Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg hatte die Regelungen des Regionalen Raumordnungsprogramms der Region Hannover auf Grund von Planungsfehlern für unwirksam erklärt (OVG Lüneburg, Urt. v. 05.03.2019, Az. 12 KN 202/17 u.a.). Darin war eine Konzentrationsplanung für die Nutzung der Windenergie in Gestalt von Windparks vorgesehen. Das Urteil liegt nun im Volltext vor.

Gegenstand der Entscheidung

Die Entscheidung basiert auf vier Normenkontrollanträgen, die sich gegen die Festsetzungen im Regionalen Raumordnungsprogramm 2016 (RROP) wandten. Insgesamt wurden gegen das RROP elf Normenkontrollanträge gestellt. Im RROP hatte die Region Hannover unter anderem einen sog. „Siedlungsbereich“ als insgesamt weiche Tabuzone bestimmt, welcher sich „faktisch aus harten und weichen Tabukriterien“ zusammensetzen sollte. Zudem hatte sie mit dem Ziel, dem gesetzlichen Immissionsschutz planerisch zuvorzukommen, weiche Tabuzonen in pauschalen Abständen zu den „Siedlungsbereichen“ (800 m), „Vorranggebieten industrielle Anlagen und Gewerbe“ (800 m) sowie zu Einzelhäusern und Splittersiedlungen (600 m) festgelegt. Im Folgenden soll ein Blick auf zentrale Punkte des umfassenden Urteils geworfen werden.

Notwendige Bestimmung harter Tabuzonen in „Siedlungsbereichen“

Das OVG Lüneburg befand die vorgetragenen Bedenken der Antragsteller – darunter ein WEA-Projektierer – als zulässig und begründet. In Einklang mit der gängigen Rechtsprechung erkannten die Richter zwar an, dass die schwierige Abgrenzung zwischen harten und weichen Tabuzonen dazu führt, dass der Plangeber diese lediglich in „angemessener Weise“ durchzuführen hat. Deshalb kommt ihm hierbei stellenweise eine Befugnis zur Typisierung zu. Die hierin getroffenen Wertungen sind dann gerichtlich nur auf ihre Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit zu überprüfen.

Allerdings treffe dies auf die im RROP festgelegten „Siedlungsbereiche“ nicht zu. In Bereichen, in denen ein entgegenstehender Bebauungsplan existiert, ist die Errichtung von Windenergieanlagen aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen und es handelt sich insoweit um (jedenfalls temporäre) harte Tabuzonen. Diese sind auch als solche auszuweisen. Denn die Differenzierung zwischen den verschiedenen Tabuzonen ist den unterschiedlichen rechtlichen Regimes geschuldet, welchen diese unterliegen. Die pauschale Ausweisung eines Gebietes, das sich „faktisch aus weichen und harten Tabuzonen“ zusammensetzt, als insgesamt weiche Tabuzone, ist unzulässig. Denn hier habe sich der Plangeber nicht bewusst gemacht, welche Flächen welchem rechtlichen Regime unterliegen. Außerdem könnte sich ein Plangeber so der geforderten Differenzierung durch die umfassende Ausweisung weicher Tabuzonen weitgehend entziehen. Deshalb ist eine solche Pauschalisierung nur in tatsächlichen Zweifelsfällen zulässig.

Harte Tabuzonen im Bereich optischer Bedrängung

Im Weiteren war nach Auffassung des Senats die Festlegung weicher Tabuzonen in pauschalen Abständen zu den „Siedlungsbereichen“ (800 m) sowie Einzelhäusern und Splittersiedlungen (600 m) rechtswidrig. So sei auch hier schon nicht fehlerhaft zwischen den Tabuzonenkategorien differenziert worden. Ob der Schwierigkeit der sicheren Differenzierung in Hinblick auf die immissionsschutzrechtlich zwingend erforderlichen Abstände ist es nach Auffassung der Lüneburger Richter vertretbar, harte Tabuzonen im Abstand zu bestehender Wohnbebauung unter dem Gesichtspunkt der optischen Bedrängung festzulegen. Denn diese Vorgehensweise führe zu Abständen, die in einer „Reflexwirkung“ zugleich eine Entschärfung der Lärmproblematik bedingen.

