Die neue EU-Kommission nimmt weiter Gestalt an. Diese Woche begannen in Brüssel die „Anhörungen“ der von den nationalen Regierungen vorgeschlagenen Kommissarskandidaten. „Forming a new Commission is almost a blind date“, so formulierte es Manuel Barroso, der zehn Jahre lang die EU-Kommission leitete und zweimal eine Kommission bilden musste. Blind-Date-Kommissionsbildungen sind ein Prozess mit vielen unbekannten Faktoren: Nationalität, Parteizugehörigkeit und gelegentlich auch Absprachen innerhalb einer Regierungskoalition, welchem Koalitionspartner der „Posten in Brüssel“ zustehe. Man erinnert sich noch an den Protest der Sozialdemokraten, als Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Europäischen Rat am 2. Juli 2019 eine Entscheidung für die Regierung traf, die zuvor nicht mit dem Koalitionspartner abgesprochen war. Wichtig ist auch die richtige Geschlechtszugehörigkeit, nicht selten ein Ausschlusskriterium, und schließlich, wenn noch möglich, geht es um die fachliche Kompetenz für das Portfolio, das es zu besetzen gilt.

Die Kandidaten werden von den Staats- und Regierungschefs in Absprache mit der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, benannt. Da ist natürlich viel Symbolik dabei. Die ehemaligen „Spitzenkandidaten“ werden mit Posten als erstem Stellvertreter „belohnt“, „Executive Vice Präsident“ genannt. So werden Luftnummern auch noch belohnt, denn die „Spitzenkandidaten“ sind vertraglich nirgendwo vorgesehen und lediglich eine Erfindung der europäischen Parteienfamilien. Immerhin: Der Sozialdemokrat Frans Timmermans verliert das hochpolitische Dossier der Grundrechte, das ist ein gutes Zeichen. Zu oft überspannte der linksliberale Oberinquisitor der Juncker-Kommission den Bogen mit seinen politischen Aktionen gegen konservative Regierungen, vor allem gegen Ungarn und Polen, und seine plakativen Bekenntnisse zur Homo-Ehe erzürnten mehr, als dass sie die Mitgliedstaaten einigten. Nun soll sich der provokante Herr Timmermans um die ökologische Wende kümmern und es würde hier niemanden wundern, wenn der Sozialdemokrat demnächst kinderreiche Familien als klimaschädlich einstufte.

Es stehen 78 Sitzungsstunden Anhörungen in den parlamentarischen Fachausschüssen an. Diese Anhörungen gelten als ein weiteres Indiz für die „Parlamentarisierung“ der Brüsseler Entscheidungsprozesse. Sie passen sich immer enger den nationalstaatlichen Vorbildern an, als ob die EU selbst faktisch ein Staat geworden wäre. Aber nirgendwo in den Verträgen steht etwas davon, dass das EU-Parlament die Kommissionskandidaten anhört. Es soll nur zustimmen. Nach dem Zustimmungsvotum des EU-Parlaments wird die Europäische Kommission von den Staats- und Regierungschefs nach Artikel 17 Absatz 7 des EU-Vertrags ernannt. Doch das Parlament nutzte seine neue Zuständigkeit des Zustimmungsvotums nach dem Motto: wie soll ein Europa-Abgeordneter seine Zustimmung geben (oder auch nicht), wenn man den Kommissions-Kandidaten zuvor gar nicht auf seine Eignung geprüft hat? Flugs wurde in der Geschäftsordnung der heutige Artikel 125 „Wahl der Kommission“ eingeführt, und Anlage VII der Geschäftsordnung „Zustimmung und Überprüfung der während der Anhörungen eingegangen Verpflichtungen“ regelt ziemlich detailliert die sogenannte „Parlamentarische Kontrolle der EU-Kommission durch das EU-Parlament“. Nebenbei bemerkt: dass da nicht viel kontrolliert wird, ist ein offenes Geheimnis. Die Machtlosigkeit der EU-Parlamentarier gegenüber der Kommission wurde kürzlich im Fall Selmayr deutlich. Sie zeigt sich tagtäglich in den empörend nichtssagenden Antworten der Kommission auf die wenigen schriftlichen Anfragen, die die Europa-Abgeordneten noch an die Kommission stellen dürfen (vergleichbar den „Kleinen Anfragen“ der Bundestagsabgeordneten an die Bundesregierung).

