Die Wahlen zum EU-Parlament finden in Deutschland und den meisten Mitgliedstaaten der EU am 25. Mai statt. Die bekanntesten Kandidaten sind SPD-Justizministerin Barley und Prof. Jörg Meuthen, der bereits für die Alternative für Deutschland (AfD) im EU-Parlament arbeitet und die AfD-Europaliste anführt. Das geht aus einer Umfrage für die Deutsche Presse Agentur hervor, zitiert von der BILD-Zeitung am 24. April. Den Merkel-Vertrauten Manfred Weber kennen hingegen nur 26 Prozent der Wähler, obwohl er dazu auserkoren ist, Frau Merkels EU-Politik nach ihrem Ausscheiden weiterzuführen, sollte sich Frau Merkel nicht doch noch als Kompromisspräsidentin an die Spitze der Brüsseler EU-Kommission wählen lassen.

Um seine Wahlaussichten etwas zu verbessern, legte Weber einen Zwölf-Punkte-Plan vor: das Wahlprogramm für den Bierdeckel. Darauf stehen bekannte Vorschläge und auch einiges Populistisches wie beispielsweise die Erschaffung eines „Europäischen FBI“ oder der Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (bekanntlich am Sankt-Nimmerleins-Tag jeder Wahlperiode). Vorschlag Nummer Vier sticht hervor: Weber will einen neuen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Das forderte er bereits in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (17. März) als schärfere Gangart gegen Ungarn und Polen aufgrund sogenannter „systemischer Rechtsverletzungen“. Nach Webers Vorschlag sollen künftig externe Grundrechte-Berater außergerichtlich über die rechtstaatliche Verfassung der Mitgliedsstaaten urteilen. Damit übernimmt Weber 1:1 eine klassische Forderung der Grünen und der Linken im EU-Parlament.

Nicht jeder Vorschlag verdient es, zu Papier gebracht und der gesellschaftlichen Debatte zugänglich gemacht zu werden. Auch bei diesem Vorschlag darf man seine Zweifel haben. Die Idee Webers ist typisch für die links-grüne Brüsseler Eurokraten-Blase! Der Verdacht kommt auf, daß er genau diese Gruppen im neuen Parlament für seine Wahl als Kommissionspräsident gewinnen will. Denn die „Agenda der Grundrechte“ ist zuvörderst ein Instrument der links-grünen Minderheit zur Durchsetzung nicht näher definierter „Grundwerte“ und zur „Antidiskriminierung“ im Rahmen der „Freizügigkeit“ für „europäische Staatsbürger“. Diese respektvollen Begriffe verschleiern, dass der EU als supranationaler Staatenbund der Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten nicht zusteht. Die EU ist ein Neben- und Miteinander von 28 Staaten mit jeweils eigenem Volk, Geschichte, gewachsenen Strukturen, Kulturen, Sprachen, Sitten und Gebräuchen, die in friedvoller Nachbarschaft miteinander Handel treiben. Die EU ist kein Staat mit Staatsvolk und Staatsgebiet und „Nationalhymne“. Auch die „Ode an die Freude“ von Beethoven auf der Grundlage des gleichnamigen Gedichts von Friedrich Schiller ist offiziell keine Hymne. Es gibt keinen einheitlichen gemeinsamen Text, sondern nur drei Instrumentalversionen. Deswegen ist auch der Begriff „Europäische Staatsbürgerschaft“ Augenwischerei. Das eigentliche Ziel der „Agenda der Grundrechte der EU“ ist die Relativierung, bis hin zu ihrer Abschaffung, der traditionellen Werte und Normen der Mitgliedsstaaten mittels der institutionellen Steuerung durch Brüssel mit Unterstützung des Europäischen Gerichtshofs in Luxembourg.

Webers Vorschlag ist auch nicht neu. Bereits Anfang der 2000er Jahre unterhielt die EU-Kommission zur Steuerung von Werten und Normen mit der Grundrechte-Charta als zentrales Werkzeug ein „EU-Netzwerk unabhängiger Experten für die Grundrechte“ unter der Leitung des Belgiers Olivier de Schutter (Universität Leuven). In dessen „Stellungnahme 4-2005 über das Recht zur Gewissensverweigerung und die Verabschiedung von Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl durch die Mitgliedstaaten“ vom 14. Dezember 2005 ging es um die Frage, ob die Slowakei mittels eines Konkordats dem Schutz des ungeborenen Lebens besondere Bedeutung beimessen darf. Die slowakische Regierung bestand darauf, die externen Grundrechte-Experten der EU-Kommission waren dagegen. Die Christdemokraten der EVP, damals unter der Leitung des CDU-Politikers Hans-Gert Poettering, knickten ein, der Zusatz zum Konkordat kam nicht zustande. In Bratislava zerfiel die Regierung, es übernahmen die Sozialdemokraten. Per Email gratulierten sich Abtreibungsorganisationen wie Marie-Stopes-International und Pro Familia dazu, dass der „unabhängige Experte für die Grundrechte“ Olivier de Schutter wörtlich ihre Argumentation übernommen hatte und dass dank dieser externen Kommissions-Berater nicht nur der Schutz des ungeborenen Lebens in der EU ausgehöhlt, sondern gleich noch eine christdemokratische Regierung in Zentraleuropa ausgebootet wurde. Als der Schaden angerichtet war, stellte sich heraus, dass die „unabhängigen Grundrechte-Experten“ eben nicht unabhängig waren. Übrigens wurde selbiger Olivier de Schutter nun von den Grünen in Belgien auf Platz 3 der Europaliste platziert und könnte mit etwas Glück ins EU-Parlament einziehen.

