Sehr geehrte Frau Wink,

sehr geehrter Herr Fauß, lieber Erwin,

sehr geehrte Akteure der „Initiative für Demokratie“,

sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Rainer und alle Vertreter aus Politik und Wirtschaft,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

lassen Sie mich zunächst zum Ausdruck bringen, dass ich wirklich beeindruckt bin von der Anzahl der Menschen, die heute den Weg auf den Lauterbacher Marktplatz gefunden haben: eine noch nie da gewesene Unterstützung der Vogelsberger Betriebe, Verbände, Organisationen und Parteien. Es ist ein breiter Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Wenn wir mal ehrlich sind, ist allein die Tatsache, dass dieses Treffen zu diesem Anlass mit einer solchen Zahl von Bürgerinnen und Bürger stattfindet, Ausdruck genug, um deutlich zu machen, worum es heute geht, um die Botschaft ins Land zu senden. Alle weiteren Worte sind damit zweitrangig und treten hinter dieses zentrale Statement zurück: , „wir stehen zusammen“, „wir sind die Mehrheit in diesem Land“ und „wir wissen um die Verantwortung, die wir als Gesellschaft für uns und für andere auf dieser Welt haben.“

Konrad Adenauer hat einmal gesagt:

„Demokratie bedeutet Macht des Volkes. Jeder von uns ist ein Teil des Volkes. Macht bedeutet Verantwortung. Jeder von uns muss sich bewusst sein, dass er mitverantwortlich ist, auch für das gesamte politische und wirtschaftliche Geschehen“.

In diesem Jahr feiern wir in unserem Land einen besonderen Geburtstag: Unser Grundgesetz wird 75 Jahre alt.

Am 23. Mai 1949 trat es in Kraft. Damals befand sich Deutschland auf dem Tiefpunkt seiner Geschichte. Und zwar nicht nur deswegen, weil es einen Krieg verloren hatte, sondern weil es auf dem moralischen Tiefpunkt seiner Geschichte war. Und alle diejenigen, die damals zusammengekommen sind, um eine neue Verfassung zu schreiben, die hatten einen ganz konkreten Hintergrund für ihre Arbeit. Ihre Beratungen waren geprägt von einer Haltung, die so etwas wie eine ungeschriebene Überschrift für unser Grundgesetz geworden ist und die den Titel unserer heutigen Veranstaltung trägt: Nie wieder! Nie wieder Nationalismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Hass, nie wieder Unterdrückung. Nie wieder! Das ist nicht Geschichte – das ist aktuell. Nie wieder ist nicht nur „jetzt“, nie wieder ist „immer“.

Daher ist das, was wir hier heute – und viele tausende von Menschen in den vergangenen Tagen – gemeinsam tun, wofür wir gemeinsam einstehen: gelebter Verfassungsschutz, gelebtes Eintreten für die Grundwerte unseres Grundgesetzes als wesentliche Grundlage unseres Zusammenlebens in Deutschland.

Gestatten Sie mir einige persönliche Gedanken, die mir in den vergangenen Wochen immer wieder in den Sinn gekommen sind. Ich musste sehr häufig an meine Schulzeit denken: daran, wie wir im Deutschunterricht etwa den Roman „Jakob der Lügner“ von Jurek Becker gelesen haben; daran, wie wir im Religionsunterricht über das Wirken des Pfarrers und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer gesprochen haben und ja auch daran, wie wir im Geschichtsunterricht über das Ende der Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 unterrichtet wurden.

Und ja, ich erinnere mich auch daran, wie es zum damaligen Zeitpunkt – Mitte bis Ende der 90er Jahre – durchaus Haltungen in weiten Teilen der Gesellschaft gab, es sei nun mal gut damit, in allen möglichen Unterrichtsfächern uns Schülerinnen und Schüler gehäuft mit Fragestellungen der NS-Zeit und des Extremismus zu beschäftigen. Die Frage: gibt es denn sonst nichts, worüber man in Schule reden und unterrichten müsste als „ständig über diese dunkle Zeit Deutschlands“. Diese Fragen wurden gestellt und ja, die Versuchung, in diesen Chor einzustimmen war groß.

Meine Damen und Herren,

ganz sicherlich ist die Frage der Aufklärung und Sensibilisierung unserer Jugend, unseres Nachwuchses und unserer Kinder keine Frage der Quantität, sondern der Qualität. Es geht nicht darum, möglichst viel zu erinnern, sondern möglichst nachhaltig und wirkungsvoll. Und genauso ist der Hinweis auf die besondere Verantwortung unseres Volkes und Staates und die Vermittlung, welches Bewusstsein jeder Einzelne für das „nie Wieder“ entwickeln muss, nichts, was mit Druck oder Zwang, sondern nur mit Verständnis und Sensibilität vermittelt werden muss.

Was mich rückblickend aber schon bewegt, ist die Tatsache, dass wir aus der damaligen Sicht das Eintreten für unsere gemeinsame Verantwortung, für unsere Werte und gegen jede Form des Extremistischen als etwas sehr Theoretisches und „weit in der Ferne“, um nicht zu sagen fernab der Realität liegendes Problem begriffen haben. Und natürlich gab es auch damals, gab es zu jeder Zeit unserer mittlerweile rund 75jährigen Geschichte der BRD immer wieder ein Aufflackern rechtsextremistischer Strömungen, denen sich Menschen entgegengestellt haben.

Was aber müssen wir heute, zu Beginn des Jahres 2024 konstatieren. Tatsächlich sprechen wir nicht über eine nur theoretische Herausforderung.