Bevor die Anhörungen in den Fachausschüssen beginnen, sandten die Fachausschüsse fünf Fragen an die Kandidaten, die sie schriftlich beantworten mussten. Außerdem beriet der Rechtsausschuss über die ethische Eignung der Kandidaten. Dabei beschränkt er sich leider nur auf vorliegende finanzielle Interessenkonflikte. Sie betreffen im Moment die rumänische Kandidatin Rovana Plumb und den ungarischen Kandidaten László Trócsányi. Das lässt aufhorchen, denn von Anfang an standen Rumänien und Ungarn in der Kritik des linksliberalen Brüsseler Milieus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass hier die Interessenkonflikte nur vorgeschoben wurden, um zwei unliebsamen zentraleuropäischen Mitgliedsstaaten die Leviten zu lesen. In den kommenden Tagen schon wird man sehen, ob sich Frau von der Leyen, die rumänische und die ungarische Regierung auf diese Weise vorführen lassen und die Kandidaten austauschen, oder ob sie auf dem Vorschlagsrecht der Mitgliedstaaten bestehen. Auf jeden Fall ist der Zeitplan für diese beiden Kandidaten nicht mehr einzuhalten, ihre Anhörung im Fachausschuss wurde nach dem Negativvotum des Rechtsausschusses ausgesetzt. Doch wenn schon eine Einigungsprüfung unter ethischen Aspekten erfolgt, dann müsste man ehrlicherweise bei der Präsidentin Ursula von der Leyen anfangen: entging sie nicht einem Untersuchungsausschuss zum Missmanagement bei der Bundeswehr nur durch ihre schnelle Abreise nach Brüssel? (Die Stille darüber seit ihrem Weggang aus Berlin könnte den Schluss nahelegen, dass die Vorwürfe zwar berechtigt aber so originell auch wieder nicht waren.) Der belgische Kandidat Didier Reynders (Liberale Parteienfamilie), der 2014 gegen die Mitbewerberin Marianne Thyssen um den belgischen Zuschlag für das Kommissarsamt unterlag (sie ist Flame, er ist Wallone) und der kürzlich bei der Wahl des Generalsekretärs des Europarats bereits im ersten Wahlgang ziemlich barsch abserviert wurde, wird von der belgischen Staatsanwaltschaft wegen Vorwürfen der Bestechlichkeit heimgesucht. Gast bei der Staatsanwaltschaft in Frankreich ist die französische Kandidatin Sylvie Goulard (Liberale Parteienfamilie), die in ihrer Zeit als Europa-Abgeordnete der ALDE-Fraktion regelwidrig ihre Parlamentsassistenten in der Pariser Parteizentrale beschäftigte. Ihre Schuld gestand sie ein, die zu Unrecht beanspruchte Assistentenzulage zahlte sie zurück, doch in Frankreich läuft immer noch ein Verfahren wegen Veruntreuung. Und der polnische Kandidat Janusz Wojciechowski musste nach einer Untersuchung des Antibetrugsamts OLAF 11.243 Euro zurückzahlen, die er als Europa-Abgeordneter unrechtmäßig an Fahrtkosten einforderte. Auch die bulgarische Kommissarin Mariya Gabriel könnte man zur Rolle ihres Ehemanns François Gabriel im EU-Parlament befragen.

Viele Fragen, die diese Kommissarskandidaten in den Anhörungen beantworten müssten. Solange in Brüssel aber nach politischer korrekter Ausrichtung „gegrillt“ und gesiebt wird, solange sollte man sich in den Glaspalästen nicht wegen fehlender Glaubwürdigkeit wundern.

Ihr Junius

Zur Erinnerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Identität des Briefeschreibers aus Brüssel preiszugeben. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von Informanten und Redaktion. Sie erinnert an die sogenannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeitschrift Public Advertiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die Geschehnisse am Hofe und im Parlament veröffentlichte. Darin wurden die Machenschaften in der Königsfamilie, von Ministern, Richtern und Abgeordneten satirisch und mit Sachkenntnis der internen Vorgänge und Intrigen aufgespießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts.

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