7,5 Prozent betrug die Inflation in der Eurozone im März. Vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat man noch auf eine Normalisierung der Preise gehofft. Einige Marktteilnehmer fordern deswegen ein konsequentes Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei wird oft vergessen, dass die EZB nur begrenzt etwas gegen den derzeitigen Preistrend tun kann. Stehen uns also dauerhaft hohe Preise bevor? Gehen Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars dieser Frage auf dem Grund.

Markt-Monitoring und Ausblick

Kurzfristiger Zins: Der 3-Monats-Euribor steht aktuell bei – 0,4610%. Bis Ende 2022 erwarten wir einen Anstieg bis in den positiven Bereich. Dieser orientiert sich derzeit an der Einlagenfazilität der EZB. Diese könnte im zweiten Halbjahr von aktuell – 0,50% Richtung -0,25% gehen. Der 3-Monats-Euribor wird vorauslaufen.

Langfristiger Zins: Der 10jährige SWAP-Satz/6M steht derzeit bei 1,2220%. Die nächsten 6 Monate erwarten wir einen leichten Zinsanstieg bis max. 1,50%. Zum Jahresende wird sich der Langfristzins weiter Richtung 1,00% oder darunter bewegen.

Die Ohnmacht der EZB

Der so häufig in der Politik verwendete Begriff „Zeitenwende“ lässt sich durchaus auch auf die wirtschaftliche Entwicklung übertragen. Es gab eine Zeit vor dem Krieg und eine Zeit nach dem Krieg. Vor dem Krieg schien die europäische Wirtschaft auf dem Weg die Coronakrise endgültig hinter sich zu lassen. Nach dem Krieg erreichte Europa eine Krise, die sicherlich weitreichende, aber noch nicht absehbare Folgen für die ganze Welt mit sich bringt. „Der Westen“ sanktioniert Russland im noch nie dagewesenen Maße und beginnt das Land zunehmend zu isolieren. Der Handel beschränkt sich inzwischen nur noch auf das Wichtigste, insbesondere Öl und Gas. Mittelfristig will sich Europa komplett von Russland lösen. Wie lange die Isolation Russlands Bestand haben wird, ist derzeit nicht abzusehen. 

Die mit der Isolation Russlands verbundene Unsicherheit bezüglich der Verfügbarkeit von wichtigen Rohstoffen ließ insbesondere die Energiepreise in die Höhe schießen. Das spiegelt sich auch in der Inflation wider, die von 5,1 Prozent auf 7,5 Prozent zwischen Januar und März stieg (siehe Abbildung 1). Inzwischen sind nicht nur die Energiepreise von starken Steigerungsraten betroffen, sondern auch andere Kategorien. Die Kerninflation (Inflation ohne Energie-, Lebensmittel- und Tabakpreise) stieg um mehr als 50 Basispunkte seit Ausbruch des Ukrainekrieges und erreichte damit die Dreiprozentmarke. Es ist in gewisser Weise paradox, das noch vor etwa zwei Jahren Deflationsgefahren die Runde machten und heute eine Inflationsspirale in vollem Gange ist (Vgl. Abbildung 1). Diese Entwicklung legt offen, weshalb die Preisentwicklung nur teilweise mit der eigentlichen wirtschaftlichen Dynamik zu tun hat, sondern eher auf einen exogenen Schock zurückzuführen ist.  

Einen Angebotsschock erleben wir vor allem auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt. Russland ist wichtiger Rohstofflieferant und das nicht nur für Öl und Gas, sondern auch für Düngemittel. Die Ukraine ist ein großer Getreideproduzent und Weltmarktführer für Sonnenblumenkuchen (Vgl. Abbildung 2). Die Lieferketten beider Länder könnte in der Zukunft massiv gestört sein. Die Preise für Mehl und Speiseöl stiegen seit Oktober letzten Jahres um 206 Prozent bzw. 123 Prozent. Nur wenn Produktionsausfälle entsprechend kompensiert werden können, bleibt der Effekt auf die Preisentwicklung überschaubar.

Die EZB hat mit der Steuerung des Leitzinses im wesentlichen Einfluss auf die Nachfrage, jedoch nicht auf das Angebot. Die Konsumnachfrage ist im Allgemeinen wesentlich dynamischer als das Angebot, da Produktionskapazitäten nicht von heute auf morgen hochgefahren werden können. Die EZB kann lediglich versuchen, die Nachfrage einzudämmen, was jedoch schwierig ist, gerade wenn es sich um essentielle Güter wie Lebensmittel handelt. Für unmittelbare Entlastung kann vor allem die Politik über Sonderzahlungen sorgen, doch das hilft nur kurzfristig und hat ihren Preis. Mittel- bis langfristig muss für eine Wirtschaft geplant werden, die im Ernstfall komplett autark von Russland funktioniert. Nur dann erlangt die EZB ihre Handlungsfähigkeit zurück.

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