Heute findet im Bauausschuss des Bundestages die Expertenanhörung zur Änderung des Raumordnungsgesetzes statt. Die Teilnehmenden werden dort auch zur Einführung von Vorranggebieten für Windenergie Auskunft geben. In diesen sogenannten Go-to-Gebieten sollen weder eine Umweltverträglichkeits- noch eine Artenschutzprüfung stattfinden – damit würden die wichtigsten Naturschutzeckpfeiler entfallen. Das betrifft auch bereits laufende Verfahren. Zusätzlich wird der Wortlaut der entsprechenden Vorschrift vermutlich noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren zulasten des Naturschutzes abgeändert werden. Denn die Regierung plant die Umsetzung einer gerade einmal einen Monat alten Notverordnung des Rates der EU, die sie auf europäischer Ebene selbst maßgeblich vorangetrieben hat. Das späte Einbringen des neuen Entwurfes erschwert es zudem Abgeordneten und Umweltschutzverbänden, sich gründlich mit dem Vorschlag zu befassen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger kommentiert: “Wenn die Frage lautet, wie wir wirkungsvollen Klimaschutz in der Fläche hinbekommen, dann sollte die Antwort auch alle sinnvollen Aspekte beinhalten und nicht einseitig sein. Aktuell erleben wir eher die Jagd nach einem schnellen politischen Gewinn beim Klimaschutz. Die Notverordnung und ihre Umsetzung ignorieren, dass Klimaschutz und der Schutz der Natur Verbündete sind. Der starke Fokus auf kurzfristige Erfolge richtet langfristig Schaden an. Uns muss klar sein, wenn wir die Klimakrise nur durch die Schwächung des Naturschutzes angehen, wird uns die Biodiversitätskrise mit Insektensterben, stummem Frühling und verarmten Gewässern erwischen.”

NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller: “Sollte die Regierung die Notverordnung umsetzen, dann werden in Windenergiegebieten künftig Anlagen genehmigt werden, ohne dass die Auswirkungen auf dort vorkommende Arten oder auf die Umwelt geprüft werden. Dieses Naturschutzrecht würde gänzlich außer Kraft gesetzt. Dass die daraus resultierenden Nachteile durch Schutzmaßnahmen aufgefangen werden sollen, ist eine halbherzige Ausrede. Wer gar nicht geprüft hat, was es zu schützen gilt, kann auch keine sinnvollen Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen anordnen. Besonders verstörend ist die Idee, dass ein Verstoß gegen den Artenschutz durch Schutzmaßnahmen auf Grundlage existierender Daten vermieden werden kann, denn die Daten sind schlicht nicht vorhanden.”

Zum Hintergrund: Grundlage für den erneuten Vorstoß zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist Artikel 6 der europäischen Notverordnung (EU) 2022/2577 aus dem Dezember 2022, die in einem Sonderverfahren ohne Beteiligung des EU-Parlamentes erlassen wurde. Danach können Mitgliedsstaaten in ausgewiesenen Gebieten bei der Zulassung von Anlagen eine Ausnahme von der Pflicht zur Umweltverträglichkeits- und Artenschutzprüfung vorsehen. Bedingung ist, dass bei der Ausweisung dieser Gebiete auf übergeordneter Planungsebene eine strategische Umweltprüfung stattgefunden hat. Zumeist wird bei der strategischen Umweltprüfung der Artenschutz jedoch gar nicht geprüft, dies behält man sich bis zur Genehmigung vor. Auch sind die Daten strategischer Umweltprüfungen regelmäßig veraltet bzw. nicht auf dem jüngsten wissenschaftlichen Stand. Wird Artikel 6 umgesetzt, entfällt eine artenschutzrechtliche Prüfung also gänzlich, weil sie weder auf Planungs- noch auf Genehmigungsebene vorgesehen ist. Zwar sieht die Verordnung vor, dass die Behörden sicherstellen, dass Artenschutzmaßnahmen ergriffen werden, diese sollen jedoch auf Grundlage vorhandener Daten ausgewählt werden. Da die Datenlage unzureichend ist und ohne Umwelt- und Artenschutzprüfungen auch keine aktuellen Daten mehr erhoben werden, können die Minderungsmaßnahmen kaum sinnvoll festgesetzt werden. Weiter wird den Anlagenbetreibern gestattet, Geldzahlungen für Artenschutzprogramme zu leisten, wenn keine Schutzmaßnahmen angeordnet werden können, was mangels Datenverfügbarkeit regelmäßig der Fall sein dürfte.

Artikel 6 ist auf alle Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, Projekte der Energiespeicherung und Stromnetze anwendbar, sodass nicht nur Windenergie an Land und sondern auch auf See sowie der Ausbau der Stromnetze erfasst sein können. Gerade für den Offshore-Bereich ist kritisch, dass hier große Gebiete ausgewiesen wurden, die strategischen Umweltprüfungen aber sehr schmal ausfallen und vertiefende standortbezogene Untersuchungen als notwendig erachten.

Aufgrund der massiven Kritik fordert der NABU, von der überhasteten und überzogenen Umsetzung des Artikel 6 der Notverordnung abzusehen. 

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