Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 19.02.2019, Az. 9 AZR 541/15) hat im Fall Shimizu die Ausführungen des EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen berücksichtigt und stellenweise konkretisiert. Damit erging ein Grundsatzurteil, das mit dem automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen aufräumt, in Zukunft aber neue Fragen aufwerfen wird.

Sachverhalt

Ein Wissenschaftler des Max-Planck-Gesellschaft hatte im Rahmen seiner dortigen befristeten Tätigkeit während der Jahre 2012 und 2013 Urlaub im Umfang von insgesamt 51 Arbeitstagen nicht beantragt und entsprechend auch nicht genommen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bat er um Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs in Höhe von insgesamt 11.979,26 Euro. Der Fall durchlief mehrere Instanzen, zuletzt war er beim EuGH anhängig.

EuGH zur Urlaubsverfall

Bereits in unserem Newsletter zu den Neuerungen im Arbeitsrecht 2019 hatten wir über die Entscheidungen des EuGH (Urt. v. 6.11.2018, Az. C-684/16 u. C-619/16) aus dem vergangenem Jahr berichtet, welche mit jahrelangen Sitten des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) und dessen Anwendung brachen. Nach Auffassung der Luxemburger Richter soll ein Verfall des (Rest-)Urlaubs nur dann unionsrechtskonform möglich sein, wenn eine ausdrückliche Aufklärung des Arbeitnehmers über den Verfall erfolgt ist. Schon hiermit war das Ende der Zeiten des automatischen Urlaubsverfalls besiegelt.

BAG ändert Rechtsprechung

Die EuGH Rechtsprechung hat, wie zu erwarten, auch die höchste Stelle unserer nationalen Arbeitsgerichtsbarkeit nicht unbeeindruckt gelassen. Bislang war die Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG aus Sicht des BAG derart auszulegen, dass im Falle nicht beantragten und folglich nicht genommenen Urlaubs ein automatischer Urlaubsverfall eintritt. Die Ausführungen des EuGH aus dem vergangenen November zeigten jedoch, dass diese Annahme künftig nicht mehr zu halten sein würde. Das BAG nutzte nun den Fall des ehemals bei der Max-Planck-Gesellschaft beschäftigten Herrn Shimizu, um die europarechtlich gebotene Auslegung seinerseits zu übernehmen und zu konkretisieren. Die Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen erfährt damit einen grundlegenden Wandel.

Die Entscheidung im Einzelnen

Das BAG führt im Rahmen der Auslegung des Art. 7 BUrlG unter anderem Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) heran. Hiernach komme dem Arbeitgeber die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs zu. Deshalb obliege es dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Verfall droht, wenn der ihm zustehende Urlaub nicht genommen wird. Es könne daher in der Regel nur dann ein Verfall eintreten, „wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt“ (Pressemittelung Nr. 9/19 des BAG). Nicht aber muss der Arbeitgeber den Urlaub von sich aus gewähren. Insoweit trifft ihn die Initiativlast nur in informationeller Hinsicht und der Arbeitnehmer muss im Falle einer hinreichenden Aufforderung durch den Arbeitgeber den Urlaub zwingend beantragen.

Ob der klagende Wissenschaftler im vorliegenden Rechtsstreit Erfolg haben wird, hat nun das LAG München zu entscheiden (Az. 8 Sa 982/14). Dabei kommt es wesentlich auf die Frage an, ob der Arbeitgeber seinen Obliegenheiten ausreichend nachgekommen war.

Das Urteil liegt derzeit noch nicht im Volltext vor.

Folgen für die Praxis / offene Fragen

Klar ist nunmehr, dass die Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG gänzlich anders auszulegen ist, als dies bislang geschah. So ist es auf Seiten des Arbeitgebers nunmehr erforderlich, eine Information zu erteilen, in der er

1. den Arbeitnehmer zur Wahrnehmung seines Jahresurlaubs auffordert

und

2. den zweifachen Hinweis auf den noch bestehenden Urlaubsanspruch sowie den drohenden Verfall dessen erteilt.

Dieser Hinweis muss dabei klar, rechtzeitig und ausdrücklich erfolgen. Es liegt auf der Hand, dass sich an dieser Stelle zukünftig neue Fragen ergeben werden. So lässt das BAG offen, wie oft oder in welcher konkreten Gestalt ein solcher Hinweis erfolgen muss und wann überhaupt Rechtzeitigkeit angenommen werden kann. Auch kann hinterfragt werden, welchen Anforderungen ein Hinweis genügen muss, um der Aufforderung im Rahmen der Initiativlast gerecht zu werden. Ein probates Mittel scheint zu sein, den doppelten Hinweis unter Aufforderung zur Wahrnehmung in die monatlichen Gehaltsabrechnungen des Arbeitnehmers einzubauen, um etwaige Unsicherheiten weitestgehend ausschließen zu können.

Noch nicht ganz klar ist darüber hinaus, ob auch vermeintlich bereits verfallener Urlaub nachträglich geltend gemacht werden kann. Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH, die eine Änderung der Rechtslage bereits deutlich vor Jahreswechsel bekannt werden ließ, ist dies jedenfalls für nicht genommenen Urlaub aus dem Jahr 2018 mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

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