Noch nie zuvor war die Gefahr, dass eine größer werdende Gruppe ewig Gestriger Einfluss auf die Geschicke unseres Staates und unserer Gemeinschaft nehmen könnte, so groß wie im Jahr 2024. Und genauso müssen wir ernst nehmen, dass noch nie zuvor eine so große Zahl an Menschen das Vertrauen in die Politik, das Vertrauen in Politiker und – das sorgt mich am allermeisten – auch das Vertrauen in das Funktionieren unseres Staates und seiner staatlichen Institutionen verloren hat.

Und genau aus diesem Grunde stehen wir hier gemeinsam auf und sagen klar, wer in diesem Land die Mehrheit darstellt und wer – wo immer wir politisch auch stehen – die Bereitschaft aufbringt, für Grundgesetz, Demokratie und Grundrechte einzustehen.

Und lassen Sie mich eines auch deutlich machen:

Wir leben in einer Zeit von vielfältigen Herausforderungen. Die ganze Welt befindet sich im Wandel, steht gefühlt teilweise auf dem Kopf. Inzwischen haben wir uns fast alle daran gewöhnt, dass wir uns in einer Art Dauerkrise befinden. Coronakrise, Klimakrise, Migrationskrise, Haushaltskrise…

Hinzu kommen die Kriege in der Ukraine und in Israel, die immer weiter zu eskalieren drohen. Unabhängig davon bestimmen auch in Berlin Streit und Konfrontation die Debatten. Die Menschen sind regelrecht von der „großen“ Politik verunsichert. Immer mehr nehmen deshalb ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr und tragen Ihre Sorgen in ganz Deutschland auf die Straßen. Sorgen, denen man sich zu wenig, falsch oder gar nicht annimmt.

Deshalb gehen die Landwirtinnen und Landwirte, Handwerker, Transportunternehmen und der Mittelstand auf die Straße und machen auf ihre Anliegen aufmerksam. Gegen die immer strengeren Auflagen und Kosten, die ihre Existenz bedrohen.

Auch die Inflation trifft uns derzeit alle. Die Kostensteigerungen im Bereich der Lebensmittel, der Energie und allen Gütern des täglichen Bedarfs drücken die Stimmung in unserem Land. Teile der Gesellschaft wissen nicht mehr, wie sie das alles noch bezahlen sollen.

Die Folge ist: Die Bürger entziehen den Institutionen das Vertrauen.

Es ist aber die Aufgabe der Politik, dass das repräsentative Prinzip unserer Demokratie besser funktioniert. Dass sich die Bürgerinnen und Bürger besser vertreten und mitgenommen fühlen, Teil des demokratischen Prozesses sind. Sich gehört fühlen und auch unterschiedliche Meinungen auch zulassen. Und, ja, auch die Bereitschaft aufzubringen, dass auch der andere, der Nachbar, der politische Gegner, der Konkurrent Recht haben könnte mit dem, was er sagt und denkt.

Aus der Politikkrise darf keine Krise der Demokratie oder des Staates werden.

Eine Demokratie braucht daher auch politische Führung. Den Mut und den Willen für das als richtig erachtete einzutreten, auch gegen Widerstände. Einbinden und führen – beides muss die Politik leisten. Wir brauchen Mut und Zuversicht.

Und wir müssen gemeinsam eine klare Haltung und auch eine klare Sprache entwickeln, die sich durch Worte auch nach außen abgrenzt:

Wenn radikale Kräfte Pläne zur Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen schmieden, wird Geschichte zur Schablone. Wir erkennen doch das Muster, die bewusste Anlehnung. Das ist widerlich, das ist unerträglich, das erfordert unseren entschiedenen Widerspruch.

Es ist unerträglich, wenn sich jüdische Menschen nicht trauen, als jüdisch erkennbar zu sein, Ich sage sehr klar: Wer Teil unseres Landes sein will, muss Teil unserer Erinnerungskultur sein, unseres Kampfes gegen jeden Antisemitismus und unseres Bekenntnisses zum Staate Israel. An dieser roten Linie endeten Toleranz und Gastfreundschaft ohne Wenn und Aber.

Meine Damen und Herren,

Ich komme zurück auf unser Grundgesetz: Dort heißt es in Artikel 1:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Von der Würde des Menschen ist die Rede – nicht von der Würde des Deutschen!

Wir müssen öffentlich Haltung zeigen, aber es ist nicht damit getan, dass wir uns mit Gleichgesinnten treffen. Wenn wir alle und noch viel, viel mehr im eigenen Umfeld, überall da, wo sich die Möglichkeit bietet, klare Kante gegen Rechts zeigen, widersprechen, für Demokratie und für Menschenrechte eintreten, dann hat Deutschland eine gute Zukunft und wenn nicht, dann haben wir ein Problem.

Zum Schluss komme ich wieder an den Anfang meiner Rede.

„Demokratie bedeutet Macht des Volkes. Jeder von uns ist ein Teil des Volkes. Macht bedeutet Verantwortung. Jeder von uns muss sich bewusst sein, dass er mitverantwortlich ist, auch für das gesamte politische und wirtschaftliche Geschehen“.

Deshalb rufe ich Ihnen nochmal zu:

„Engagieren Sie sich! Für Zusammenhalt, für Verständigung, für Vielfalt und gegen Hass, Hetze, Rassismus und Antisemitismus. Zusammen und vereint – für eine Zukunft mit Zukunft.“

Das beste Geburtstagsgeschenk für unsere Verfassung wird sein: Verteidigen wir unsere Demokratie! Liebe Freundinnen und liebe Freunde: Nie wieder ist jetzt!

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