Die Region Hannover hatte jedoch die Festlegung harter Tabuzonen unter dem Gesichtspunkt der optischen Bedrängung unterlassen. Vielmehr hatte sie auch hinsichtlich der Abstände lediglich pauschale weiche Tabuzonen festgelegt. Damit war auch betreffend die Abstände nicht hinreichend zwischen harten und weichen Tabuzonen differenziert worden.

Keine Umkehr der TA Lärm

Hinzu trat, dass die weichen Tabuzonen um den „Siedlungsbereich“ 800 m weit reichen sollten, während Einzelhäusern und Splittersiedlungen mit Wohngebäuden im Außenbereich nur ein Schutzabstand von 600 m zugebilligt wurde. Dabei sollten nach den Darstellungen im RROP zum „Siedlungsbereich“ auch „faktische Gewerbegebiete im Innenbereich sowie Sonderbauflächen mit Gewerbecharakter“ zählen.

Laut dem Senat kehrt der RROP damit die Vorgaben der auf Grundlage von § 48 BImSchG erlassenen TA Lärm in unzulässiger Weise um. Diese sieht nämlich grundsätzlich einen schwächeren Schutz für Gewerbegebiete (65/50 bzw. 70 (Industriegebiete) dB) als für Wohnnutzungen im Außenbereich (nach einhelliger Rechtsprechung zu bewerten wie gemischt nutzbare Bereiche – 60/45 dB) vor. Eine solche Umkehr der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu einem generell höheren Immissionsschutz von Gewerbegebieten könne auch nicht mit dem Verweis auf mögliche Wohnnutzungen in Gewerbegebieten gerechtfertigt werden. Ein höherer Schutzstatus bestehe gerade nicht. Unter einem ähnlichen Abwägungsfehler leide ebenso der vorgesehene Schutzabstand (800 m) zu den „Vorranggebieten industrielle Anlagen und Gewerbe“. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Fazit

Die Aufstellung von Raumordnungsplänen im Bereich der Ausweisung von Vorrang- und Eignungsgebieten für Windenergie in Zusammenhang mit der Ausweisung harter und weicher Tabuzonen ist äußerst fehleranfällig. Daran ändert auch die besprochene Entscheidung des OVG Lüneburgs nichts. Planaufsteller müssen sehr genau prüfen, wo eine Differenzierung zwischen harten und weichen Tabuzonen vorgenommen werden kann. Die Rechtsprechung duldet zwar eine gewisse Vereinfachung bei noch fehlender Konkretisierung. Ist die Bestimmung harter Tabuzonen jedoch möglich, so muss diese auch vorgenommen werden. Eine Umgehung des Differenzierungserfordernisses durch pauschale Ausweisung weiter Flächen als weiche Tabuzonen ist unzulässig und kann zur Unwirksamkeit des Plans führen. Gleiches gilt mit Blick auf Schutzabstände. Hier ist im Kern eine Bestimmung harter Tabuzonen über das 2H-Prinzip möglich und deshalb vorzunehmen. In der Folge wird eine möglichst „schwammige“ Planaufstellung nicht selten zu deren Angreifbarkeit führen. Zugleich ist das den betroffenen Gebieten durch die TA Lärm zugeschriebene Schutzniveau beachtlich. Werden die gesetzlichen Schutzmaßstäbe grundlegend verletzt, können Abwägungsfehler die Unwirksamkeit der Planung bedingen. Die Entscheidung mahnt also zur gewissenhaften Planaufstellung und Differenzierung, gibt aber auch Hinweise, wie eine solche gelingen kann.

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