Die Europäischen Zentralbank (EZB) ist keine übliche Notenbank, denn sie ist verantwortlich für einen Währungsraum, der mehrere Länder umfasst und eben nicht nur eine Volkswirtschaft. Da jedoch strukturelle Unterschiede zwischen den Eurozonenländer bestehen, sieht sich die EZB sog. Fragmentierungsrisiken aussetzt. Also all jenen Risiken, die mit einem Auseinanderdriften der Eurozonenländer und deren wirtschaftlicher Entwicklung einhergehen. Wie die EZB mit den Fragmentierungsrisiken umzugehen hat, wird intensiv unter Ökonomen diskutiert. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr über die Bedeutung der Fragmentierungsrisiken für die Geldpolitik der EZB.

Fragmentierungsrisiken: Was sie sind und für die Geldpolitik der EZB bedeuten

Grundsätzlich ist es natürlich, dass sich die Wirtschaftsleistung und damit die Preisentwicklung über verschiedene Länder unterscheidet. Im Mai betrug die Inflation in Spanien 3,8 Prozent, wohingegen die Preise in Litauen um 12,0 Prozent gestiegen sind. Die Fragmentierung der Preise ist zwar ein Problem, jedoch hat die EZB nur begrenzt Einfluss auf die Ursachen und es ist auch nicht die größte Herausforderung. Problematischer ist eher, dass nicht alle Haushalte der Eurozonenländer eine ähnliche Solvenz aufweisen und damit nicht die gleichen Finanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt erzielen können. Italien muss derzeit knapp 200 Basispunkte mehr Zinsen für die Emission von zehnjährigen Staatsanleihen bezahlen (Vgl. Abbildung 1). Sind Diskrepanzen der Kapitalmarktzinsen (zu Engl. Spreads) innerhalb der Eurozonenländer zu groß, sieht die EZB den sog. Transmissionsmechanismus gefährdet. Dieser beschreibt den Prozess geldpolitischer Entscheidungen auf die Realwirtschaft. Doch wo genau liegt das Problem?

Um das zu verstehen, reicht ein Blick in die Vergangenheit, und zwar in das Jahr 2012, als die Eurozone im Zuge der Schuldenkrise in eine tiefe Krise rutschte. Einige europäische Länder standen vor dem Bankrott, da keine neuen Kredite auf dem Kapitalmarkt zu den dort vorherrschenden Konditionen aufgenommen werden konnten. Die Rendite auf griechischen Staatsanleihen ist während der Eurokrise auf bis zu 30 Prozent angestiegen. Nur das beherzte Eingreifen des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi bewahrte den Euro vor dem Verfall. Damals versprach der Italiener „alles Mögliche“ zu unternehmen, um den Euro zu retten. Dieses Versprechen und verschiedene Maßnahmen wie z.B. das Ankaufen von Staatsanleihen (Securities Markets Programme, SMP) sorgte für eine Normalisierung des Kapitalmarktes und für die betroffenen Länder erschwingliche Zinsen. Die Risikoaufschläge können also dafür sorgen, dass sich die Kapitalmarktzinsen für einige Länder stark von dem Leitzins der EZB unterscheiden, womit die Effektivität der Geldpolitik gefährdet wäre. Doch was genau kann die EZB dagegen tun?

Grundsätzlich sollte eine Harmonisierung und Integration der unterschiedlichen Wirtschaftsräume hergestellt werden, um großen Divergenzen zu vermeiden. Dies liegt aber außerhalb der Kontrolle der EZB und muss von den Regierungen und der Europäische Union (EU) angegangen werden. Nur wenn die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen bestimmter Länder von der EZB als unverhältnismäßig eingestuft werden, ist ein Eingreifen der Notenbank im Rahmen ihres Mandates angebracht. Eines der wichtigsten Instrumente hierfür ist der Ankauf von Staatsanleihen auf dem Zweitmarkt. Diese erhöht die Nachfrage und damit den Preis nach den entsprechen Wertpapieren, womit die Rendite fällt. Seit 2012 erlaubt das sog. Monetary Transactions Programm (OMT) der EZB genau das zu tun. Das OMT ist jedoch an Auflagen und Reformen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geknüpft, was eine bedingungslose Finanzierung ausschließt. Das OMT wurde bis heute noch nicht angewandt.

Seit 2022 existiert neben dem OMT das sog. Transmissionsschutzinstrument (TPI), welches der EZB erlaubt Staatsanleihen im Falle einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen zu kaufen, sollten diese nicht durch länderspezifischen Fundamentaldaten gerechtfertigt sein. Zwar müssen auch hierfür bestimmte Kriterien erfüllt werden, jedoch nicht in dem Umfang des OMT bzw. ESM, weshalb das TPI kontrovers diskutiert wird. Darüber hinaus steht immer wieder der Vorwurf der Staatsfinanzierung im Raum. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts widerspricht dieser Ansicht.

Als die EZB 2022 anfing die Zinsen anzuheben und die Anleihekaufprogramme zurückzufahren, stiegen die Risikoprämien für einige südeuropäische Länder wie etwa Italien (Vgl. Abbildung 1) und die Sorge vor Fragmentierungsrisiken machten wieder die Runde. Mit der Verabschiedung des TPI beruhigte die EZB die Märkte, was dennoch nicht die Tatsache verändert, dass die Notenbank lediglich die Symptome bekämpft und nicht die Ursachen. Diese können nur von den Ländern selbst angegangen werden.

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