der Neuauflage seines Prozesses urteilte das Gericht in der Hauptstadt Podgorica am Donnerstag (8.10.), der international anerkannte Experte für organisierte Kriminalität sei in Drogengeschäfte verwickelt gewesen. Damit ignorierte es die erdrückenden Beweise, dass Martinovićs Kontakte in dieses Milieu ausschließlich seinen journalistischen Recherchen dienten. Vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sprach das Gericht den Journalisten anders als im ersten Prozess frei.

„Dieses schockierende Urteil markiert einen schwarzen Tag für die Pressefreiheit in Montenegro“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Montenegros Justiz hat eine wichtige Gelegenheit verpasst, ihre Unabhängigkeit zu beweisen. Die jahrelange Verfolgung dieses renommierten Journalisten ist ein Schandfleck für den EU-Beitrittskandidaten Montenegro. Wir werden Jovo Martinović weiterhin dabei unterstützen, gegen seine skandalöse Verfolgung durch die Justiz zu kämpfen.“
Recherchen für internationale Medien

Martinović hat für internationale Medien wie die BBC, die Financial Times, The Economist und das US-Radionetzwerk NPR über das organisierte Verbrechen auf dem Balkan berichtet. Am 22. Oktober 2015 wurde er verhaftet und verbrachte danach fast 15 Monate in Untersuchungshaft. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung recherchierte er für die französische Nachrichtenagentur CAPA Presse zu Waffengeschäfte.

Im Januar 2019 wurde der Journalist in erster Instanz zu 18 Monaten Haft verurteilt. Dieses Urteil hatte eine Berufungsinstanz im Oktober 2019 als unbegründet aufgehoben und einen neuen Prozess angeordnet. Martinović wird aufgrund der erneuten Strafe nicht ins Gefängnis kommen, weil er die Dauer der Haftstrafe bereits mit seiner Untersuchungshaft verbüßt hat.

Politischer Druck auf unabhängige Journalistinnen und Journalisten

Unabhängige Journalistinnen und Journalisten stehen in Montenegro unter starkem politischem Druck, Selbstzensur ist verbreitet. Drohungen und Anschläge auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der wenigen unabhängigen Medien sind häufig – besonders auf jene, die zu Korruption oder zum organisierten Verbrechen und zu dessen Verbindungen zur Politik recherchieren. Die meisten dieser Angriffe werden nie aufgeklärt, darunter Schüsse, Brand- und Bombenanschläge auf Redaktionsräume, Autos und Wohnhäuser.

Bis heute nicht aufgeklärt ist etwa der Anschlag auf den Investigativjournalisten Tufik Softić 2007. Dasselbe gilt für den Anschlag, bei dem im Mai 2018 der auf organisierte Kriminalität spezialisierten Investigativjournalistin Olivera Lakić in ein Bein geschossen wurde; 2012 war sie schon einmal zum Ziel eines Anschlags geworden. 2019 räumten die Behörden ein, dass höchstwahrscheinlich nie geklärt werden wird, wer 2004 den Chefredakteur der Zeitung Dan, Duško Jovanovic, ermordete.

Schmutzkampagne vor der Parlamentswahl

Vor der Parlamentswahl vor wenigen Wochen verunglimpfte eine obskure Nachrichtenwebsite in einer regelrechten Kampagne mit täglichen, professionell gemachten Videos regierungskritische Investigativjournalistinnen und -journalisten sowie andere Persönlichkeiten als angebliche „Kollaborateure der serbischen Geheimdienste“. Die Angriffe richteten sich unter anderem gegen Medienschaffende, die über schwere Korruption berichtet hatten, darunter Dražen Živković vom Nachrichtenportal Borba sowie Vuk Lajović und Siniša Luković von der Tageszeitung Vijesti.

Montenegro steht auf Platz 105 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit; noch schlechter steht unter den Ländern der EU und des Balkans nur Bulgarien da. Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Montenegro finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/montenegro.

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