Webers Vorschlag anlässlich der Wahl des EU-Parlaments ist ein Angriff auf die rechtsstaatsbasierte Demokratie der Nationalstaaten. Käme der Vorschlag von der AfD, wäre der Teufel los. Richter im Ruhestand sollen Mitgliedsstaaten von Brüssel aus als Feierabendexperten außergerichtlich am EuGH vorbei vorverurteilen. Die Idee des „politisch neutralen Richters“ gehört dabei zum Framing-Vokabular. Man kennt das schon. In Deutschland etwa werden Verfassungsrichter von politischen Parteien, denen sie nahestehen, vorgeschlagen und dann vom (ebenso parteidominierten) Bundestag oder dem Bundesrat gewählt. Die Gender-Aktivistin Susanne Baer wurde von den Grünen ans Bundesverfassungsgericht befördert. Kürzlich wechselte mit Stephan Harbarth der amtierende Fraktions-Vize der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag an das Bundesverfassungsgericht und entscheidet dort in Richterrobe über die Auslegung von Gesetzen, an denen er zuvor als Mitglied des Bundestags selbst aktiv mitschrieb. Was Polen oder Ungarn heute vorgeworfen wird, ist in Deutschland etablierte Praxis.

Webers Ruf nach mehr Brüsseler Expertokratie riecht stark nach Polit-Aktivismus vor den Wahlen zum EU-Parlament. Die EU verfügt mit dem Vertragsverletzungsverfahren bereits über einen etablierten Kontrollmechanismus. Außerdem gibt es die als „Nuklearoption“ bezeichnete Rechtsstaatlichkeitsprozedur zum Entzug der Stimmrechte im Rat. Die EU-Kommission wacht mit ideologischer Flexibilität über die Einhaltung der EU-Vorschriften. Der EuGH richtet nach eingehender Beratung, ob Gemeinschaftsrecht tatsächlich verletzt wurde oder nicht. Mit dem Vorschlag einer externen Expertengruppe für die Grundrechte suggeriert Weber, dass der EuGH nicht mehr taugt, und dass EuGH-Prozeduren durch außergerichtliche politisierte Experten-Gremien ersetzt werden könnten.

Die Anwendung der Nuklearoption hat es bisher nicht gegeben. Den Staats- und Regierungschefs ist das durchaus bewusst. Diese Besonnenheit unterscheidet den Rat löblich vom EU-Parlament. Die Länge des Verfahrens hat möglicherweise zwei Gründe. Erstens: Es liegen schlicht keine belastbaren Fakten vor, die heraufbeschworene eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Werte in Polen und Ungarn juristisch wasserdicht zu belegen. Doch nur das zählt. Zweitens: Welche Absprachen hat Manfred Weber in seiner christdemokratischen Parteienfamilie getroffen, damit der Beschluss des EU-Parlaments gegen Ungarn nicht allzu flott umgesetzt wird? Möglicherweise spielt Weber ein doppeltes Spiel: im Plenum in Straßburg die maßgeblich von den Grünen vorbereite Entschließung vom 12. September 2018 gegen Ungarn zu unterstützen und sich mithin als grünkompatibel zu empfehlen. Gleichzeitig stellt er mit den acht Staats- und Regierungschefs, die noch zur christdemokratischen Parteienfamilie gehören, sicher, dass sie ihrerseits die Parlamentsentschließung gegen den Parteifreund Orban blockieren.

Webers Vorschlag kann sich aber auch gegen seine eigenen Parteifreunde in CDU und CSU drehen. Wollte Weber Rechtsstaatlichkeit walten lassen, müsste man erstmal bei den vielen Rechtsbrüchen der Juncker-Kommission im Rahmen der Eurorettung und der Migrationsfrage oder kürzlich bei der Ernennung des Generalsekretärs Martin Selmayr („Selmayr-Gate“) beginnen. Im EU-Parlament könnte man beispielsweise über die Rechtmäßigkeit der halsbrecherischen Verabschiedung der Parlamentsposition zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen noch vor dem Ende dieser Wahlperiode sprechen. Dadurch werden nämlich dem zukünftigen EU-Parlament mit seinen neuen eurokritischen Mehrheiten ganz bewusst wichtige haushaltspolitische Entscheidungen vorenthalten. Man könnte auch mal hinterfragen, warum Weber die parlamentarischen Rechte der Oppositionsfraktionen im EU-Parlament, beispielsweise für Fraktionsgründungen, massiv einschränken will. Webers Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit könnte auch Deutschland betreffen. Die Brüsseler Experten können zum Beispiel die von der Regierung Merkel begangenen Verletzungen des Gemeinschaftsrechts während der Migrationskrise im Jahr 2015 aufarbeiten.

Der Schlachtruf nach dem „Schutz des nationalen Rechtsstaats durch Brüssel“ ist ein zweischneidiges Messer, das man besser in der Schublade lässt. Was dem Rechtsstaat und der Demokratie aber auf jeden Fall hilft ist: Wählen gehen.

Ihr

Junius

Zur Erinnerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Identität des Briefeschreibers aus Brüssel preiszugeben. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von Informanten und Redaktion. Sie erinnert an die sogenannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeitschrift Public Advertiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die Geschehnisse am Hofe und im Parlament veröffentlichte. Darin wurden die Machenschaften in der Königsfamilie, von Ministern, Richtern und Abgeordneten satirisch und mit Sachkenntnis der internen Vorgänge und Intrigen aufgespießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts.

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